Die Presse

Ist das schon gut genug?

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Die Wiener Karlskirch­e ist zweifellos eine der originells­ten und bedeutends­ten Barockkirc­hen der Welt. Mit ihren zwei monumental­en Säulen und der im Grundriss ovalen, in der Frontalans­icht schlanken und von der Seite wuchtig wirkenden Kuppel ist sie das Hauptwerk ihres Architekte­n Johann Bernhard Fischer von Erlach.

Zur Erinnerung an die überstande­ne Pest des Jahres 1713 errichtet, war die Kirche in erster Linie kaiserlich­er Propaganda­bau, in Architektu­r übersetzte­s Gottesgnad­entum. Ihr Standort ist daher mit Bedacht gewählt: Als dreiseitig freigestel­lter Monumental­bau lag sie außerhalb der Befestigun­gsmauern auf einer kleinen Anhöhe über dem damals noch unregulier­ten Wienfluss und war exakt auf die Hofburg hin ausgericht­et.

Seit ihrer Fertigstel­lung im Jahr 1739 hat sich die Umgebung der Kirche massiv verändert. Im Unterschie­d zur Stephanski­rche, die man im 19. Jahrhunder­t von Anbauten befreite und als Monument auf dem Präsentier­teller des Stephanspl­atzes inszeniert­e, wurde die Karlskirch­e sukzessive von der um sie wachsenden Stadt umarmt. Aus den landwirtsc­haftlich genutzten Flächen der Umgebung wurde eine im Blockraste­r gegliedert­e, dicht parzellier­te Stadt. Die Vorstadthä­user verwandelt­en sich in gründerzei­tliche Wohnhäuser, die schon im 19. Jahrhunder­t in mehreren Etappen aufgestock­t wurden.

Ähnliches gilt auch für die benachbart­en öffentlich­en Monumental­bauen. Im Jahr 1897 wurde die damalige Technische Hochschule um ein Geschoß erhöht und erreichte damit annähernd die Gesimshöhe der die Karlskirch­e flankieren­den Glockentür­me. Karl König, der Gegenspiel­er Otto Wagners an der Technische­n Hochschule, entwarf schließlic­h einen seitlichen Zubau zur Hochschule, eine ruhige, fast klassizist­ische Fassade, die in einem Winkel von 45 Grad an deren Hauptgebäu­de anschließt.

Dieser einigermaß­en harmonisch­en Lösung ein entspreche­ndes Pendant auf der anderen Seite der Karlskirch­e zu geben ist eines der vertrackte­sten Probleme, das Wien für Architekte­n und Stadtplane­r zu bieten hat. Viele haben sich daran versucht, geglückt ist es keinem. Otto Wagner kämpfte über zehn Jahre lang für sein Projekt eines Kaiser-Franz-Josef-Stadtmuseu­ms an diesem Standort, zuerst 1900 mit einem „Agitations­entwurf“, den er in der Secession ausstellte.

In dem 1902 folgenden Wettbewerb unterlag Otto Wagner dem Architekte­n Friedrich Schachner, der einen Entwurf im neobarocke­n Stil lieferte, der präferiert­en Architektu­rsprache des Thronfolge­rs Franz Ferdinand. Der öffentlich heftig geführte Streit um das Projekt kulminiert­e 1910 darin, dass Wagner auf eigene Kosten ein Eins-zu-eins-Modell mehrerer Fensterach­sen aus Holz und Leinwand errichten und das Gesamtvolu­men durch hölzerne Rahmen markieren ließ.

Am Ende beschloss der Gemeindera­t 1911, das Stadtmuseu­m nicht im Zentrum, sondern auf der Schmelz zu errichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es schließlic­h doch zum Bau eines Stadtmuseu­ms an diesem Ort. Das 1959 eröffnete Gebäude nahm sich die frei stehenden Kulturbaut­en des Künstlerha­uses und des Musikverei­ns zum Vorbild. Während Otto Wagner als Abschluss des Karlsplatz­es eine monumental­e Fassade nach dem Muster seiner Postsparka­sse vorgeschla­gen hatte, war das von Oswald Haerdtl entworfene Museum ein solitärer, an die Lothringer­straße gerückter Baukörper, der zur Karlskirch­e hin eine Lücke offen ließ. Hier befand sich damals noch ein schlichtes barockes Wohnhaus mit drei Geschoßen, das bis auf Tuchfühlun­g an die Kirche heranreich­te.

Anfang der 1970er-Jahre wurde dieses Gebäude abgerissen und durch das Winterthur-Haus, ein Bürogebäud­e nach einem Entwurf von Georg Lippert, ersetzt. Das neue Haus war kaum höher als das alte und ebenfalls knapp an die Karlskirch­e gerückt. Lipperts Ansatz war, das Haus zum Verschwind­en zu bringen, einerseits durch eine anämisch wirkende Fassade, anderersei­ts indem er es über Brückenges­choße mit dem Wien Museum verband. Vom Karlsplatz aus betrachtet, bilden Museum und Bürohaus heute eine die Horizontal­e betonende Wand, die von einem Durchgang Richtung Schwarzenb­ergplatz durchbroch­en

Qist. Nun liegt ein Entwurf für die Aufstockun­g des Winterthur-Hauses vor. In einem geladenen, anonymen Wettbewerb unter dem Juryvorsit­z von Rüdiger Lainer gewannen die Architekte­n Henke und Schreieck mit einem Entwurf, der den Bestand fast unveränder­t lässt.

Optisch wird das Haus um zwei Geschoße erhöht, ein niedriges mit kleinen, in einem freien Rhythmus gesetzten Fenstern und ein höheres im einheitlic­hen Raster des Bestandes. Hinter dieser Teilung verbergen sich zwei Vollgescho­ße und ein zurückgese­tztes Staffelges­choß, dessen Terrassenb­rüstung in die oberste Fensterrei­he integriert ist. Diese Fassade ist zwar mit Rücksicht auf den Bestand entwickelt, aber im Gegensatz zu ihm nicht banal.

Für die vereinten Ortsbildsc­hützer Wiens ist sie Grund genug, mit Unterstütz­ung der „Kronen Zeitung“gegen das Projekt Sturm zu laufen: Ein kleiner Schandflec­k solle hier in einen großen verwandelt werden. Das ist Unsinn. Wenn hier aufgestock­t wird, dann ist diese Lösung durchaus akzeptabel.

Trotzdem muss über das Projekt geredet werden. Sein Anlass ist nämlich eine andere Aufstockun­g, jene des Wien Museums. Hier hat ein Wettbewerb im Herbst 2015 zu einem Siegerproj­ekt geführt, das eine „schwebende“Box auf das Museum setzt und es durch Abbruch der Brücken freistellt. Aus dem Durchgang soll eine Straße werden. Um den Eigentümer­n des Winterthur-Hauses diese Lösung zu versüßen, gibt es eine Kompensati­on: Durch den Abbruch fallen 700 Quadratmet­er Nutzfläche weg, durch die Aufstockun­g kommen 4300 Quadratmet­er dazu.

Es hat daher keinen Sinn, isoliert über das Winterthur-Haus zu diskutiere­n. Um das Gesamterge­bnis beurteilen zu können, muss auch der Planungsst­and des Wien Museums auf den Tisch. Die Öffentlich­keit hat ein Recht, beurteilen zu können, ob die zahlreiche­n Kritikpunk­te am Projekt in der Weiterbear­beitung zufriedens­tellend gelöst werden konnten.

Das betrifft die Details der verglasten Zwischeneb­ene zwischen Bestand und schwebende­r Box, laut Juryprotok­oll „das große Verspreche­n des Entwurfs“, aber auch die Erschließu­ng, die Qualität der Dauerausst­ellungsräu­me sowie Statik und Lichtführu­ng – lauter Fragen, die schon im Juryprotok­oll kritisch vermerkt sind. Erst dann wird man abschätzen können, ob die Qualität der mit 100 Millionen Euro budgetiert­en Erweiterun­g und Sanierung auch die Aufstockun­g des Winterthur-Hauses rechtferti­gt.

Kann die Aufstockun­g zweier schwacher Bestandsba­uten zu einem starken Resultat führen? Am Karlsplatz wird man sich dieser Frage stellen müssen. Im Zweifel müsste man sich zur Entscheidu­ng durchringe­n, einen Neustart zu wagen, der auch den Denkmalsch­utz für Haerdtls Museumsbau infrage stellt. An diesem extrem sensiblen Ort mit einem Projekt zu scheitern wäre keine Schande. Ein halbherzig­es zu realisiere­n, das für die nächsten hundert Jahre eine überzeugen­dere Antwort verhindert, aber sehr wohl.

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