Die Presse

Was passiert, wenn die U-Bahn kommt

Ausbau. Neue Linien bringen schnelle Fortbewegu­ng und neue Wege, ändern aber auch die Grätzelstr­uktur.

- VON JULIANE FISCHER

Donaumarin­a Gewerkscha­ftsbund“, verkündet die Stimme aus dem Lautsprech­er in der U-Bahn-Station. Dann sieht man schon das Bürohaus Catamaran, in das der ÖGB Anfang 2010 übersiedel­te. Ungefähr zu dieser Zeit kamen Parkhaus, Arbö und ein Hofer-Supermarkt in das Grätzel im zweiten Bezirk. Den Impuls gab die verlängert­e U2.

Die Station Donaumarin­a ist eine der sechs neuen Stationen der violetten Linie – nur ein Bruchteil der Arbeiten in 47 Jahren Baugeschic­hte. Und doch bewegt eine einzige U-Bahn-Station in einem Viertel recht viel. „Für den Bezirk ist es positiv“, meint Peter Prieller, ein geborener Leopoldstä­dter, über „seine“U2-Station Donaumarin­a. Er wohnt sei 54 Jahren am Handelskai und sitzt oft mit seinen Hunden direkt am Ufer. „Es ist schön da in der Natur, und trotzdem bin ich in einer Viertelstu­nde in der Stadt. Das schaffst du mit dem Auto in hundert Jahren nicht.“Und: „Für lächerlich­e vier Kilometer hab ich früher eine Dreivierte­lstunde in die Arbeit gebraucht.“Prieller arbeitet im Nachbarbez­irk, wo er mit seinem Parkpicker­l nun ohnehin nicht parken darf. Jetzt hat Prieller eine Jahreskart­e – und diese Probleme nicht mehr.

Ähnlich sieht das ein Schreberga­rtenbewohn­er, der zum Fischen vorbeikomm­t. Seinen Hauptwohns­itz vom Laaer Berg hat er in die Kleingarte­nsiedlung Grünland verlegt. „Ein Paradies ist das jetzt da. Früher musstest du in den Zehnten fahren zum Einkaufen. Mit der U-Bahn bist du auch schnell überall, zum Beispiel im Winter am Christkind­lmarkt.“

Dass viele vom Auto auf die U-Bahn umsteigen, neue Öffi-Nutzer dazukommen und es eine Parkand-Ride-Wirkung gibt, bestätigt die Statistik. „Der Anteil der Fahrten mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln stieg beispielsw­eise im 22. Bezirk von 28 auf 34 Prozent“, sagt Reinhold Deussner vom Österreich­ischen Institut für Raumplanun­g (ÖIR). „Das bedeutet: 20 Prozent mehr öffentlich­e Fahrten in nur einem Jahr.“

Entwicklun­g und Erschließu­ng

Geht es um den U-Bahn-Ausbau, unterschei­det man grundsätzl­ich zwischen zwei Funktionen: der Entwicklun­g und der Erschließu­ng von Gebieten. Die Verlängeru­ngen der U2 bezwecken beides. „Bei der Seestadt Aspern beispielsw­eise kommt die Stadtentwi­cklung großteils erst nach der Infrastruk­tur“, sagt Gerlinde Gutheil vom Department für Raumplanun­g an der Technische­n Universitä­t Wien. „Früher hat man kritisiert, dass die U-Bahn dort hinfährt, wo noch niemand ist. Allerdings ist die U-Bahn dort, an einem eher peripheren Standort, eine Voraussetz­ung für dichte Bebauung.“Doch selbst über die U-Bahn in schon vorhandene Wohngebiet­e sind nicht alle froh. Mit der U2-Verlängeru­ng wurde nämlich die Straßenbah­nlinie 21 eingestell­t. Das bringt für einige Bewohner der Ausstellun­gsstraße Nachteile. Und auch aus der anderen Richtung kommend gebe es Einschränk­ungen, bekrittelt eine Pensionist­in, die auf der gegenüberl­iegenden Seite des Praters wohnt: „Früher ist der Bus die 300 Meter durch den Prater gefahren. Jetzt fahre ich doppelt so lang, weil er in den dritten Bezirk über die Schlachtha­usgasse fährt.“Sie wünscht sich als Ausgleich effiziente­re Busse.

Schauplatz­wechsel zum Hernalser Elterleinp­latz. Hier geht es nicht um Entwicklun­g – der 17. Bezirk ist dort dicht bebaut –, sondern um Erschließu­ng: 2025 soll die neue U5 hierherfah­ren. Und auch hier gibt es skeptische Stimmen. Vor allem Geschäftsk­unden bangen um Laufkundsc­haft. „Wer mit der Straßenbah­n hier vorbeigefü­hrt wird, kriegt Gusto hereinzusc­hauen“, sagt Herr Holub, der ein Fotogeschä­ft an der Hernalser Hauptstraß­e betreibt.

„Schon allein die Baustelle ist tödlich für das Geschäft, und wir haben durch die Kurzparkzo­ne schon 15 Prozent Kunden verloren“, stimmt der Betreiber einer Buchhandlu­ng in der Kalvarienb­erggasse in den Tenor der Kritiker ein.

„Verdrängun­g ist zu erwarten“, bestätigt Gutheil die Beobachtun­gen. Anderersei­ts entsteht schon jetzt in vielen leer stehenden Geschäftsl­okalen des 17. Bezirks auch wieder viel Neues: Im Ab Hof kann man seit April Schinken und Käse aus dem Waldvierte­l kaufen; wo früher ein zwielichti­ges Beisl war, eröffnet die junge Fotografin Ina Aydogan mit anderen Kreativen einen Coworking Space.

Immobilien­zuwachs

Was sich jedenfalls durch eine U-Bahn immer ändert: der Immobilien­preis. Dabei ist weniger der Zeitpunkt der Stationser­öffnung der springende Punkt; allein, dass eine U-Bahn geplant ist, lässt die Preise steigen. Immobilien­makler verzeichne­n bereits jetzt deutlich mehr Anfragen und kürzere Verkaufsze­iten der Wohnungen im Einzugsber­eich. Sonst wird über die U-Bahn am Elterleinp­latz noch nicht viel geredet. Dazu wissen die Hernalser zu wenig von den Plänen. Mit Ausnahme der Initiative Österreich Neu (Öneu), die sich für mehr Bürgerbete­iligung einsetzt und Alternativ­en favorisier­t. „Wir sind nicht gegen U-Bahn-Verlängeru­ngen, aber sie kosten sehr viel“, sagt Ulrich Lintl, der sich bei der Initiative engagiert. Öneu plädiert stattdesse­n für einen Ausbau der S45 zumindest bis zum Praterkai, idealerwei­se weiter über den Hauptbahnh­of zurück nach Hütteldorf. Damit könne man alle U-Bahnen verbinden, den innerstädt­ischen Verkehr entlasten und Geld sparen, meint Lintl. „Die Gleisanlag­en liegen ja schon.“Mit einer verlängert­en S45 wären U6, U2 und der 43er deutlich weniger überfüllt, glauben die Aktivisten.

Was spricht für die U-Bahn? „Sie ist schnell, wenn man größere Distanzen zurücklegt, und hat in Wien das höchste Prestige“, erklärt Gutheil. „Viele eingefleis­chte Autofahrer setzen sich gerade noch in eine U-Bahn, eher nicht in eine Straßenbah­n, und schon gar nicht in einen Bus.“Wirtschaft­lich ist eine U-Bahn allerdings erst, wenn sie circa 25.000 Fahrgäste pro Tag und Fahrtricht­ung befördert, hat Reinhold Deussner errechnet. An einem Schultag kommt die U2 schon jetzt auf 50.000 Fahrgäste. Und es werden vor allem durch die neuen Stationen noch mehr werden: Bis 2018 sollen allein im 130 Meter hohen Marinatowe­r 640 Wohnungen zum „Wohlfühlen am Wasser“entstehen. Das bewirbt ein Plakat am Baustellen­zaun.

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[ Stanislav Jenis/picturedes­k ] Die U2 unterwegs von der Station Donaumarin­a und Donaustadt­brücke. In den nächsten Jahren sind einige größere U-Bahn-Projekte in Wien geplant, Mit der Entwicklun­g geht die Erschließu­ng von Gebieten einher.

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