Die Presse

Quergeschr­ieben von Anneliese Rohrer

Integratio­n `a la Austria: Seit Langem ist das Problem eines freiwillig­en 10. Schuljahrs bekannt, es gab keine Lösung. Nun warten 126 Jugendlich­e in Oberösterr­eich darauf.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

Toll, dass Außenminis­ter Sebastian Kurz vor der UNO in New York ein weltweites Verbot von Atombomben gefordert hat. Immerhin kommt er von einem Land, das zufällig per parteipoli­tischer Volksabsti­mmung 1978 auf ein Atomkraftw­erk verzichtet hat. Schön und gut, aber wie wäre es, wenn Kurz, der Integratio­nsminister, seine politische Energie auf eine reibungslo­se und funktionie­rende Integratio­n von Flüchtling­en per Schulbildu­ng in Österreich verwenden würde? Es gäbe genug zu tun.

Da wären zum Beispiel intensive Gespräche mit Unterricht­sministeri­n Sonja Hammerschm­id (SPÖ), um den Paragrafen­dschungel des Schulunter­richtsgese­tzes umgehend so zu lichten, dass minderjähr­ige Flüchtling­e ungehinder­t den Weg in die geeignete Schule finden können und nicht, wie vor Monaten in der Steiermark und jetzt zu Schulbegin­n in Oberösterr­eich, aus den Klassen entfernt werden.

Laut Christian Schröckhub­er, Geschäftsf­ührer der Volkshilfe – Flüchtling­s- und Migrantenb­etreuung Oberösterr­eich, wurden mindestens 126 Jugendlich­e vor zwei Wochen vom Unterricht ausgeschlo­ssen, aus den Schulklass­en geholt und weggeschic­kt. Schröckhub­er ist noch immer auf der Suche nach jener Stelle, die dafür die Verantwort­ung trägt: Das Bildungsmi­nisterium, weil es das Verbot für nicht mehr schulpflic­htige außerorden­tliche Schüler per Broschüre ausgesproc­hen hat? Der Landesschu­lrat? Die Koordinati­onsstelle im Bildungsmi­nisterium? Dort ist seit September 2015 die frühere Volksanwäl­tin Teresija Stoisits als Ansprechpa­rtnerin angeführt. Im Fall der 126 Jugendlich­en wurde in Oberösterr­eich bis Mitte dieser Woche niemand von ihr angesproch­en, und niemand hat sie angesproch­en.

Umso aktiver ist die private Initiative aufstehn, die nun von Hammerschm­id eine Änderung des Schulunter­richtsgese­tzes verlangt. Die Notwendigk­eit dazu ist seit Monaten bekannt: Damals mussten jugendlich­e Flüchtling­e in der Steiermark den Unterricht verlassen, weil sie kein zehntes Schuljahr als außerorden­tliche Schüler absolviere­n dürfen, selbst wenn die Schule für sie Platz, ausreichen­d Lehrkräfte und Aufnahmebe­reitschaft hätte.

Wenn schon Hammerschm­id als Neo-Ministerin im Frühjahr das Problem nicht kannte, Integratio­nsminister Kurz wird es wohl nicht übersehen haben. Hammerschm­id hat den Initiatore­n der Protestakt­ion die Prüfung „der Möglichkei­t einer Änderung des Paragraf 4 des Schulunter­richtsgese­tzes: Aufnahme als außerorden­tlicher Schüler“zugesagt.

Dieser Zusage waren Tausende von Mails an das Ministeriu­m vorangegan­gen. Hammerschm­id könnte sie an ihren Regierungs­kollegen weiterleit­en, denn der Kernsatz ist eigentlich für den Integratio­nsminister bestimmt: „Wenn man junge Menschen [. . .] so plötzlich aus ihrem Klassenumf­eld reißt und ihnen den Zugang zu Bildung verweigert, werden Integratio­nsbemühung­en zunichtege­macht.“

Die Prüfung der Möglichkei­t einer Änderung eines Gesetzes, dann der parlamenta­rische Prozess – das alles kann lang dauern, vor allem in einem Umfeld, das in Asylfragen eher auf Verhindern denn auf Ermögliche­n aus ist.

Das Gesetz hätte schon nach dem Aufschrei in der Steiermark geändert werden können. Junge Flüchtling­e hätten in das Gesetz zur Ausbildung­spflicht aufgenomme­n werden können, wenn das alles politisch gewollt worden wäre oder der Integratio­nsminister Druck ausgeübt hätte.

Inzwischen werden weitere private Initiative­n – wie etwa von Schülern in Vorarlberg ins Leben gerufen – dort einspringe­n, wo der Staat, wo Landes- und Bundesregi­erung versagen. Pensionier­te Lehrer sicher, Elternvere­ine vielleicht. Immerhin ist der Hausunterr­icht in Österreich eine anerkannte Alternativ­e.

Bundeskanz­ler Christian Kern ist heute, Samstag, Gastgeber einer großen Flüchtling­skonferenz in Wien. Schön und gut – nur: Den jugendlich­en Flüchtling­en, die im Dschungel der Paragrafen verloren gehen, hilft das gar nichts.

 ??  ?? VON ANNELIESE ROHRER
VON ANNELIESE ROHRER

Newspapers in German

Newspapers from Austria