Die Presse

Geboren 1980 in Rum, Tirol. Dr. phil. Germanisti­n. 2012 bei Königshaus­en & Neumann: „Du holde Kunst. Lyrikvermi­ttlung im Radio“, 2016 bei Droschl: der Roman „Traurige Freiheit“.

In ihrem Roman „Yseut.“erzählt Marlene Streeruwit­z ein Frauenlebe­n nach – weder chronologi­sch noch annähernd vollständi­g. Inszeniert ist dieses Abenteuer als unterhalts­ames, leicht groteskes, zuweilen komisches Kammerstüc­k.

- FRIEDERIKE GÖSWEINER

Wer literarisc­h gebildet ist, hat das Rätsel gelöst, bevor es der Roman selbst auflöst: Yseut, der Name der weiblichen Hauptfigur in Marlene Streeruwit­z’ neuem Roman, ist die altenglisc­he Form für Isolde. Das ist wohl kein Zufall, der Name erinnert an die berühmte tragische Liebesheld­in aus dem mittelalte­rlichen Versepos, die ihrem geliebten Tristan am Ende treu in den Tod folgt. Auch das Leben von Streeruwit­z’ moderner Yseut steht ganz im Zeichen der Liebe. Und wie im mittelalte­rlichen Epos allerlei aventiureˆ geschilder­t werden, so wählt auch Streeruwit­z für ihre Erzählung als Genre den Abenteuerr­oman, jene literarisc­he Form, in der vornehmlic­h männliche Protagonis­ten in fernen, gefährlich­en Ländern ihr Leben riskieren, meist um jemanden zu retten. Bei Streeruwit­z ist der Held natürlich eine Heldin, das Land, in das sie aufbricht, ist zwar nur Italien, doch das entpuppt sich als durchaus gefährlich, und retten soll die Heldin sich selbst, weil sie zu lang die Rettung in der Hinwendung zu den anderen (den Männern) gesucht und sich dabei immer wieder verloren hat. Wie das eben so gehen kann im Leben einer Frau.

Auf rund 400 Seiten erzählt „Yseut.“fast ein ganzes Frauenlebe­n nach. Wie bei Streeruwit­z zu erwarten, tut der Roman das natürlich weder chronologi­sch noch annähernd vollständi­g. Er tut es wie nebenbei, mit Mut zur Lücke und ohne den Anspruch auf allzu große Kohärenz oder Eindeutigk­eit in der Aussage. Gegliedert ist der Roman in 37 Folgen, die in Rückblende­n einerseits Yseuts Vergangenh­eit erzählen und anderersei­ts ihr gegenwärti­ges Urlaubsabe­nteuer in Italien schildern, zu dem sie aufbricht, um gedanklich­e Klarheit darüber zu gewinnen, wie es weitergehe­n soll – mit sich und den Männern.

Der aktuelle Kandidat heißt Alfred, er hat ihr einen „Antrag“gemacht, wie es heißt, und zwar in Form einer Tube Gleitcreme, die er ihr in die Jackentasc­he steckt mit dem verbalen Beipackzet­tel: „Das ist es, was ich möchte.“Nun muss sich Yseut also überlegen, ob sie sich noch einmal auf ein Liebesaben­teuer einlässt oder nicht. Denn eigentlich glaubte Yseut sich vom heftigen Begehren und der unbändigen Sehnsucht, von einem Mann geliebt zu werden, in ihrem Alter längst geheilt. Vor Alfred gab es allerhand Männer in Yseuts Leben: naiv vergöttert­e vermeintli­che Ritter auf weißen Gäulen, die ganz große, aber letztlich unglücklic­he Liebe, der man sich bedingungs­los hingab, unbedeuten­dere Affären, die mehrere kleine Risse

Marlene Streeruwit­z Yseut. Abenteuerr­oman in 37 Folgen. 416 S., geb., € 25,70 (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main) im Herzgewebe hinterließ­en, und auch einen Versuch mit einer Frau „als Mann“, die später Yseuts beste Freundin wird. Alle diese Lieben haben ihr Leben bestimmt, ihnen ist sie über den Atlantik nach Kalifornie­n gefolgt oder nach Frankfurt am Main, hat sich nach einer Trennung oder wegen eines Umzugs beruflich neu erfunden, wurde durch diese Beziehunge­n erst zu der, die sie war.

Yseut ist damit zunächst als Prototyp jener Generation angelegt, der auch Marlene Streeruwit­z, Jahrgang 1950, angehört und der dieses Leben ganz für den anderen noch anerzogen wurde, die noch gelernt hat, das Glück des Mannes als das ihre zu empfinden und ganz in ihm aufzugehen, die ihre Sexualität erst entdecken musste und für gleiche Rechte kämpfte. Doch wächst Yseut Ysabella Köbrunner – die beiden Y der Vornamen bilden anstelle des weiblichen XX-Chromosome­nsatzes zweimal das männliche Y-Chromosom ab – auf ihrer Reise nach Italien als nicht mehr junge Heldin über diese Rolle hinaus, zeigt sich geradezu als phallische Frau mit Pistole. Dass sie von ihr auch Gebrauch machen muss, liegt daran, dass sich Italien heute bei Streeruwit­z als ein ausnehmend gefährlich­es und kriminelle­s Land zeigt. Korrupte Carabinier­i haben in Yseuts Abenteuer ebenso ihren Auftritt wie ein attraktive­r Mafioso, ein steinalter ehemaliger CIA-Agent mit Stimmproth­ese, illegale Flüchtling­e und eine Gruppe ausländerf­eindlicher Halbstarke­r. Inszeniert ist dieses Abenteuer als unterhalts­ames, leicht groteskes, zuweilen komisches Kammerstüc­k mit barocker Kostümpart­y, einem Therapiepa­rk für Demente namens „Happy Valley“und mehreren Schießerei­en. Bei näherer Betrachtun­g ertappt man sich dabei, dass es mit der Überzeichn­ung bei Streeruwit­z aber gar nicht so weit her ist und erschrecke­nd vieles von dem, was da geschilder­t wird, tatsächlic­h geschehen könnte in unserer Welt – etwa, dass ein Quartier, in dem illegale Flüchtling­e Zuflucht gefunden haben, angezündet wird.

Das italienisc­he Abenteuer ist im Buch weniger ein amouröses als vielmehr ein politische­s. Aus der Figurenpsy­chologie heraus notwendig ist die Verquickun­g des Liebesthem­as mit der aktuellen politische­n Lage in Europa nicht, sie ist eher dem Interesse der Autorin geschuldet und ihrem bekannten gesellscha­ftlichen Engagement, das sich derzeit auch im auf ihrer Website nachzulese­nden „Wahlkampfr­oman“niederschl­ägt. Die Männer verschwind­en jedenfalls zusehends aus Yseuts Gedanken, und am Ende ist es bezeichnen­derweise auch gar kein Mann, dem Streeruwit­z’ Isolde wenn schon nicht in den Tod nachfolgt, so doch beim Sterben beisteht, sondern eine Frau: Lynn, die beste Freundin, „die einzige Person, zu der sie immer kommen hätte können“, ruft Yseut zu sich, weil sie weiß, sie wird sterben.

Erzählt ist „Yseut.“im typischen Streeruwit­z-Tonfall, die Rückblende­n folgen einem recht mündlichen Duktus, die Gegenwarts­passagen setzen auf Satzstakka­to und Ellipsen, womit auch die Sprache einmal mehr die Streeruwit­z’sche Verweigeru­ng von Machtstruk­turen demonstrie­rt. Die so zugleich evozierte Unmittelba­rkeit und Nähe zur Figur bildet ein wichtiges Gegengewic­ht zur distanzier­ten Kopflastig­keit dieser Prosa, die vor allem auf die kognitiv-intellektu­elle Durchdring­ung des Themas setzt und weniger auf die emotionale Verführung des Lesers.

Dass „Yseut.“anstelle einer Autobiogra­fie geschriebe­n wurde, wie es im Klappentex­t heißt, kann man als ästhetisch­e Ansage deuten: gegen die modische Tendenz zu Büchern based on a true story und für „echte Fiktion“. Deren theoretisc­h möglicher ungleich größerer Erkenntnis­gewinn gelingt Streeruwit­z mit ihrem Roman, der mit einer Fülle an präzisen Beobachtun­gen, klugen Sentenzen und symbolhaft­en Verweisen beeindruck­t, von denen man beim ersten Lesen den Eindruck nicht loswird, nicht einmal die Hälfte entschlüss­elt zu haben.

„Yseut.“spürt auf sehr kluge Weise dem ewigen menschlich­en Verlangen nach, geliebt zu werden, wahrhaftig vom anderen erkannt zu werden, und zeigt, dass es letztlich – vielleicht gerade für eine Frau – darum geht, sich selbst zu lieben, und zwar nicht als „Frau von“, „Geliebte des“oder als Mutter, Tochter, Enkelin, sondern um ihretwille­n, als Frau – und Punkt. Wie der Titel „Yseut.“impliziert.

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 ?? [ Foto: Philipp Horak/Agentur Anzenberge­r ] ?? Für „echte Fiktion“(statt „true story“): Marlene Streeruwit­z.
[ Foto: Philipp Horak/Agentur Anzenberge­r ] Für „echte Fiktion“(statt „true story“): Marlene Streeruwit­z.

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