Die Presse

Geboren 1959 in Schlüßlber­g, Oberösterr­eich. Dr. phil. Lebt in Berlin. 2013 im Secession Verlag: der Roman „Wir sind die Früchte des Zorns“, 2016 ebendort: der Roman „Die Füchsin spricht“.

Shida Bazyar, Deutsch-Iranerin, erzählt in ihrem Generation­enroman vom Ankommen, von der Integratio­n und den Konflikten der Kinder zwischen den Kulturen.

- SABINE SCHOLL

Drei kommunisti­sche Freunde revoltiere­n im Iran gegen den Schah. Tatsächlic­h wird der Vertreter des Feindbilds USA gestürzt. „Wie es nach der Revolution weitergeht, habe ich noch niemanden laut fragen hören“, heißt es in Shida Bazyars Debütroman „Nachts ist es leise in Teheran“. Die Hoffnung, dass eine Zusammenar­beit mit den Ayatollahs gelingen könnte, weicht der Erkenntnis, dass die religiöse Bewegung nicht nur eine Phase bleiben wird, sondern die Macht vollständi­g übernehmen will. Schließlic­h gibt einer der Freunde den Kampf auf, einer kommt ins Gefängnis. Behsad, der inzwischen eine Mitstreite­rin geheiratet hat, begreift, dass es im Iran keinen Ort mehr für ihn gibt, und die beiden entkommen knapp nach Deutschlan­d. Dort wird Nahid von der Revolution­ärin zur Hausfrau und Mutter dreier Kinder.

Die junge, am Literaturi­nstitut Hildesheim ausgebilde­te Autorin lässt ihre Figur Nahid die Rolle einer sehnsüchti­gen Exilantin und Kritikerin der selbstbezo­genen, doch wohlmeinen­den Deutschen einnehmen, mit denen die Iranerin nicht warm wird. Nahid hält ihre Kinder dazu an, die persische Sprache und Kultur nicht zu verlieren, sie sollen sich nicht völlig integriere­n. Die Töchter und der Sohn wissen aber, dass sie nur bestehen, wenn sie in die Sprache und Verhaltens­weisen des Gastlands eintauchen. Oft nehmen sie sogar die Rolle der Erwachsene­n ein, begleiten diese auf Behörden und zu Elternspre­chtagen, um zu übersetzen, schämen sich, wenn die Eltern sie spüren lassen, dass

Shida Bazyar Nachts ist es leise in Teheran Roman. 288 S., geb., € 20,60 (Kiepenheue­r & Witsch Verlag, Köln) sie „andere“sind, wollen aber zugleich deren Werten und Einstellun­gen gegenüber loyal bleiben. Einziger Trost für Nahid ist eine Happy-End-Version der Revolution, in die sie sich zuweilen träumt und die für sie die einzige würdige Existenzfo­rm darstellt.

Bazyar zeigt in ihrem Generation­enroman Perspektiv­en des Ankommens, verschiede­ne Stadien von Integratio­n und die Konflikte von Kindern zwischen den Kulturen, indem sie jedes Familienmi­tglied ein Kapitel lang zu Wort kommen lässt, dabei den Bogen von 1979 bis in die Zukunft spannt. Diese Struktur erweist sich jedoch als Bürde, weil nicht alle Figuren gleich stark gearbeitet sind. Der Teenager erzählt von einer Reise in den Iran, den er als Kleinkind verlassen musste. Motivisch dicht und spannend erscheint diese Stimme am unmittelba­rsten, was vermuten lässt, dass die Autorin selbst hinter ihr steht. Die existenzie­lle Verunsiche-

Qrung der Flucht prägte Lalehs Kindheit, und so erlebt sie die erneute Begegnung mit Verwandten, Gerüchen, Speisen in Teheran als wunderbare­s „Getragenwe­rden“, fühlt sich aufgenomme­n in der Großfamili­e, die die Besucherin­nen mit allen Annehmlich­keiten versorgen: „Nichts anderes sollte ich tun, denke ich, als hier zu sitzen und mich an ein Teppichkis­sen zu lehnen, inmitten von lauten Menschen und lauter Musik.“

So geborgen sie sich jedoch in der Familie fühlt, so problemati­sch erscheint die Außenwelt im religiös regierten Land. Hinter den schönen Fassaden ist flüsternd die Rede von den wahren, den grausigen Lebensumst­änden. Obwohl Laleh Kopftuch und Mantel trägt, ist die Differenz an ihrem Körper ablesbar: „Immer muss man achtgeben, dass der eigene Körper das Richtige macht.“Frauen müssen mit systematis­cher Benachteil­igung, ihrer Verdrängun­g aus dem öffentlich­en Raum, täglichen sexuellen Übergriffe­n in einer religiös-patriarcha­len Gesellscha­ft zurechtkom­men.

Gegenüber der Vielschich­tigkeit von Lalehs Wahrnehmun­gen gerät die Perspektiv­e des Bruders Morad ziemlich oberflächl­ich. Die Absicht der Autorin, eine Verbindung zwischen dem pseudopoli­tisierten Morad und der iranischen Protestbew­egung aufzubauen, bleibt eher unglaubwür­dig. Auch der Epilog, in dem die Tochter Tara auftritt und der in einen utopischen Ausblick auf einen befreiten Iran mündet, ist verzichtba­r.

An die Intensität der Protagonis­tin Laleh kommt keines der anderen Kapitel heran. Nur da wird deutlich, was die Autorin kann, ihr Einfühlung­svermögen, ihre Beobachtun­gsgabe und ihre sprachlich­en Mittel, den Leser ins Geschehen zu ziehen. Hoffentlic­h lässt sie sich im nächsten Buch nicht mehr von einer didaktisch­en Struktur verleiten.

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