Die Presse

„Die EU-Sanktionen gegen Russland funktionie­ren“

Interview. Die ukrainisch­e Politikeri­n Iryna Heraschtsc­henko verlangt von Europa eine Fortführun­g der Sanktionsp­olitik und macht Russland für den Stillstand bei den Minsker Gesprächen verantwort­lich. Die Menschen im abtrünnige­n Donbass will sie durch Wied

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Ihr Job ist alles andere als leicht: Iryna Heraschtsc­henko verhandelt für die ukrainisch­e Seite bei der Trilateral­en Kontaktgru­ppe, die in vier Arbeitsgru­ppen (Sicherheit, Politik, Humanitäre­s, Wirtschaft) regelmäßig in Minsk tagt. Die Vizevorsit­zende der Kiewer Rada war gestern in Wien, um vor dem OSZE-Vorsitz Österreich­s im nächsten Jahr um Verständni­s für die ukrainisch­e Position zu werben.

Die Presse: Hat Österreich ein klares Bild von der Lage in der Ukraine? Iryna Heraschtsc­henko: In Österreich weiß man wenig darüber, welche Reformen die Ukraine unter Kriegsbedi­ngungen durchführt: Reform des Militärs, Dezentrali­sierung, Justizrefo­rm. Das wichtigste für uns ist die Sicherheit. Leider bekomme ich oft zu hören, dass die EU-Sanktionen gegen Russland nicht funktionie­rten, dass man sie abschaffen sollte. Sie funktionie­ren aber. Unsere Verluste haben sich vermindert. Moskau sind die Hände gebunden. Sanktionen sind eine Investitio­n in den Frieden. Davon profitiert auch die Wirtschaft.

Bis dahin ist es ein langer Weg. Es ist kein Punkt des Minsk-Abkommens erfüllt. Moskau ist nicht an einer Stabilisie­rung interessie­rt. Jeden Tag wird der Waffenstil­lstand gebrochen – laut der neutralen OSZE, der Österreich bald vorsitzt. Nach den OSZE-Berichten verursache­n prorussisc­he Kämpfer 85 Prozent der Zerstörung­en. Wir haben eine 400 Kilometer lange unkontroll­ierte Grenze, über die Waffen herbeigesc­hafft werden. Deshalb ist für die Ukraine die Wiederhers­tellung der Grenzkontr­olle so wichtig. Wir verlangen eine fünfte Gruppe in Minsk zu diesem Thema. Jede Konfliktpa­rtei nimmt aus Minsk jene Punkte, die ihre Position stärkt. Für Sie ist es die Grenzkontr­olle, die Gegenseite will zuerst Amnestie und politische Reformen von der Ukraine. Österreich­ische Politiker müssen die Haltung der Kiewer Rada verstehen. Wie sollen die Abgeordnet­en in einem Territoriu­m, das voller Waffen ist, für Lokalwahle­n ist Kiews Beauftragt­e für Humanitäre­s bei den Gesprächen in Minsk, die den Krieg im Donbass beruhigen sollen. Die frühere Journalist­in (u. a. TV-Kanal Inter) zog mithilfe der Partei von Präsident Poroschenk­o ins Parlament ein. stimmen? Die Europäer wollen, dass dort Wahlen abhalten werden. Wer aber garantiert die Sicherheit der Organisato­ren? Wir wollen den Konflikt regulieren, nicht einfach ein Häkchen auf der Liste machen. Wenn die Vorbedingu­ngen erfüllt sind, ist die Abstimmung im Parlament möglich. Bezüglich Amnestie: Diese wird üblicherwe­ise nach Beendigung der Kämpfe erlassen.

Oft heißt es, Minsk sei tot und werde niemals erfüllt werden. Glauben Sie selbst noch daran? Minsk ist kein Selbstläuf­er, es existiert im Kontext der NormandieG­ruppe. Heute blockiert Russland das Normandie-Format. Das wirkt sich auf Minsk aus. Dennoch gelingt uns einiges: Gefangenen­austausch, Entminungs­arbeiten. Es wurden unlängst drei Gebiete definiert, aus denen sich die Verbände beider Seiten zurückzieh­en sollen. Hat die Ukraine eine Strategie für den abtrünnige­n Donbass? Wir befürworte­n eine vollständi­ge Reintegrat­ion der Territorie­n. Wir wollen auch unsere Verpflicht­ungen gegenüber unseren Bürgern erfüllen. Die Pensionsza­hlungen müssen jedoch auf ukrainisch kontrollie­rtem Gebiet stattfinde­n.

Die Mehrheit der dortigen Bevölkerun­g steht einer solchen Reintegrat­ion skeptisch gegenüber. Diese Leute leben im Informatio­nsvakuum, jeden Tag bekommen sie Schreckens­geschichte­n präsentier­t. Sie lehnen auch die Separatist­enführung ab. Sie wollen, dass es wie früher ist, wie vor dem Krieg. Wenn es erst einmal Sicherheit gibt, kann man miteinande­r reden und sich näherkomme­n. Das ist der Beginn der Reintegrat­ion: Kommunikat­ion, humanitäre Projekte und Infrastruk­turaufbau. (som)

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