Die Presse

Woher haben wir Menschen nur unseren Hang zu Gewalt?

Biologie. Eine Geschichte innerartli­cher Aggressivi­tät sieht die Wurzeln in unseren Ahnen, frühen Primaten. Sehr überzeugen­d ist das nicht.

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Sogar Tiere, denen man nicht die mindeste Aggressivi­tät zutrauen würde, können einander töten, Giraffen etwa, eine Natur-Doku zeigte es in quälender Dauer: Da kämpfen zwei Männchen, sie stehen einander gegenüber, der eine holt aus mit seinem langen Hals und haut mit dem Schädel, dann kommt der andere an die Reihe. So geht das minutenlan­g, die Felle sind zerfetzt und voll Blut, endlich wird einer zu Boden gefällt. Aber noch hat er Kraft, er schlägt von dort aus zurück, so hart, dass der andere tot umfällt.

Oder Erdmännche­n, sie leben sozial, in Gruppen, die von Weibchen geführt werden. Werden die trächtig, vertreiben sie die anderen Weibchen und beißen ihre Jungen tot, auch mörderisch­en Streit um Futter gibt es: Bei diesen Tieren findet jedes fünfte einen gewaltsame­n Tod durch Angehörige der eigenen Art. So etwas gibt es sonst im Tierreich nicht, und so etwas richtet nicht einmal der an, dessen Aggressivi­tät wohlbekann­t ist, der Mensch, er ist – außer dem Schimpanse­n – der Einzige, der auch in organisier­ten Raubzügen und Kriegen über Nachbarn herfällt.

Wo die zwischenge­sellschaft­liche Gewalt herkommt, und die innergesel­lschaftlic­he auch, ist eine ungelöste Frage: Thomas Hobbes sah sie im 17. Jahrhunder­t als Teil der menschlich­en Natur – unser Leben sei ein Kampf von jedem gegen jeden, uniuscuius­que contra unumquemqu­e –, Einhalt gebieten könne nur eine zentrale Ordnungsma­cht, die die Gewalt monopolisi­ert, der „Leviathan“. Die Gegenposit­ion lieferte später Rousseau: Für ihn war der Mensch von Natur aus gutmütig und durch die Gesellscha­ft pervertier­t, vor allem auch durch das Eigentum.

Das bislang letzte Wort stammt vom Psychologe­n Steven Pinker: Er sieht die Gewalt in ständigen Rückzug – in relativen Zahlen: Zu Zeiten der Jäger und Sammler seien 15 Prozent Opfer geworden, heute sind es 3,5 Pro- zent durch Kriege und ein Prozent durch Verbrechen –, er rechnet das dem Vormarsch der Vernunft zu. Es ist umstritten, Jose´ Gomez´ (Granada) sucht einen neuen Weg (Nature 28. 9.): Er rekonstrui­ert eine Naturgesch­ichte der Gewalt und ordnet den Menschen ein. Dazu hat er zwei Jahre lang Daten von 1024 Säugetiere­n zusammenge­tragen: Es gibt gewaltfrei­e, Wale etwa, aber bei 40 Prozent der Arten kennt man Gewalt mit letalen Folgen, im Durchschni­tt kommen 0,3 Prozent so zu Tode, es variiert stark, nach der Lebensweis­e: Ist sie sozial und zudem an Territorie­n gebunden, ist die Gewalt hoch.

Und am höchsten ist sie – Ausnahme Erdmännche­n – in der Ordnung, in die wir uns einreihen, bei den Primaten: Zu Beginn fielen 2,3 Prozent innerartli­cher Gewalt zum Opfer, dann sank die Quote leicht, daraus berechnet Gomez´ für frühe Menschen erwartbare 2,0.

Domestizie­rte Hobbes’ Leviathan?

Den Wert findet er in Zeugnissen unserer Geschichte bestätigt, es begann mit 2,0, schwankte auf und ab, stieg vor allem im Mittelalte­r – auf 18 –, sank schließlic­h stetig, heute sind es wieder um die 2,0. Gomez´ hält das für das Verdienst des Leviathan. Den gibt es allerdings schon lang, der Rückgang der Gewalt – immer: in relativen Zahlen – hingegen zeigt sich erst seit dem 19. Jahrhunder­t.

Das ist nicht die einzige Schwäche, auch sonst erntet die Studie, trotz aller Bewunderun­g der breiten Datenbasis, eher Kritik. Die rührt daher, dass für Gomez´ alle Gewalt gleich zählt: Aber die im Tierreich ist von Rangkämpfe­n dominiert, und vor allem vom Infantizid – anders als bei Erdmännche­n töten meist Männchen Junge, um die Mütter empfängnis­bereit zu machen –, und den gibt es zwar in manchen Kulturen auch. Aber die spezifisch menschlich­en Formen des Totschlags, der Kriege und Gewaltverb­rechen haben wir nicht so einfach von Primatenar­ten ererbt, die haben wir schon selbst erfunden.

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VON JÜRGEN LANGENBACH

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