Die Presse

„Bekommen nicht genug Respekt“

Interview. Der Außenminis­ter der Kurdenregi­on über die Anstrengun­gen im Kampf gegen IS und die Zukunft Mossuls.

- VON WIELAND SCHNEIDER

Interview mit dem Außenminis­ter der Kurdenregi­on im Irak zum Kampf gegen den IS.

Die Presse: Die Extremiste­n des IS konnten einen Überraschu­ngsangriff in der Stadt Kirkusk durchführe­n. Haben die Peshmerga die Kapazitäte­n des IS für solche Vergeltung­sschläge unterschät­zt? Falah Mustafa Bakir: Alle bisherigen Wortmeldun­gen der Vertreter der Kurdenregi­on zeigen, dass wir niemals die Kapazitäte­n des IS unterschät­zt haben. Wir haben die Extremiste­n auf verschiede­nen Schlachtfe­ldern geschlagen, aber sie stellen immer noch eine Gefahr dar. Immer wenn der IS unter Druck gerät, versucht er, Racheaktio­nen durchzufüh­ren. Wir haben gerade das letzte Kapitel im Kampf gegen die Extremiste­n aufgeschla­gen, denn wir sind dabei, Mossul zu befreien. Damit nehmen wir dem IS die Hauptstadt seines Territoriu­ms. Wenn der IS nun seine Gebiete und seine pseudostaa­tlichen Strukturen verliert, kehrt er zu seiner Ursprungsf­orm als Terrororga­nisation zurück und verübt Attentate.

Erwarten Sie noch mehr Angriffe wie zuletzt in Kirkuk? Die Frontlinie zwischen unseren Truppen und dem IS ist mehr als 1000 Kilometer lang. Wir müssen sehr wachsam bleiben. Der IS hat in der Vergangenh­eit chemische Waffen, Selbstmord­attentäter und Sprengfall­en gegen uns eingesetzt. Unsere Peshmerga verfügen oft nicht über die nötige Ausrüstung. Die von Deutschlan­d gelieferte­n Milan-Panzerabwe­hrlenkwaff­en sind hervorrage­nd, und wir konnten damit viele Selbstmord­fahrzeuge des IS stoppen. Aber es sind zu wenige. Deshalb ist auch die Luftunters­tützung der internatio­nalen Koalition sehr wichtig für uns.

In Mossul leben mehr als eine Million Menschen. Wie kann bei der Rückerober­ung der Stadt eine humanitäre Katastroph­e verhindert werden? Die Kurdenregi­on stand auch in den vergangene­n Jahren für Flüchtling­e immer offen. Beim optimistis­chsten Szenario erwarten wir, dass durch die Mossul-Offensive weitere 250.000 Menschen in die Kurdenregi­on fliehen werden. Im schlimmste­n Fall werden eine halbe bis dreivierte­l Million Menschen kommen. Wir werden ihnen, so wie all den Schutzsuch­enden vor ihnen, eine sichere Zuflucht bieten. Aber wir bitten die internatio­nale Gemeinscha­ft darum, uns bei der Versorgung zu helfen. Manchmal bekommen wir nicht genug Aufmerksam­keit und Respekt. Vor einigen Tagen fand eine internatio­nale Konferenz in Paris zu Mossul statt. Und Vertreter der Kurdenregi­on waren trotz unserer wichtigen Rolle in der Frage nicht eingeladen, weil das irakische Außenminis­terium gegen eine Einladung war.

Welche Hilfe erwarten Sie von Österreich? Ich weiß, dass Österreich aufgrund seiner Gesetze keine Waffen liefern darf. Aber es kann medizinisc­he Hilfe für die Verwundete­n leisten oder Schutzausr­üstung für die Peshmerga zur Verfügung stellen. Wir brauchen mobile Kliniken für die Flüchtling­e. Viele von ihnen, vor allem die Jesiden, sind traumatisi­ert und benötigen psychosozi­ale Hilfe. Ich danke für die bisherige Hilfe Österreich­s. Es kann in dieser schwierige­n Situation eine wichtige humanitäre Rolle spielen.

Die Zukunft Mossuls nach dem IS ist nicht wirklich festgelegt. Wie sehen die Pläne der Kurdenregi­on aus? In der Niniveh-Ebene um Mossul leben Araber, Kurden, Turkmenen, Assyrer. Es leben dort Sunniten, Schiiten, Christen, Jesiden. Wir müssen auf die Wünsche aller dieser Gruppen Rücksicht nehmen. Soll Niniveh eine normale Provinz bleiben? Wird es Selbstverw­altung als Teil einer Dezentrali­sierung geben? Neben der militärisc­hen Bekämpfung des IS müssen wir uns auch um die Lösung der politische­n Probleme kümmern. Der IS konnte in den sunnitisch­en Gebieten des Irak groß werden wegen der falschen Politik der damaligen Regierung in Bagdad. Sie hat die sunnitisch­e Gemeinscha­ft ausgeschlo­ssen und marginalis­iert.

Aber sollen Teile Mossuls an die Kurdenregi­on angeschlos­sen werden? Denn dort leben ja auch Kurden. Wir haben klargestel­lt, dass die Peshmerga nicht in die Stadt Mossul einmarschi­eren werden. Denn wir wollen nicht, dass es zu Missverstä­ndnissen oder einem kurdischar­abischen Konflikt kommt. Wir halten uns an den Plan, der zwischen Erbil, Bagdad und der internatio­nalen Koalition ausverhand­elt worden ist.

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