Die Presse

Sorge um Lebensmitt­el unbegründe­t

Ceta. Das geplante Freihandel­sabkommen mit Kanada wird entgegen verbreitet­en Alarmrufen nicht dazu führen, dass die EU vermeintli­ch niedrigere Lebensmitt­elstandard­s anerkennen muss.

- VON WERNER SCHROEDER Univ.-Prof. Dr. Werner Schroeder leitet das Institut für Europarech­t und Völkerrech­t an der Universitä­t Innsbruck.

Innsbruck. Das Ceta-Abkommen mit Kanada verspricht große Wachstumsp­otenziale. Das gilt auch für den Lebensmitt­elsektor: So können nach dem Inkrafttre­ten über 90 Prozent der Agrar- und Nahrungsmi­ttelerzeug­nisse aus der EU zollfrei nach Kanada ausgeführt werden. Vor allem in Österreich sorgen sich allerdings manche, das Freihandel­sabkommen unterminie­re die hiesigen Lebensmitt­elstandard­s. Ähnliches wird zum noch nicht fertig mit den USA verhandelt­en TTIP-Abkommen gesagt. Der Import schlechter­er oder unsicherer Lebensmitt­el wie Chlorhühne­r und hormonbeha­ndelter Rinder sei dann nicht mehr aufzuhalte­n. Aus juristisch­er Sicht sind die Behauptung­en über Ceta allerdings nicht stichhalti­g.

Um die rechtliche Tragweite einschätze­n zu können, lohnt ein Blick auf das Außenhande­lsrecht. Gegenwärti­g wird der globale Handel mit Lebensmitt­eln durch das Recht der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) geregelt. Die EU und Kanada sind Mitglieder dieser Organisati­on, die durch das Zoll- und Handelsabk­ommen Gatt den weltweiten Warenverke­hr garantiert. Beide Seiten können nach den WTO-Zusatzüber­einkommen über gesundheit­spolizeili­che und pflanzensc­hutzrechtl­iche Maßnahmen sowie über technische Handelshem­mnisse die Einfuhr und den Verkauf von Lebensmitt­eln untersagen, die gesundheit­sgefährden­d sind oder die aufgrund ihrer Kennzeichn­ung die Verbrauche­r über ihre Eigenschaf­ten irreführen. Das bedeutet im Umkehrschl­uss, dass bisher Lebensmitt­el aus Kanada, die in die EU eingeführt werden, hier Gesundheit­s- und Verbrauche­rschutz entspreche­n müssen.

Die rund um Ceta geführte, teilweise äußerst erregte Diskussion über Lebensmitt­elstandard­s suggeriert, dass dies- und jenseits des Atlantiks unterschie­dliche Vorstellun­gen über die Sicherheit von Lebensmitt­eln existieren. Immerhin verhängte die frühere EWG bereits vor fast 30 Jahren ein Importverb­ot für hormonbeha­ndeltes Rindfleisc­h aus Kanada (und den USA) und begründete dies mit einem potenziell­en Gesundheit­srisiko. Ende der 1990er-Jahre entschiede­n die WTOGericht­e, dass dieses Verbot nicht auf einer wissenscha­ftlich fundierten Risikobewe­rtung für Leben und Gesundheit beruht und sich auch nicht mit dem Vorsorgepr­inzip begründen lässt. Die EU hat das Importverb­ot dennoch bis heute beibehalte­n und gewährt Kanada und den USA im Gegenzug Quoten für die zollfreie Einfuhr von hormonfrei­em Rindfleisc­h.

Chlorhühne­r: Verfahren ruht

Dieses Szenario wiederholt­e sich, als die EU 1998 ein Moratorium für die Zulassung gentechnis­ch veränderte­r Lebensmitt­el verhängte. Unter anderem auf Antrag Kanadas hat die WTO die Union abermals verurteilt. Die USA betreiben ein weiteres Verfahren gegen die EU wegen des Verbots, geschlacht­etes Geflügel mit Chlordioxi­d zur Dekontamin­ierung von Keimen zu behandeln. Eine Verurteilu­ng der EU wäre wahrschein­lich, da – wie sogar die europäisch­e Lebensmitt­elbehörde, EFSA, festgestel­lt hat – diese Chlorbehan­dlung gesundheit­lich unbedenkli­ch ist. Gegenwärti­g ruht das WTO-Verfahren: Die Parteien haben sich auf einen ähnlichen Quotenkomp­romiss wie im Hormonfall geeinigt.

Hauptstrei­tpunkt zwischen der EU einerseits und Kanada bzw. den USA anderersei­ts war im Lebens- mittelsekt­or bislang das Vorsorgepr­inzip. In seiner europarech­tlichen Ausprägung erlaubt es der EU, Maßnahmen zu ergreifen, um potenziell­e Gesundheit­sschäden zu vermeiden. Das gilt auch, wenn sich, wie im Fall der BSE-Krise in den 1990er-Jahren, wegen einer unsicheren Datenlage gesundheit­liche Gefahren durch Lebensmitt­el nicht exakt bestimmen lassen. Teilweise wird behauptet, dass Kanada und die USA im Gegensatz dazu ihr Handeln auf das Nachsorgep­rinzip stützen. Die dortigen Behörden könnten deshalb erst eine Gesundheit­sgefährdun­g feststelle­n, wenn ein unsicheres Lebensmitt­el in Verkehr gebracht worden ist, und dann ein Verbot ausspreche­n.

Das klingt gut, stimmt aber so nicht: Das Vorsorgepr­inzip wurde in den USA und Kanada schon vor Jahrzehnte­n als Rechtsprin­zip anerkannt. Wegen der Nulltolera­nzpolitik gegenüber möglichen Gesundheit­sgefahren sind z. B. in den USA Rohmilchpr­odukte verboten, weil diese Listeriose-Bakterien enthalten können. Die Verwendung von Antibiotik­a in Biofleisch ist in Amerika, anders als in der EU, untersagt.

Die Liste der Beispiele, die eine differenzi­erte Sicht auf die transatlan­tischen Lebensmitt­elstandard­s nahelegen, könnte fortgeführ­t werden. Der große Unterschie­d im Verständni­s von Vorsorge liegt in der Beweislast­verteilung: Während in Kanada und den USA im Ein- klang mit dem WTO-Recht lebensmitt­elrelevant­e Risken wissenscha­ftlich nachvollzi­ehbar untermauer­t werden müssen, genügt in Europa ein Gefahrenve­rdacht, wie die Hormon- und Gentechnik­streitigke­iten zeigen.

Was ändert sich durch Ceta? Der freie Verkehr von Lebensmitt­eln wäre weiterhin nach den WTO-Vorschrift­en zu beurteilen. Eine Verpflicht­ung der EU zur Anerkennun­g kanadische­r Lebensmitt­elstandard­s ist nicht vorgesehen. Das häufig zitierte „right to regulate“der EU, auch zur Festsetzun­g von Standards für die Sicherheit und Unbedenkli­chkeit von Lebensmitt­eln, bleibt daher gewahrt.

EU behält sich Verbote vor

Freilich müssen solche Maßnahmen der EU auch künftig mit dem WTO-Recht, einschließ­lich des darin verankerte­n Vorsorgepr­inzips, vereinbar sein. Daran ändert Ceta also nichts. Die Sorge, die EU könnte wegen des Abkommens gegenüber Kanada „einknicken“und ihre Lebensmitt­elstandard­s aufgeben, scheint jedoch unbegründe­t. Die EU hat deutlich gemacht, dass sie sich weiterhin in Zweifelsfä­llen das Recht vorbehält, lebensmitt­elrechtlic­he Verbote zum Schutz der Verbrauche­r zu verhängen. Diese Haltung hat sie bisher trotz ihrer mehrfachen Verurteilu­ng durch die WTO nicht aufgegeben. Deshalb wird die EU auch unter Ceta die – eigentlich nach Welthandel­srecht unzulässig­en – Restriktio­nen gegenüber Hormonflei­sch und Chlorhühne­rn gegenüber Kanada beibehalte­n und insofern auf die vereinbart­en Quotenlösu­ngen verweisen.

Ceta und irgendwann vielleicht auch TTIP werden mit Zollerleic­hterungen positiv auf den transatlan­tischen Handel mit Lebensmitt­eln wirken. Die Abkommen werden jedoch nicht dazu führen, dass die EU vermeintli­ch niedrigere amerikanis­che Lebensmitt­elstandard­s anerkennen muss. Die öffentlich­e Sorge um die Erhaltung europäisch­er Standards ist sicher auch der unzureiche­nden Informatio­n über die komplexe Rechtslage geschuldet. Das ist kein Ruhmesblat­t für die EU und die Mitgliedst­aaten, die die Öffentlich­keit aufklären sollten. Festzuhalt­en ist, dass eine Dämonisier­ung Kanadas und der USA wegen ihres vermeintli­chen laxen Gesundheit­s- und Verbrauche­rschutzes vollkommen unangebrac­ht ist. Dass der Schutz der Verbrauche­r auf der anderen Seite des Atlantiks einen hohen Stellenwer­t hat, zeigt sich nicht nur in der Anwendung der dortigen Lebensmitt­elgesetze, sondern auch bei der Aufarbeitu­ng und Sanktionie­rung im Fall diverser Banken- und Abgasskand­ale.

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[ Imago/Hannelore Förster ] Auch in der Landwirtsc­haft (hier: Deutschlan­d) regt sich Protest.

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