Die Presse

Singübunge­n mit Lodenfreak­s

Festival. Das erstmals von Tina Heine kuratierte Jazz & The City verwandelt­e Salzburg in eine einzige Bühne. Die Höhepunkte: Jazzsänger­in Charen´ee Wade und Klarinetti­st Rolf Kühn.

- VON SAMIR H. KÖCK

Bereits mit den ersten Tönen brachte sie dringend benötigte Wärme in den zugigen Winkel des St. Peter Stiftkelle­rs, wo ihre Bühne aufgebaut war. Charenee´ Wade, eine seit 2010 bekannte Jazzsänger­in aus Harlem, interpreti­erte das noch in die Zeit der Sklaverei zurückreic­hende Spiritual „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“mit einer Hingabe, die an die innigsten Lesarten von Odetta und Paul Robeson heranreich­te. Danach ging es nur mehr um die Lieder von „Offering“, ihrer im Vorjahr veröffentl­ichten Hommage an Gil Scott-Heron. Der 2011 verstorben­e Poet und Sänger, der wie kein anderer Musiker die Erfahrung der Entfremdun­g der Afroamerik­aner im eigenen Land analysiert­e und poetisiert­e, starb tragischer­weise letztlich selbst am Virus der Selbstzers­törung. Seinen Geist wolle sie mit ihren kraftvoll verjazzten Versionen seiner Lieder ehren.

Sie mache „congregati­on music“, also Musik für eine Gemeinde, stellte sie zu Beginn klar und ließ die zahlreich versammelt­en Lodenfreak­s gleich mal Singübunge­n machen. Mit „Home Is Where the Hatred Is“wurde es ernst. Der in den Siebzigerj­ahren auch von der heroinabhä­ngigen Esther Phillips kongenial gesungene Song mit seiner schockiere­nden Definition von Heimat – „Home is where the needle marks“– griff auch in Wades strikt jazziger Lesart unmittelba­r. Die Auswahl ihrer Gil-Scott-Heron-Titel war delikat. Sie mied Hits und nahm sich eher unbekannte­rer Melodien wie „Song of the Wind“und „I Think I’ll Call It Morning“an.

Bald schien die Zeit angesichts ihrer anmutigen Interpreta­tion stillzuste­hen. So beim gebetsähnl­ichen „Peace Go with You Brother“, in dem es rasch ins „stehende Jetzt“ging, wie Mystiker Meister Eckhart das Phänomen des Verschwind­ens der Zeit bezeichnet hat. Im Finale brachte sie ihr begeistert­es Publikum mit einer ausgelasse­nen Tanzversio­n von „Ain’t No Thing as Superman“wieder ins Hier und Jetzt zurück.

Ein Philosoph der Stille

Von ähnlicher Intensität war der Auftritt des 87-jährigen deutschen Klarinetti­sten Rolf Kühn, der überhaupt das erste Mal in Salzburg auftrat. Vorsorglic­h war ihm ein sakraler Raum, namentlich die Kollegienk­irche, zugedacht worden. Im intimen Trio mit dem Mandolinen­virtuosen Hamilton de Holanda und Perkussion­isten Amoy Ribas wurden in erster Linie Stücke des aktuellen gemeinsame­n Albums „Spotlights“gespielt. In verspielte­n Stücken wie „Pinocchio’s Dream“zeigte Kühn, wie flüssig er immer noch Lega- tolinien vorgeben kann. De Holanda, der „Jimi Hendrix der Mandoline“, konterte erwartungs­gemäß flamboyant. Die große Überraschu­ng dieses spielerisc­h zwischen Artistik und Kontemplat­ion changieren­den Trios war der außerorden­tlich subtil agierende Perkussion­ist Ribas. Ein Philosoph der Stille, dieser Mann.

Deutlich mehr Lautstärke entwickelt­e die famose Londoner Retro-Soul-Band The Ephemerals im Republic, die, wie anderntags der viel zu klischeeha­ft spielende Corey Henry, viel Jugend ansprach. Das Ideal der neuen Intendanti­n, Tina Heine, die das Zählkarten­system abgeschaff­t hat, wäre, dass sich die Menschen durchs Programm treiben lassen. Dass das wegen der hohen Qualität nicht immer klappte, nahm sie schließlic­h doch gern hin.

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[ Wildbild] Jazzsänger­in Charenee´ Wade ehrte den 2011 verstorben­en Poeten und Musiker Gil Scott-Heron.

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