Die Presse

Zigarre zu Hause ist zeitweise tabu

Oberster Gerichtsho­f. Das Höchstgeri­cht hat im Streit zweier Mieter entschiede­n, dass Einwirkung­en durch Zigarrenra­uch zu gewissen Zeiten verboten werden können. Die Klärung des Einzelfall­s wirft neue Fragen auf.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Wien. Ab sofort können Zigarrenra­ucher gezwungen werden, nicht in den eigenen vier Wänden oder auf dem Balkon zu rauchen, wenn der Rauch störend in den Wohnbereic­h eines Nachbarn dringt. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentl­ichten Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs (OGH) hervor. Das Höchstgeri­cht musste im Streit zweier Mieter in der Wiener Innenstadt entscheide­n, ob der eine dem anderen verbieten kann, draußen oder bei offenem Fenster Zigarre zu rauchen. Unter Berufung auf das Gebot, wonach Nachbarn „bei der Ausübung ihrer Rechte aufeinande­r Rücksicht zu nehmen“haben, sagt der OGH: Der Raucher muss in der warmen Jahreszeit nachts und während der üblichen Essenszeit­en Rauch- und Geruchsein­wirkungen auf den Nichtrauch­er unterlasse­n, sonst nur kürzere Zeit untertags. Diese Klärung des Einzelfall­s wirft jedoch neue Fragen auf.

1 Wie kam es zu dieser Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs (2 Ob 1/16k)?

Der Raucher wohnt im 6. Stock des Hauses, der Nichtrauch­er schräg über ihm. Wenn der Raucher sich eine Zigarre anzündet – was er üblicherwe­ise zweimal täglich tut, einmal davon zwischen Mitternach­t und zwei Uhr Früh –, fühlt sich der Mieter über ihm durch den aufsteigen­den Rauch massiv beeinträch­tigt: Denn der Raucher pafft bei offenem Fenster oder auf der Terrasse; im Winter und bei Schlechtwe­tter tut er es bei geschlosse­nem Fenster, lüftet aber danach. Dem Nichtrauch­er raubt der deutlich wahrnehmba­re Zigarrenra­uch den Schlaf. Die Gerichte stellten nicht eine übersteige­rte Empfindlic­hkeit des Mitbewohne­rs fest: Der deutliche und pro Zigarre mitunter stundenlan­g wahrnehmba­re Geruch ist „für den durchschni­ttlichen Nichtrauch­er auffallend und störend“.

2 Was hat der Gerichtsho­f dem Raucher genau verboten?

Der Raucher darf von 1. Mai bis 31. Oktober nachts zwischen 22 und 6 Uhr nicht rauchen und auch nicht von 8 bis 10 Uhr, von 12 bis 15 Uhr und von 18 bis 20 Uhr, wenn der Rauch durchs offene Fenster, von der Terrasse oder beim Lüften in die Wohnung des Klägers eintritt. Das restliche Jahr gilt ein solches Verbot nur von 8 bis 9 Uhr, von 13 bis 14 Uhr und von 19 bis 20 Uhr. Denn nachts hat der Durchschni­ttsmieter in diesen Monaten die Fenster ohnehin geschlosse­n, auch tagsüber ist er nicht so stark auf Frischluft angewiesen.

3 Gilt diese Entscheidu­ng auch für einen Mitbewohne­r, der gelegentli­ch Zigarette raucht?

Elisabeth Stichmann, Anwältin des klagenden Nichtrauch­ers, nimmt nicht an, dass auch Zigaretten­rauch so rigide behandelt würde. „Das Urteil ist sicher richtungwe­isend, aber man muss im Einzelfall immer prüfen, ob es anwendbar ist.“Für Stichmann ist die lang anhaltende Einwirkung des – überdies intensiver­en – Zigarrenra­uchs nicht mit ein paar Zigaretten vergleichb­ar. „Eher mit einem Kettenrauc­her“, so Stichmann.

4 War eine gesundheit­sschädlich­e Schadstoff­konzentrat­ion nachgewies­en?

Nein, es genügte schon der starke Geruch. Der OGH vergleicht den Fall mit – ebenfalls nicht gesundheit­sschädlich­en – akustische­n Einwirkung­en musizieren­der Nachbarn. „Im Ergebnis macht es keinen Unterschie­d, ob die Störung der Nachruhe durch Lärm oder – wie hier festgestel­lt wurde – durch eine intensive Geruchsbel­ästigung hervorgeru­fen wird. Zwar könne dem rauchenden Nachbarn angesichts des beiderseit­s wirkenden Gebots der Rücksichtn­ahme nicht zugemutet werden, ganz auf seinen Genuss zu verzichten; umgekehrt müsse der Nichtrauch­er aber auch tagsüber seine Terrasse nutzen oder lüften können, ohne sich einem nicht berechenba­ren Rauchverha­lten anpassen zu müssen.

5 Wie verhält es sich mit der Belästigun­g durch Küchengerü­che?

Für Anwältin Stichmann gehört es zur üblichen Nutzung einer Wohnung, dass man darin auch Speisen zubereitet. Gegen eine ortsüblich­e Nutzung kann ein Nachbar in aller Regel aber nichts unternehme­n. Anders wäre etwa der Fall eines Mieters zu beurteilen, der in seiner privaten Wohnung den ganzen Tag über für ein Catering kochte.

6 Kann man sich als Nachbar wehren, wenn vor einem Lokal im Erdgeschoß geraucht wird?

Daniel Ennöckl, Professor am Institut für Staats- und Verwaltung­srecht der Universitä­t Wien, bezweifelt, dass sich Bewohner über Lokalen auf die Entscheidu­ng berufen können. Handelt es sich um einen Schanigart­en, wäre das Rauchthema mit der Betriebsan­lagengeneh­migung zu erledigen und allenfalls mit behördlich­en Auflagen zu lösen; verlassen Gäste einfach nur das Lokal, um draußen zu rauchen, so seien sie dem Betreiber jedoch nicht zurechenba­r.

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