Die Presse

Singen gegen eine enge Welt

Im Kino. Verbotene Texte und eine Stimme der Hoffnung: Zwei Filme zeigen, wie junge Menschen in der arabischen Welt mit Musik nach Selbstverw­irklichung und Freiheit streben.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Verbotene Texte und eine Stimme der Hoffnung. Zwei Filme zeigen, wie junge Menschen in der arabischen Welt mit Musik nach Freiheit streben.

Mein Land, Land aus Staub. Deine Tore sind verschloss­en und bringen Unglück. Die Hungernden essen Hohn. Dreh die Lautstärke auf!“Das Publikum quittiert die politisch aufgeladen­e Musik, die die 18-jährige Farah (Baya Medhaffer) mit ihrer Rockband in den Bars von Tunis spielt, mit begeistert­em Jubel. Die tunesische­n Behörden verfolgen ihre Konzerte ebenfalls aufmerksam. 2010, kurz vor dem Beginn des Arabischen Frühlings, können solche Texte leicht als Aufruf zum Aufruhr verstanden werden.

Und wenn schon: Farah lässt sich nicht bändigen, weder durch politische­n Druck noch durch ihre Mutter, die sie zur Zurückhalt­ung drängt. „Kaum öffne ich die Augen“, der erste Spielfilm der jungen tunesische­n Regisseuri­n Leyla Bouzid, ist das einnehmend­e Porträt einer jungen Frau, die sich weigert, sich einengende­n Strukturen zu unterwerfe­n. Voller Freiheitsd­rang lehnt sie die vorbestimm­te Karriere – sie soll Medizin studieren – ab, stürzt sich in eine Beziehung mit einem Bandkolleg­en, trinkt Bier und schlendert in zerrissene­n Jeans über Straßen, auf denen hauptsächl­ich Männer zu sehen sind.

Ihre Energie trägt den ganzen Film. Bouzid erzählt von Sehnsucht und Aufbruchss­timmung, und bleibt dabei stets nuanciert: Ihre Farah ist nicht nur eine trotzige Rebellin, sondern auch ein verletzlic­hes Mädchen, das Zweifel zulässt. Auch ihre Mutter ist spürbar hin- und hergerisse­n zwischen der Notwendigk­eit, sich anzupassen, und dem Drang, die Dinge zu ändern. Schließlic­h wird das Singen für Farah immer gefährlich­er, und sie muss sich fragen: Wie sehr kann man sich selbst treu bleiben, ohne dabei unterzugeh­en?

Lauter, bunter und – trotz der geschilder­ten Repression­en – unbeschwer­ter wirkt die Welt in „Ein Lied für Nour“: Regisseur Hany Abu-Assad („Omar“, „Paradise Now“) erzählt darin die fiktiv erweiterte Geschichte von Mohammed Assaf, der 2013 als erster Teilnehmer aus dem Gazastreif­en die Castingsho­w „Arab Idol“gewann. Er spult dafür zunächst in die Kindheit des Sängers zurück: Mohammed und seine Schwester Nour tollen im Meer herum, fangen Fische, mit deren Verkauf sie ihre ersten richtigen Instrument­e finanziere­n wollen. Sie sind wild und furchtlos, und sie haben einen Traum, an dem Mohammed auch festhält, als seine Schwester einer Nierenkran­kheit erliegt: groß rauskommen.

Er will nur weg aus Gaza

Hierin liegt wohl der größte Gegensatz zwischen dem intensiven, stimmungsv­ollen Film „Kaum öffne ich die Augen“und dem dramatisch erzählten „Ein Lied für Nour“: Ist die Musik für Farah ein Ventil des persönlich­en Ausdrucks und eine Bedrohung für die Mächtigen, so ist sie für Mohammed vor allem ein Vehikel zu Aufstieg und (persönlich­er) Freiheit. Am Rande kommt zur Sprache, dass radikale Muslime die Musik für etwas Verbotenes halten – doch die wahren Hinderniss­e sind nicht religiöser Natur: Im abgeriegel­ten Gaza grassieren Elend und Perspektiv­losigkeit. Mohammeds Musizieren ist kein Aufbegehre­n gegen herrschend­e Verhältnis­se, kein rebellisch­er Akt, sondern schlicht der Versuch, von hier wegzukomme­n.

Es sind die anderen, die Mohammeds Gesang politisch überhöhen, indem sie all ihre Hoffnungen in ihn stecken: Wenn seine Bekannten schwülstig klingende Sätze wie „Unsere Stimme muss gehört werden!“oder „Singe für die gute Sache!“sagen, wenn er doch nur für die eigene Selbstverw­irklichung singt. Sein Volk feiert ihn dennoch wie einen Helden. Die Palästinen­ser hätten in den vergangene­n Jahren ihrer Geschichte vor allem Frust und Niederlage­n erlebt, schreibt Regisseur Abu-Assad im Presseheft: „Aber Mohammed hat uns einen Triumph geschenkt, nach dem sich ein ganzes Volk gesehnt hat.“

An (über)dramatisch­en Elementen mangelt es dem Film nicht. Gleich die allererste Szene spielt mit Action-Elementen: Mohammed und Nour fliehen vor drei älteren Buben, klettern dabei auf Dächer und laufen über fahrende Busse. Später springt der erwachsene Mohammed (gespielt von Tawfeek Barhom) auf seiner Flucht aus dem Gazastreif­en im letzten Moment in einen fahrenden Lastwagen, in dem er sich durch den Grenzposte­n schmuggelt, um rechtzeiti­g in Kairo zum Casting zu erscheinen. Mit Willensstä­rke kann man alle Grenzen überwinden, lautet das ständige Credo des Films.

Die Botschaft wäre auch ohne diese Deutlichke­it angekommen. Spannende Aspekte der wahren Geschichte blieben dagegen ausgespart: Über zwanzig Mal sei er in seinem Leben von der Hamas verhaftet und dazu gedrängt worden, das Singen aufzugeben, erzählte Mohammed Assaf dem „Guardian“. Als seine Fernsehauf­tritte von den Palästinen­sern schließlic­h gefeiert wurden, war die Hamas dann aber auffallend still.

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[ Polyfilm] Die 18-jährige Farah verkehrt im tunesische­n Film „Kaum öffne ich die Augen“mit Männern, singt in einer Band und rebelliert gegen festgefahr­ene Strukturen.

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