Wir sehen gerade zu, wie die Steuersysteme entgleisen
Laut OECD verlagert sich die Steuerbasis immer noch hin zur Besteuerung von Arbeit. Eine kapitale Fehlentwicklung angesichts der Digitalisierung.
S teuern und Abgaben auf Arbeit sind viel zu hoch und müssen dringend reduziert werden. Und: Viele international tätige Konzerne nutzen Steuerschlupflöcher und drücken sich damit um ihren fairen Anteil an der Staatsfinanzierung. Das muss dringend abgestellt werden.
Stimmen diese Aussagen? So gut wie jeder europäische Finanzminister würde sagen: Ja. Schließlich verwendet er ja diese Argumentationsbausteine in praktisch jeder Sonntagsrede.
Und jetzt zur Millionenfrage: Wieso handeln die Herrschaften in der Praxis dann genau gegenteilig? Die OECD hat gestern ihre jüngste einschlägige Studie vorgestellt, in der es heißt, die Steuerquote sei in den meisten Industrieländern nicht nur gestiegen, die Steuerbasis habe sich auch weiter „hin zu Arbeit und Konsum“verlagert. Der Anteil der Steuern auf Arbeit und Konsum sei so hoch wie seit 1965 nicht. Dafür ist der Anteil der Unternehmenssteuern am BIP in den vergangenen zehn Jahren um ein Fünftel zurückgegangen.
Also eigentlich das Gegenteil dessen, was Finanzminister versprechen und Wirtschaftsforscher für sinnvoll halten. Unnötig zu sagen, dass die Entwicklung in Österreich besonders krass ist: Hier liegt der Anteil der Lohnsteuern weit über dem OECD-Schnitt, der Anteil der Unternehmenssteuern dagegen weit darunter.
Nur zum Vergleich, wie die Steuerstruktur eines wirtschaftlich gesunden Landes aussieht: In der Schweiz liegt der Anteil unternehmens- und vermögensbezogener Steuern über OECD-Niveau, der der Lohnsteuern darunter.
Wenn man, wie eigentlich alle ernst zu nehmenden Experten, davon ausgeht, dass die Basis der lohnbezogenen Steuern im Zuge der Digitalisierung dramatisch schrumpfen wird, dann liegt der Schluss nahe, dass die meisten Industriestaaten steuertechnisch ziemlich falsch abgebogen sind. Denn dann sind sie derzeit dabei, die Steuerlast ausgerechnet in jene Bereiche zu verlagern, denen die Basis gerade wegzubrechen beginnt.
Österreich ist da besonders exponiert unterwegs. Und damit besonders zukunftsfeindlich. Wir leiden also nicht nur unter der fünfthöchsten Steuerquote aller Industrieländer. Sondern auch noch unter Steuerstrukturen, die durch den digitalen Wandel ganz massiv einsturzgefährdet sind. Kurzum: Wir brauchen dringendst eine Steuerstrukturreform. Eine, die wirklich einschneidet. Was dafür bisher auf dem Tisch liegt, ist bestenfalls Kosmetik. N atürlich hat zu Beginn die Sanierung der Staatsausgabenstruktur zu stehen. Wenn der Staat permanent mit seinen wachsenden Einnahmen nicht auskommt, weil sich die Ausgaben noch schneller erhöhen, dann helfen auch Schwerpunktverlagerungen innerhalb des Steuer- und Abgabensystems wenig.
Das allein wird aber bei Weitem nicht reichen. Auch eine Verlagerung der Arbeitsbesteuerung auf Vermögens- und Ökosteuern wird das Kraut nicht fett machen. Beide Steuern mögen zwar den Gerechtigkeitssinn weiter Bevölkerungskreise befriedigen, aber sie bringen zu wenig, um einen Umbau zu finanzieren. Vermögensteuern sind für wirklich Vermögende leicht zu umgehen, und Ökosteuern kannibalisieren sich, wenn der Steuerungseffekt gelingt, ja selbst.
Bleibt eine Erkenntnis, der sich Steuerreformer ganz abseits aller ideologischen Debatten werden stellen müssen: Will man wirklich nennenswerte Volumina von der Arbeitsbesteuerung wegbekommen, bieten sich nur zwei große Bereiche an: Entweder man besteuert in irgendeiner Form Wertschöpfung (dafür gibt es übrigens bessere Varianten als die extrem wirtschaftsschädliche Maschinensteuer) oder man besteuert Konsum. Letzteres wäre wohl die vernünftigere Variante, weil im Endpreis eines Produkts ja ohnehin zwingend alle im Produktionsprozess angefallenen Steuern enthalten sein müssen, was Umschichtungen leicht macht.
Wichtig ist, dass es eine echte Umschichtung und keine Zusatzbelastung ist. Vor allem aber: Die Verantwortlichen sollen endlich anfangen, sich darüber ernsthaft Gedanken zu machen. Wir sehen ja gerade live, wie das bestehende System entgleist.
Wien. Österreich ist ein Hochsteuerland. An diesem Umstand ist nicht zu rütteln. Im Gegenteil: Im Vorjahr konnte die Republik beim Ranking der Abgabenquote sogar noch einmal zulegen und Italien überholen. Österreich liegt somit am unrühmlichen fünften Platz der höchsten Belastungen für die Steuerzahler. 43,5 Prozent der gesamten heimischen Wertschöpfung flossen in Form von Steuern und Abgaben an den Staat (die Steuerreform 2016 dürfte diesen Wert wieder etwas senken). Zum Vergleich: Im OECD-Durchschnitt liegt dieser Wert bei lediglich 34,3 Prozent. Das geht aus der am Mittwoch veröffentlichten Studie „Revenue Statistics 2016: Tax Revenue Trends in the OECD“hervor.
Das Gesamtbild ist somit klar. Aus der Statistik lassen sich aber ein paar interessante Details herauslesen. So fließt zwar in Summe der Großteil der heimischen Belastung an den Finanzminister. Den relativ größten Anteil an den Abgaben haben jedoch nicht die Steuern. Österreich gehört nämlich zu jenen neun Ländern in der OECD, bei denen die Sozialversicherungsbeiträge die wichtigste Abgabenart sind.
Lohnsteuer nur Nummer zwei
Mit 34,2 Prozent tragen die Sozialabgaben den größten Teil zum gesamten Aufkommen bei. Die Lohnund Einkommensteuer liegt mit Zusatzabgaben wie dem Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds mit 30,4 Prozent bereits spürbar darunter. Ebenfalls die Umsatzsteuer – durch sie lukriert der Staat 27,2 Prozent seiner gesamten Steuern- und Abgaben.
Die Statistik spiegelt somit ein Problem bei der heimischen Besteuerung von Arbeit wider, das auch von Ökonomen immer wieder kritisiert wird. So zahlen bereits rund 2,5 Millionen der 6,8 Millionen Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen keine Steuern auf ihre Gehälter, da sie zu wenig verdienen. Werden hierbei auch die Transferleistungen gegengerechnet, ergibt sich sogar das Bild, dass weniger als die Hälfte aller Steuerpflichtigen genügend verdient, um Lohnsteuer abführen zu müssen.
Allerdings werden von diesen Menschen sehr wohl Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Da diese – anders als die Steuer – auch nicht progressiv gestaffelt sind, ergibt sich hierzulande das Bild, dass bereits ab verhältnismäßig geringen Einkommen eine leistungsfeindliche De-facto-Flat-Tax von beinahe 50 Prozent anfällt.
Diese verändert sich bei steigenden Einkommen dann auch nur mehr geringfügig, weil die höheren Steuersätze mit dem Auslaufen der Sozialversicherungsbeiträge (Höchstbeitragsgrundlage) einhergehen. Viele heimische Ökonomen fordern daher, dass bei einer künftigen Steuerreform auch die Sozialversicherungsabgaben berücksichtigt werden sollten.
Zwar haben neben Österreich auch Deutschland, Frankreich oder Japan die Sozialversicherungsbeiträge als wichtigste Abgabenart. Mit 17 OECD-Ländern setzt die Mehrheit jedoch auf die Ein- kommensteuer als primäre Quelle der staatlichen Einkünfte. In Dänemark, Australien und Neuseeland gibt es gar keine Sozialversicherungsbeiträge, weil dort das Gesundheitssystem komplett aus dem Steuersystem finanziert wird. Weitere zehn OECD-Länder setzen auf die Umsatzsteuer als den wichtigsten Ertragsbringer. Zu diesen Ländern gehören unter anderem Ungarn, Slowenien oder Portugal.
Steigende Abgabenbelastung
Die Struktur der Abgabenquote hat zwar mitunter große Auswirkungen auf die Entwicklung einer Volkswirtschaft. Für die Steuerzahler schlussendlich aber entscheidender ist die konkrete Höhe. Hier zeigt sich, dass die Belastung im langfristigen Vergleich bis zur Jahrtausendwende konstant gestiegen ist (siehe Grafik). Dann gab es unter der Regierung Schüssel nach einem Höhepunkt im Jahr 2001 (dem einzigen Jahr, in dem das Nulldefizit fast erreicht wurde) eine kurze Phase sinkender Abgabenquoten. Diese ist jedoch seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 wieder vorbei.