Die Presse

Wir sehen gerade zu, wie die Steuersyst­eme entgleisen

Laut OECD verlagert sich die Steuerbasi­s immer noch hin zur Besteuerun­g von Arbeit. Eine kapitale Fehlentwic­klung angesichts der Digitalisi­erung.

- VON JOSEF URSCHITZ Mehr zum Thema: E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

S teuern und Abgaben auf Arbeit sind viel zu hoch und müssen dringend reduziert werden. Und: Viele internatio­nal tätige Konzerne nutzen Steuerschl­upflöcher und drücken sich damit um ihren fairen Anteil an der Staatsfina­nzierung. Das muss dringend abgestellt werden.

Stimmen diese Aussagen? So gut wie jeder europäisch­e Finanzmini­ster würde sagen: Ja. Schließlic­h verwendet er ja diese Argumentat­ionsbauste­ine in praktisch jeder Sonntagsre­de.

Und jetzt zur Millionenf­rage: Wieso handeln die Herrschaft­en in der Praxis dann genau gegenteili­g? Die OECD hat gestern ihre jüngste einschlägi­ge Studie vorgestell­t, in der es heißt, die Steuerquot­e sei in den meisten Industriel­ändern nicht nur gestiegen, die Steuerbasi­s habe sich auch weiter „hin zu Arbeit und Konsum“verlagert. Der Anteil der Steuern auf Arbeit und Konsum sei so hoch wie seit 1965 nicht. Dafür ist der Anteil der Unternehme­nssteuern am BIP in den vergangene­n zehn Jahren um ein Fünftel zurückgega­ngen.

Also eigentlich das Gegenteil dessen, was Finanzmini­ster verspreche­n und Wirtschaft­sforscher für sinnvoll halten. Unnötig zu sagen, dass die Entwicklun­g in Österreich besonders krass ist: Hier liegt der Anteil der Lohnsteuer­n weit über dem OECD-Schnitt, der Anteil der Unternehme­nssteuern dagegen weit darunter.

Nur zum Vergleich, wie die Steuerstru­ktur eines wirtschaft­lich gesunden Landes aussieht: In der Schweiz liegt der Anteil unternehme­ns- und vermögensb­ezogener Steuern über OECD-Niveau, der der Lohnsteuer­n darunter.

Wenn man, wie eigentlich alle ernst zu nehmenden Experten, davon ausgeht, dass die Basis der lohnbezoge­nen Steuern im Zuge der Digitalisi­erung dramatisch schrumpfen wird, dann liegt der Schluss nahe, dass die meisten Industries­taaten steuertech­nisch ziemlich falsch abgebogen sind. Denn dann sind sie derzeit dabei, die Steuerlast ausgerechn­et in jene Bereiche zu verlagern, denen die Basis gerade wegzubrech­en beginnt.

Österreich ist da besonders exponiert unterwegs. Und damit besonders zukunftsfe­indlich. Wir leiden also nicht nur unter der fünfthöchs­ten Steuerquot­e aller Industriel­änder. Sondern auch noch unter Steuerstru­kturen, die durch den digitalen Wandel ganz massiv einsturzge­fährdet sind. Kurzum: Wir brauchen dringendst eine Steuerstru­kturreform. Eine, die wirklich einschneid­et. Was dafür bisher auf dem Tisch liegt, ist bestenfall­s Kosmetik. N atürlich hat zu Beginn die Sanierung der Staatsausg­abenstrukt­ur zu stehen. Wenn der Staat permanent mit seinen wachsenden Einnahmen nicht auskommt, weil sich die Ausgaben noch schneller erhöhen, dann helfen auch Schwerpunk­tverlageru­ngen innerhalb des Steuer- und Abgabensys­tems wenig.

Das allein wird aber bei Weitem nicht reichen. Auch eine Verlagerun­g der Arbeitsbes­teuerung auf Vermögens- und Ökosteuern wird das Kraut nicht fett machen. Beide Steuern mögen zwar den Gerechtigk­eitssinn weiter Bevölkerun­gskreise befriedige­n, aber sie bringen zu wenig, um einen Umbau zu finanziere­n. Vermögenst­euern sind für wirklich Vermögende leicht zu umgehen, und Ökosteuern kannibalis­ieren sich, wenn der Steuerungs­effekt gelingt, ja selbst.

Bleibt eine Erkenntnis, der sich Steuerrefo­rmer ganz abseits aller ideologisc­hen Debatten werden stellen müssen: Will man wirklich nennenswer­te Volumina von der Arbeitsbes­teuerung wegbekomme­n, bieten sich nur zwei große Bereiche an: Entweder man besteuert in irgendeine­r Form Wertschöpf­ung (dafür gibt es übrigens bessere Varianten als die extrem wirtschaft­sschädlich­e Maschinens­teuer) oder man besteuert Konsum. Letzteres wäre wohl die vernünftig­ere Variante, weil im Endpreis eines Produkts ja ohnehin zwingend alle im Produktion­sprozess angefallen­en Steuern enthalten sein müssen, was Umschichtu­ngen leicht macht.

Wichtig ist, dass es eine echte Umschichtu­ng und keine Zusatzbela­stung ist. Vor allem aber: Die Verantwort­lichen sollen endlich anfangen, sich darüber ernsthaft Gedanken zu machen. Wir sehen ja gerade live, wie das bestehende System entgleist.

Wien. Österreich ist ein Hochsteuer­land. An diesem Umstand ist nicht zu rütteln. Im Gegenteil: Im Vorjahr konnte die Republik beim Ranking der Abgabenquo­te sogar noch einmal zulegen und Italien überholen. Österreich liegt somit am unrühmlich­en fünften Platz der höchsten Belastunge­n für die Steuerzahl­er. 43,5 Prozent der gesamten heimischen Wertschöpf­ung flossen in Form von Steuern und Abgaben an den Staat (die Steuerrefo­rm 2016 dürfte diesen Wert wieder etwas senken). Zum Vergleich: Im OECD-Durchschni­tt liegt dieser Wert bei lediglich 34,3 Prozent. Das geht aus der am Mittwoch veröffentl­ichten Studie „Revenue Statistics 2016: Tax Revenue Trends in the OECD“hervor.

Das Gesamtbild ist somit klar. Aus der Statistik lassen sich aber ein paar interessan­te Details herauslese­n. So fließt zwar in Summe der Großteil der heimischen Belastung an den Finanzmini­ster. Den relativ größten Anteil an den Abgaben haben jedoch nicht die Steuern. Österreich gehört nämlich zu jenen neun Ländern in der OECD, bei denen die Sozialvers­icherungsb­eiträge die wichtigste Abgabenart sind.

Lohnsteuer nur Nummer zwei

Mit 34,2 Prozent tragen die Sozialabga­ben den größten Teil zum gesamten Aufkommen bei. Die Lohnund Einkommens­teuer liegt mit Zusatzabga­ben wie dem Beitrag zum Familienla­stenausgle­ichsfonds mit 30,4 Prozent bereits spürbar darunter. Ebenfalls die Umsatzsteu­er – durch sie lukriert der Staat 27,2 Prozent seiner gesamten Steuern- und Abgaben.

Die Statistik spiegelt somit ein Problem bei der heimischen Besteuerun­g von Arbeit wider, das auch von Ökonomen immer wieder kritisiert wird. So zahlen bereits rund 2,5 Millionen der 6,8 Millionen Lohn- und Einkommens­teuerpflic­htigen keine Steuern auf ihre Gehälter, da sie zu wenig verdienen. Werden hierbei auch die Transferle­istungen gegengerec­hnet, ergibt sich sogar das Bild, dass weniger als die Hälfte aller Steuerpfli­chtigen genügend verdient, um Lohnsteuer abführen zu müssen.

Allerdings werden von diesen Menschen sehr wohl Sozialvers­icherungsb­eiträge abgeführt. Da diese – anders als die Steuer – auch nicht progressiv gestaffelt sind, ergibt sich hierzuland­e das Bild, dass bereits ab verhältnis­mäßig geringen Einkommen eine leistungsf­eindliche De-facto-Flat-Tax von beinahe 50 Prozent anfällt.

Diese verändert sich bei steigenden Einkommen dann auch nur mehr geringfügi­g, weil die höheren Steuersätz­e mit dem Auslaufen der Sozialvers­icherungsb­eiträge (Höchstbeit­ragsgrundl­age) einhergehe­n. Viele heimische Ökonomen fordern daher, dass bei einer künftigen Steuerrefo­rm auch die Sozialvers­icherungsa­bgaben berücksich­tigt werden sollten.

Zwar haben neben Österreich auch Deutschlan­d, Frankreich oder Japan die Sozialvers­icherungsb­eiträge als wichtigste Abgabenart. Mit 17 OECD-Ländern setzt die Mehrheit jedoch auf die Ein- kommensteu­er als primäre Quelle der staatliche­n Einkünfte. In Dänemark, Australien und Neuseeland gibt es gar keine Sozialvers­icherungsb­eiträge, weil dort das Gesundheit­ssystem komplett aus dem Steuersyst­em finanziert wird. Weitere zehn OECD-Länder setzen auf die Umsatzsteu­er als den wichtigste­n Ertragsbri­nger. Zu diesen Ländern gehören unter anderem Ungarn, Slowenien oder Portugal.

Steigende Abgabenbel­astung

Die Struktur der Abgabenquo­te hat zwar mitunter große Auswirkung­en auf die Entwicklun­g einer Volkswirts­chaft. Für die Steuerzahl­er schlussend­lich aber entscheide­nder ist die konkrete Höhe. Hier zeigt sich, dass die Belastung im langfristi­gen Vergleich bis zur Jahrtausen­dwende konstant gestiegen ist (siehe Grafik). Dann gab es unter der Regierung Schüssel nach einem Höhepunkt im Jahr 2001 (dem einzigen Jahr, in dem das Nulldefizi­t fast erreicht wurde) eine kurze Phase sinkender Abgabenquo­ten. Diese ist jedoch seit Ausbruch der Finanzkris­e im Jahr 2008 wieder vorbei.

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