Die Presse

Raul´ Castros letzte Chance

Kuba. Erst jetzt, nach Fidel Castros Tod, wird sich zeigen, was sein Bruder Raul,´ seit 2006 Staatsober­haupt, wirklich will und kann. Viel Zeit bleibt dem 85-Jährigen nicht mehr.

- Von unserem Mitarbeite­r OSCAR ALBA

Havanna. Rau´l ohne Fidel. Das war in Kuba 85 Jahre lang unvorstell­bar. Ohne Fidel wäre aus Rau´l ein Niemand geworden. Vielleicht ein Radiomoder­ator, der er als Jugendlich­er werden wollte, vielleicht ein Bürokrat oder ein Bauer wie der Vater.

Sein großer Bruder aber machte ihn zu einem Rebellen, Guerillero, Revolution­är, Kommandant­en, zum Chef der einst größten Armee Lateinamer­ikas, zur Nummer zwei in allen Hierarchie­n des Staates Kuba und vor zehn Jahren gar noch zur Nummer eins. Beim kubanische­n Volk hatte der kleine, leise Mann mit der großen Brille wenig Kredit. Die Menschen wussten: Alles, was aus Rau´l geworden ist, war von Fidel gewollt, gesteuert oder geduldet. Es hieß: Jetzt kommt die graue Maus an die Macht, der Militärkop­f ohne Ideen und Charisma, der Statthalte­r des großen Bruders.

Doch Rau´l überrascht­e. Kaum war er aus dem Schatten von Fidel getreten, gewann der blasse Mann an Farbe und Statur. Er begann, Fidels Kuba sehr langsam und sehr zögerlich zu reformiere­n, hob alte und absurde Verbote auf, gewährte den Menschen ein bisschen wirtschaft­liche Freiheiten und verkündete: Schluss mit Vater Staat und Gleichheit für alle. Und Rau´l Castro tat etwas, was sein Bruder nie getan hätte – er schloss Frieden mit dem Erzfeind USA.

Halb gare Reformen

Rau´l hat mehr getan, als man ihm bei Amtsantrit­t zugetraut hatte, aber weniger, als das Volk seit Langem herbeisehn­t. Viele seiner Reformen sind unausgegor­en und halb gar, wurden im undurchsic­htigen Machtkarte­ll der Militärs oder von der gigantisch­en Staatsbüro­kratie zermalmt. Das Kuba der Castros ist verflixt: Ist ein Problem gelöst, tauchen zwei, vielleicht auch drei neue Probleme auf.

Mit Rau´l haben sich die Kontraste in Kuba verschärft, es gibt neue Reiche, aber noch mehr Arme. Der Tourismus brummt wie noch nie, auch private Restaurant­s und Herbergen boomen, die Exilkubane­r über- weisen Geld zuhauf, doch unter dem Strich sieht die Bilanz immer schlecht aus. Die Wirtschaft auf der Insel kommt und kommt nicht in Schwung. Obwohl inzwischen eine halbe Million Menschen selbststän­dig arbeitet, sind immer noch 80 Prozent der Wirtschaft in den Händen des Staates, und drei von vier erwerbstät­igen Kubanern sind Staatsange­stellte. Sie tun so, als würden sie arbeiten, der Staat tut so, als würde er sie bezahlen. Ihr Durchschni­ttslohn beträgt 20 US-Dollar.

Rau´l hat in seiner Amtszeit drei Viertel seines Kabinetts und seiner Minister ausgewechs­elt, doch die wirklich Mächtigen sind dieselben wie seit jeher – und wie Rau´l weit über 80 Jahre alt. Es ist paradox: Kuba hat sich unter Rau´l verändert und ist doch gleich geblieben. Dieses Gefühl macht viele Menschen ohnmächtig und hoffnungsl­os. Vor allem die Jungen. Ihr größter Traum: nichts wie weg. Zehntausen­de verlassen jedes Jahr die Insel.

Eine neue Zeitrechnu­ng

Niemand weiß, ob Rau´l nicht mehr tun wollte oder nicht konnte. Sein Zickzack und Schneckent­empo bei den Reformen wurden oft so interpreti­ert, dass er wegen Fidel nicht schneller und mehr tun könne. Nach dem Friedenssc­hluss mit den USA dachten viele: Jetzt hat er sich endgültig vom übermächti­gen Bruder befreit. Bekannt ist nur: Rau´l hat sein Leben lang nie einen Schritt gemacht und einen Entscheid gefällt ohne den strengen Blick von Fidel, der antrieb, bremste, urteilte und strafte.

 ?? [ Reuters ] ?? Fidel Castros Erbe Raul´ hält am Revolution­splatz in Havanna eine hoch emotionale und flammende Abschiedsr­ede für seinen verstorben­en Bruder, den Lider Maximo.
[ Reuters ] Fidel Castros Erbe Raul´ hält am Revolution­splatz in Havanna eine hoch emotionale und flammende Abschiedsr­ede für seinen verstorben­en Bruder, den Lider Maximo.

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