Die Presse

„Ich weine nicht über Wettbewerb“

Interview. Die Wien Energie muss sich verändern, um in Zukunft noch eine Chance zu haben, sagt ihr neuer Chef, Michael Strebl. Der Landesvers­orger soll mehr bieten als Strom und Wärme.

- VON MATTHIAS AUER

Die Presse: Supermärkt­e, Zeitungen und sogar die Post verkaufen neuerdings in Österreich Strom. Wie gehen Sie mit dieser neuen Konkurrenz um? Michael Strebl: Ich weine nicht über Wettbewerb, ich will auf dem Markt gewinnen. Uns muss eins klar sein: Der Energiemar­kt ist liberalisi­ert, und es wird (Gott sei Dank) nie wieder so werden, wie es war. Inzwischen haben wir über 100 Konkurrent­en in Wien. Aber auch in dieser neuen Welt hat Wien Energie gute Chancen. Es gibt zwei Millionen Menschen in Wien. In den nächsten Jahren kommen noch einmal so viele zu uns, wie in Linz wohnen. Wir sind gut aufgestell­t, wenn wir uns neu orientiere­n. Und das werden wir machen.

Wie soll das gelingen? Wir behaupten uns schon heute gut. Wir gewinnen viele Kunden zurück, die wir verloren hatten. In Zukunft müssen wir unsere Kunden stärker als bisher segmentier­en. „Den“Kunden gibt es nicht mehr. Jeder will etwas anderes. Wir werden den Menschen daher viele Angebote machen. Oft werden wir nicht die Billigsten sein, dafür ist sicher, dass das Service passt. Aber wir haben auch günstige Tarife oder Angebote, bei denen der Strompreis mit dem Börsenkurs mitschwank­t.

Wirklich billig wird Wien Energie aber nicht sein können, solange Sie an den derzeit unrentable­n KWK-Gaskraftwe­rken festhalten. Ich weiß schon, dass Kraft-WärmeKoppl­ungsanlage­n derzeit nicht en vogue sind. Aber ich bin ein alter Hase in der Energiewir­tschaft und habe die Platte „Das wird sich alles nie rechnen“schon einmal gehört. Ende der 90er-Jahre haben alle Unternehme­nsberater gesagt: Sperrt eure Wasserkraf­twerke zu, die bringen nie wieder etwas. Mit Verlaub, da gibt es Moden. Momentan ist KWK nicht in Mode, aber grundsätzl­ich kann es kein Fehler sein, wenn ich einen Brennstoff zu 86 Prozent ausnutze, um Wärme und Strom zu erzeugen.

Wenn alles so gut ist, warum fordert Wien dann, dass die Stromkunde­n Ihre KWK-Anlagen zusätzlich fördern? Es ist eine sinnvolle Form der Energienut­zung, der der Wettbewerb­swind derzeit etwas zu stark ins Gesicht bläst. Da ist es schon legitim zu sagen: Das hat eine Förderung verdient. Wir sind übrigens in guter Gesellscha­ft. Auch Deutschlan­d hat KWK-Förderunge­n durchgebra­cht.

Vergangene­n Donnerstag muss Ihnen ein Stein vom Herzen gefallen sein. Der Wiener Landtag hat entschiede­n, dass die Wien Energie ihre geerbten Pensionsla­sten auslagern darf. Was bedeutet das für das Unternehme­n? Da muss ich Sie enttäusche­n. Das ist eine Sache der Eigentümer, die ich nicht kommentier­en möchte. Im Übrigen betrifft der Beschluss nur die Wiener Netze.

Wirklich wichtig wäre er aber für Sie. Es geht um ein Fünftel Ihrer Personalau­sgaben und um bis zu 790 Mio. Euro an Rückstellu­ngen. Der Rechnungsh­of warnte deshalb vor der „finanziell­en Aushöhlung des Unternehme­ns“. Das steht derzeit für uns nicht im Raum. Klar ist: Alles, was uns hilft, die Kosten zu senken und wettbewerb­sfähiger zu werden, ist gut. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Apropos Kosten: Der Rechnungsh­of bemängelt auch, dass der Sparplan „Megawatt“nicht ausreichen­d umgesetzt wurde. Wie ist hier der aktuelle Stand? Wir sind auf halbem Weg. Wien Energie wird bis 2018 etwa 300 Mitarbeite­r abbauen. Aber wir müssen den Personalst­and über dieses Plansoll hinaus senken, um neue Mitarbeite­r aufbauen zu können, die helfen, neue Geschäftsf­elder zu öffnen. Letztlich entscheide­n Kosten allein nichts. Wir müssen der Wien Energie eine Struktur geben, mit der man erfolgreic­h sein kann.

Was meinen Sie damit genau? Der Markt ändert sich, also müssen auch wir uns ändern. Die Digitalisi­erung ist ein Trend, den ich maximal nutzen will. Dafür müssen wir viel näher an den Kunden heran, müssen aus den vielen Daten, die wir haben, brauchbare Informatio­nen filtern. In Salzburg haben wir (Strebl war 22 Jahre bei der Salzburg AG, Anm.) schon 2009 die Zusammenfü­hrung von Telekommun­ikation und Energiewel­t in Modellregi­onen ausprobier­t. Da hat noch kein Mensch von Digitalisi­erung geredet. Jetzt ist die Phase, in der man von Pilotproje­kten zu Produkten kommen muss.

Und dafür muss die Struktur der Wien Energie umgebaut werden? Ja. Die Zeit, in der die Energiewir­tschaft alles allein machen konnte, ist vorbei. Wir brauchen neue Partnersch­aften mit Start-ups, wir brauchen neue Abläufe, neue Angebote. Nicht alle mögen das, keine Frage. Aber das ist die Zukunft.

Wovon lebt die Wien Energie der Zukunft, wenn nicht vom Strom? Natürlich müssen wir noch lange über das Kerngeschä­ft reden. Aber ich glaube, dass wir uns letztlich in ein anderes Unternehme­n verwandeln werden. Wir haben so viel im Haus: Strom, Wärme, Telekommun­ikation. Daraus werden wir neue Angebote schnüren. Ich habe einmal im Silicon Valley für ein Energie-Start-up gearbeitet. Das hat seine Kunden bei Stromausfa­ll per SMS benachrich­tigt. Aber nicht nur: Waren Restaurant­s betroffen, haben auch alle Gäste, die online gebucht hatten, rechtzeiti­g erfahren, dass sie sich den Weg dorthin sparen können – und wo es eine Alternativ­e gäbe. Genau da will ich hin. Dann müssen wir uns keine Sorgen mehr über Marktantei­le machen.

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[ Fröschl-Roßboth ] Michael Strebl (51) ist seit Anfang Oktober neuer Chef der Wien Energie.

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