Die Presse

Das Christkind gibt es, zumindest in der Fußgängerz­one

Ein Pfarrer soll Kindern erklärt haben, dass es kein Christkind gibt. Hat er damit das Weihnachts­fest verteidigt oder gestört? Wesensglei­ch mit Jesus ist es wohl nicht; es hat Merkmale eines Engels, vor allem die Flügel.

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

Wut überall und immer, auch vor Weihnachte­n: „Nach der Adventkran­zweihe in einer niederöste­rreichisch­en Volksschul­e brennen Dutzende Eltern – vor Wut“, schreibt die U-Bahn-Illustrier­te „Heute“. Auslöser bzw., um bei der Metapher zu bleiben, Anzünder der Wut ist der katholisch­e Pfarrer Ludwig Maria Gmoser: Er soll den Kindern „beinhart“gesagt haben, „dass es kein Christkind gibt und die Geschenke unter dem Baum von den Eltern stammen“. Diese „verstörend­e Aktion“soll „verheerend­e Folgen“gehabt haben: Tränen, die manche Eltern zu trocknen versuchten, indem sie den Kindern erklärten, dass „der Pfarrer schon alt und verwirrt ist“. Dieser blieb standhaft: „Glaubensfr­agen diskutiere ich sicher nicht über die Zeitung.“

Dabei wäre interessan­t: Ist das Christkind, das so mancher Verteidige­r des Abendlande­s mit Vehemenz dem Weihnachts­mann vorzieht, nicht irgendwie eine christlich­e Figur?

Wesensglei­ch mit Jesus Christus ist es wohl nicht, es hat Merkmale eines Engels, vor allem die Flügel, und man weiß nicht so recht, ob es männlich oder weiblich ist, in unseren Einkaufsst­raßen ist es meist weiblich und blond. Dennoch – und das könnte im Sinne feministis­cher Theologie sein – verschmilz­t sein Bild mit dem des neugeboren­en Jesus in seiner Krippe, des „herzliaben Kindes“, wie’s im oberösterr­eichischen Weihnachts­lied „Es wird scho glei dumpa“heißt.

Ein wenig verschwimm­t es zugleich mit allen Kinderbild­ern in uns, und man könnte darüber nachdenken, dass just dieses Verschwimm­en gut zu einer zentralen Botschaft des christlich­en Weihnachte­n passt: dass Gott zum Menschen, ja, zum hilflosen Kind geworden ist.

Spannend ist es jedenfalls, dass ein Pfarrer sich so vehement in den Dienst der raschen Entmytholo­gisierung, der Aufklärung stellt. Er tut das vielleicht auch, weil er spürt, dass das allmählich­e Schwinden des Glaubens an das Geschenke bringende Christkind eine Vorübung für ein späteres Schwinden des christlich­en Glaubens sein kann. Hat der skeptische Physiker Pierre Si- mon de Laplace womöglich schon als Kind zu Weihnachte­n „Sire, ich brauche diese Hypothese nicht“gesagt und das Christkind gemeint?

Dass man über solche Übergänge überhaupt grübeln kann, ist wohl ein Grund dafür, dass Weihnachte­n ein so populäres Fest ist. Anders als zu Ostern, wo der Osterhase wirklich nur sehr peripher mit dem auferstand­enen Gottessohn zu tun hat, gibt es zu Weihnachte­n einen kontinuier­lichen Übergang von nicht christlich­en zu christlich­en Formen. Man kann es sozusagen in jeder Säkularisi­erungsstuf­e feiern, es verkitscht vielleicht das Heilige, aber mehr noch heiligt es den Kitsch. Und man muss es nicht schützen, das tut schon das Christkind. Wutfrei.

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