Die Presse

Luxuriöse Kammermusi­k mit Abgründen

Das Belcea-Quartett im Konzerthau­s mit Schostakow­itsch und zwei höchst unterschie­dlichen Werken Schuberts.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Die Auftritte des Belcea-Quartetts gehören zu den luxuriöses­ten Angeboten, die Freunden der Kammermusi­k in unserer Zeit gemacht werden. Die Harmonie zwischen den vier Musikern scheint perfekt, technische Vollkommen­heit erreicht; man spielt auf dem höchsten Niveau – und reizt bei einem Werk wie Schostakow­itschs Drittem Streichqua­rtett die Möglichkei­ten voll aus. Das Publikum verfolgt gespannt ein Drama in fünf Sätzen, hält nach dem abschließe­nden, tröstlich verschwebe­nden D-Dur-Akkord den Atem an, bevor es zur Ovation ansetzt.

Das Lachen angesichts manch spitzer Pointe, die Schostakow­itsch im ersten Satz seinem geradezu kindlich-unschuldig­en Hauptthema entlockt, blieb einem schnell im Halse stecken. Schon im Kopfsatz wird aus dem klassizist­isch-distanzier­t anhebenden Spiel bald Ernst, die Motive und Themen geraten in Aufruhr, verknäueln sich geradezu ineinander. Zwei Scherzosät­ze folgen, ehe sich die scheinbare Klassik-Retrospekt­ive im Adagio endgültig in expression­istische Klagelaute verwandelt; das Finale löst zwar die Spannung, doch dass man auf einem Vulkan getanzt hat, dass hinter dem Lächeln, mit dem das Werk beginnt, haltlose Verzweiflu­ng steckt, bleibt dem Hörer verborgen.

Schuberts zwei Welten

Auf Schostakow­itschs hintergrün­dige stilistisc­he Camouflage versteht sich das Belcea-Quartett glänzend. Beim einleitend­en Es-Dur-Quartett des 16-jährigen Franz Schubert nehmen die vier es vielleicht ein wenig zu ernst mit der interpreta­torischen Akkuratess­e; Virtuositä­t, vollkommen­e Beherrscht­heit – und das alles wäre vielleicht nicht ganz so wichtig, nicht ganz so genau zu nehmen, wenn mit ein bisschen Schlampere­i sich charmanter­e, ein wenig freizügige­re über die Taktstrich­e hin fließende Zugänge zur wienerisch­en Melodik eines solchen Werks fänden.

Da tut sich beim d-Moll-Quartett mit den Variatione­n über „Der Tod und das Mädchen“schon eine andere Welt auf, Schubert ist da verbindlic­her, in dem, was er von seinen Instrument­alisten verlangt, sorgt für dramatisch­e Entwicklun­gen – wie später Schostakow­itsch. Und damit sind die Belceas wieder in ihrem Element, wiewohl für manche solistisch­e Passage (im Variatione­nsatz zumal) mehr Mut zum natürliche­n Rubato nicht schädlich wäre. Stupend jedenfalls der Effekt, den das makellose Spiel des Quartetts macht. Wäre der Primaria (am ersten der beiden Abende) nicht im Finale eine Saite gerissen, die Spannung hätte jedenfalls auch bei Schubert nie nachgelass­en.

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