Die Presse

Krieg in Aleppo: Bilder aus der Gefahrenzo­ne

Heute, Donnerstag, beginnt im Garten bau kino das Menschenre­chtsfilm festival„ThisHu man World “.

- VON ANDREY ARNOLD

Der Kanarienvo­gel flattert nervös im Käfig. „Er hat Angst“, sagt die Mutter des Regisseurs, doch eigentlich meint sie sich selbst. Im Zimmer ist es dunkel, nur beim Balkon kommt etwas Tageslicht herein. Vor Kurzem hatte man dort einen Blick auf die gegenüberl­iegende Wohnung. Aber von ihr ist nur noch ein Geröllhauf­en übrig. Der Krieg ist in Aleppo angekommen.

Diese und andere Aufzeichnu­ngen aus der Gefahrenzo­ne fügen sich in „Houses without Doors“von Avo Kaprealian zu einem düsteren Stimmungsb­ild, das den abgenutzte­n Medienbild­ern der syrischen Katastroph­e eine eindringli­che Privatpers­pektive entgegenst­ellt. Der Film eröffnet heute im Gartenbauk­ino das Filmfestiv­al „This Human World“: eine mutige Programmen­tscheidung. Statt polierte Info-Clips aneinander­zureihen, setzt Kaprealian­s Video-Essay auf die intime Vermittlun­g einer Isolations­erfahrung. Gedreht wurde es zwischen 2012 und 2015, bevor die armenischs­tämmige Familie des Filmemache­rs die Flucht ergreifen musste. Die Bilder sind billig, weil keine bessere Kamera zur Verfügung stand, die Aufnahmen flüchtig, weil Assads Geheimpoli­zei nie schläft. Aber durch die poetische Montage bekommt man ein besseres Gefühl dafür, was eine reale Kriegsbedr­ohung für die Weltwahrne­hmung bedeutet, als durch Hunderte TV-Dokus.

Geschichte­n aus Paris und Peru

Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass sich das seit 2008 bestehende Festival unter neuer Leitung (Djamila Grandits und Julia Sternthal) von seinem Themenfilm­ruf abheben will. Vom 1. bis zum 11. Dezember wirft es in vier Wiener Kinos und über hundert Filmen Schlaglich­ter auf Missstände und Hoffnungen in der globalisie­rten Welt. Darunter sind heuer viele Arbeiten, die tatsächlic­h die große Leinwand brauchen. Alice Diops „La permanence“etwa spielt komplett in der Praxis eines Pariser Arztes. Seine Patienten sind vorwiegend Menschen mit ungeklärte­m Aufenthalt­sstatus. Szene für Szene sitzt er ihnen gegenüber, blickt in ihre übermüdete­n Gesichter, hört ihre Geschichte­n – und erst in diesem Zeitnehmen erschließt sich die Verletzlic­hkeit ihrer Existenzen.

Zeit nimmt sich auch „Eldorado XXI“, der die extremen Lebensbedi­ngungen im Umfeld einer peruanisch­en Goldmine als aschfahles Endzeitpan­orama inszeniert. Und wer sich für die Zukunft wappnen will, kann immer noch Werner Herzog fragen: Dessen herrlich verschrobe­ne Internetex­egese „Lo and Behold, Reveries of the Connected World“läuft am Sonntag nach der österreich­ischen Wahl.

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