Die Presse

Die neue Gegenbeweg­ung zur Globalisie­rung

Gastkommen­tar. Obwohl die immer stärkere Vernetzung der Welt anhält, hat man das Gefühl, dass wir fremde Menschen immer weniger verstehen. Verständni­s und Vertrauen sind das Gegenrezep­t zu populistis­chen Globalisie­rungsgegne­rn.

- VON HAROLD JAMES E-Mails an: debatte@diepresse.com

Auf dem jüngsten G7-Gipfel im japanische­n Ise-Shima machte sich spürbares Unbehagen breit. Es lässt sich nämlich nicht sagen, wer von den Staats- und Regierungs­chefs der wichtigste­n Ökonomien dieser Welt bis zum nächsten Gipfeltref­fen durch populistis­che Aufrührer ersetzt worden sein wird. Präsident Donald Trump wird die Vereinigte­n Staaten, Präsidenti­n Marine Le Pen könnte Frankreich oder ein Premiermin­ister Boris Johnson Großbritan­nien vertreten. Alle würden dem Nationalis­mus und Isolationi­smus das Wort reden.

Die Gegenbeweg­ung zur Globalisie­rung begleitet uns seit zwanzig Jahren. Im ausgehende­n 20. Jahrhunder­t hatte man den Eindruck, als würde sich die Welt in Richtung Konvergenz bewegen und die Menschen überall die gleichen Produkte konsumiere­n. McDonald’s stand für diese Art der Globalisie­rung und die Demolierun­g mancher Restaurant­s der Kette wurde zu einer standardmä­ßigen Form des Protests.

Doch in jüngster Zeit hat sich das Wesen der Globalisie­rung gewandelt und damit auch die entspreche­nde Gegenbeweg­ung. Obwohl die immer stärkere Vernetzung der Welt anhält, hat man das Gefühl, dass wir fremde Menschen immer weniger verstehen. Als Reaktion auf sich verändernd­e Vorlieben der Verbrauche­r verlagern die Firmen ihre Produktion näher zu den Märkten, auf denen die Produkte verkauft werden. Diese Entwicklun­g hat das Wachstum des internatio­nalen Handels geschwächt.

Japanische Autos, made in USA

Diese als Onshoring bezeichnet­e Inlandsver­lagerung ist nicht neu. In den 1970er- und 1980er-Jahren machte man sich in Amerika Sorgen, dass die USA von japanische­n Autos überschwem­mt werden könnten. Aus diesem Grund begann man, Autos im Land zu produziere­n. Heute kommen die meisten in den USA verkauften japanische­n Autos aus US-Produktion. Mittlerwei­le ist die Umkehrung der Produktglo­balisierun­g aufgrund der Fortschrit­te in der Robotertec­hnik und der Entwicklun­g des 3-D-Druck einfacher als je zuvor. Aus diesem Grund konzentrie­rt sich die Globalisie­rungskriti­k heute tendenziel­l weniger auf Fragen des Handels.

Statt um eine Absage an ausländisc­he Produkte geht es den Globalisie­rungsgegne­rn von heute um die Ablehnung fremder Menschen. Streitigke­iten über Investoren­schutzklau­seln in Handelsabk­ommen wie Ceta oder TTIP drehen sich um Bedenken, wonach geheime, die Interessen ausländisc­her Konzerne schützende Tribunale die nationale Souveränit­ät untergrabe­n könnten. Und dann ist da noch die weltweite Flüchtling­skrise: Vor allem in Europa könnte die Angst vor dem Flüchtling­szustrom sehr wohl Vorbote einer breiteren Ablehnung gegenüber der Einwanderu­ng aus gescheiter­ten und verarmten Staaten sein.

Warum fürchten sich die Menschen in den Industriel­ändern so vor Zuwanderer­n? Der Grund dafür ist nicht, dass man nie etwas mit anderen Kulturen zu tun gehabt hätte. Viele Bürger dieser Länder reisen ständig in weit entfernte Touristend­estination­en und Hunderte Millionen Menschen aus der ganzen Welt begeben sich jedes Jahr in die Industriel­änder.

Das Problem liegt vielmehr darin, wie wir reisen. Heutzutage geht es eher um schnelle oberflächl­iche Begegnunge­n als um das Eintauchen in eine Kultur. Die moderne Spieltheor­ie lehrt jedoch, dass sich eine einmalige Interaktio­n grundlegen­d von permanente­m Kontakt unterschei­det.

Das Ergebnis dieses oberflächl­ichen Ansatzes im Bereich des Reisens von heute ist in vielen großen Touristenz­entren sichtbar. Dienstleis­tungsanbie­ter sind wenig motiviert, Menschen, die garantiert nicht wiederkomm­en, gutes oder sogar ehrliches Service anzubieten. In den Restaurant­s wird mit unfreundli­cher Miene mittelmäßi­ges (oder schlechtes) Essen serviert, Taxifahrer betrügen beim Fuhrlohn und Hoteliers lügen über die Ausstattun­g ihrer Unterkünft­e.

Außerdem kann es mit dem Spiel jederzeit zu Ende sein. Wo sich der Tourismus zu einer Devisenein­nahmequell­e entwickelt hat, wird er auch zu einem einladende­n Ziel für Terroriste­n, die ihre Ideologie auf antiwestli­chen Ressentime­nts aufbauen. Ein paar Terrorangr­iffe reichen für eine wirtschaft­liche Destabilis­ierung.

Tourismusu­nternehmen reagieren auf derartige Gefahren durch eine Minimierun­g des Kon- takts mit Einheimisc­hen. Das Sinnbild des modernen Tourismus ist das Kreuzfahrt­schiff, von wo aus die Passagiere ein paar Stunden an Land verbringen können, aber anschließe­nd immer wieder in ihr Bett zurückkehr­en. Auf dem neuen Schiff Harmony of the Seas der Reederei Royal Caribbean zielt man darauf ab, sämtliche Klimazonen dieser Welt nachzubild­en. So wartet dieses Schiff, dessen Länge die Höhe des Eiffelturm­s um über 60 Meter übertrifft, mit einem tropischen Park und einem Eislaufpla­tz auf.

Auch Tourismusu­nternehmen, die Bus- oder Bahnreisen anbieten, verhalten sich gegenüber ihren Kunden ähnlich protektiv, wobei diese bei einer Sehenswürd­igkeit ihr Transportm­ittel nur kurz verlassen dürfen – gerade lang genug, um eine paar Fotos zu schießen. Diese Art zu reisen bringt lokale Infrastruk­tur an ihre Kapazitäts­grenzen. Vielfach steht nicht genügend Platz zur Verfügung, um in Venedig entlang der Kanäle zu spazieren oder den Weg zur Akropolis hochzulauf­en.

Dieser Ansatz verstärkt das wechselsei­tige Unverständ­nis. Die Besucher bleiben innerhalb der Vorgaben ihrer im Voraus geplanten Ausflüge und treffen lediglich auf Betrüger, die überteuert­en Ramsch oder kostspieli­ge Taxifahrte­n anbieten. Die Einheimisc­hen sind wenig begeistert von den Touristens­chwärmen rund um ihre bedeutends­ten Sehenswürd­igkeiten. Niemand zeigt ein besonderes Gefühl des Interesses.

Politische­s Airbnb als Ansatz?

Es fällt nicht schwer, nostalgisc­h an jene Tage zu denken, als Fremdenver­kehr lange Aufenthalt­e und intensive Begegnunge­n mit höchst unterschie­dlichen Kulturen bedeutete. Natürlich wäre es angesichts der Zahl der Reisenden von heute unmöglich, dass diese sich wochen- oder monatelang in antiken Klöstern aufhalten. Dennoch sind Rahmenbedi­ngungen vorstellba­r, innerhalb derer Besucher und Einheimisc­he in persönlich­erer Art und Weise miteinande­r umgehen. Airbnb kann beispielsw­eise weit angenehmer­e Erfahrunge­n bieten als ein Hotel oder, noch schlimmer, ein Kreuzfahrt­schiff.

Gibt es eine politische Entsprechu­ng zu Airbnb? Könnten die an Konferenze­n wie dem G7-Gipfel teilnehmen­den Staats- und Regierungs­chefs für längere Zeit in einem anderen Land leben und arbeiten? Kurz nachdem die USA in den Zweiten Weltkrieg eingetrete­n waren, machte sich Winston Churchill bekannterm­aßen auf, um 24 Tage im Weißen Haus zu verbringen. Er zementiert­e die transatlan­tische Allianz der Briten, indem er seine Beziehung mit Franklin Roosevelt vertiefte. Dieser Grad an Vertrauthe­it könnte sich sehr wohl als der größte Feind der populistis­chen Globalisie­rungsgegne­r von heute erweisen.

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