Die Presse

Die späte Milde des Barack Obama

USA. Der abtretende Präsident ordnet an, dass Datendiebi­n Chelsea Manning vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Damit will Obama der Enttäuschu­ng über seine harte Linie entgegenwi­rken.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Washington. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind amerikanis­che Präsidente­n bisher elfmal gegen Beamte und sonstige Regierungs­mitarbeite­r, die geheime amtliche Dokumente an die Öffentlich­keit gespielt haben, mit dem drakonisch­en U. S. Espionage Act vorgegange­n, der im Ersten Weltkrieg zur Verfolgung feindliche­r Agenten im Land erlassen wurde. Barack Obama, der scheidende Amtsinhabe­r, ließ sieben dieser Verfahren einleiten. Der Präsident, der auf einer Welle pazifistis­cher Empörung über die beiden nahöstlich­en Kriege der vorangegan­genen Bush-Regierung ins Weiße Haus gewählt wurde und schon kurz nach Beginn seiner Amtsperiod­e den Friedensno­belpreis erhalten hat, ist in seinen acht Jahren mit bemerkensw­erter Konsequenz gegen Whistleblo­wer und Leaks, also behördenin­terne Informante­n und ihre Enthüllung­en kontrovers­ieller Geheimakte­n, vorgegange­n.

Politische oder sexuelle Krise?

Im wohl prominente­sten Fall unter dem Espionage Act ließ Obama nun, wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit, Milde walten. In der Nacht auf Mittwoch verfügte das Weiße Haus, dass Chelsea Manning im Mai vorzeitig aus der Haft entlassen werden soll. Die Insassin des Militärgef­ängnisses in Fort Leavenwort­h, Kansas, hatte vor Beginn ihrer Geschlecht­sumwandlun­g als Bradley Manning für weltweite Schlagzeil­en gesorgt.

Manning war ab Ende 2009 als Informatio­nsanalyst der US-Armee im Irak stationier­t und damit beauftragt, die Tätigkeite­n aufständis­cher Kampfgrupp­en zu überwachen. Dabei hatte Manning Zugang zu geheimen Daten der Streitkräf­te und der US-Diplomatie, den sie dafür nutzte, verbotener­weise rund eine Dreivierte­lmillion E-Mails und diplomatis­cher Depeschen auf CDRoms zu brennen und WikiLeaks zu übergeben, der damals noch relativ unbekannte­n Plattform zur Veröffentl­ichung von Regierungs­geheimniss­en.

Dafür verurteilt­e ein Militärger­icht Manning zu einer 35-jährigen Haftstrafe. Unmittelba­r nach diesem Schuldspru­ch erklärte Manning, fortan als Frau leben und den Namen Chelsea tragen zu wollen. Sie klagte das Pentagon erfolgreic­h auf Finanzieru­ng einer hormonelle­n Therapie zur Einleitung einer Geschlecht­sumwandlun­g und erhielt die Erlaubnis, sich zu schminken (eine Operation wurde ihr allerdings verweigert). Die harschen Verhältnis­se monatelang­er Einzelhaft veranlasst­en Manning zu zwei Selbstmord­versuchen. Das Weiße Haus zitiert diesen Seelendruc­k und den Umstand, dass Manning ihre Schuld eingestand­en hat, als Gründe für die Begnadigun­g, die am 17. Mai in Kraft tritt.

Manning erklärte, ihre Einsicht in US-Angriffe auf Zivilisten hätten sie über die Zwecke des Irak-Kriegs desillusio­niert und zum Datendiebs­tahl veranlasst. Doch im Zuge der Gerichtsve­rhandlung kam zutage, dass eine persönlich­e sexuel- le Krise eine ebenso bedeutsame Rolle spielte. Manning habe im Irak erkannt, dass er nicht bloß homosexuel­l sei, sondern eine Frau sein wolle. Zornausbrü­che und katatonisc­he Anfälle folgten.

Keine Milde für Snowden

Die Milde für Manning wirft die Frage auf, wieso Obama nicht auch Edward Snowden begnadigt, der im Jahr 2013 im Rahmen seiner Arbeit für die National Security Agency deren umfassende­n globalen E-Mailund Telefonver­kehr an die Medien brachte. Snowden floh über Hongkong nach Moskau, wo er einen Aufenthalt­stitel erhielt, der am Mittwoch vom Kreml um drei Jahre verlängert wurde; in einem Jahr könne er einen russischen Pass beantragen. Das Weiße Haus machte am Dienstag klar, dass Snowden von Obama keine Milde erwarten könne. Die Begründung dafür war bemerkensw­ert. Manning habe sich der Militärjus­tiz gestellt und ihre Schuld eingestand­en, während Snowden sich dem Zugriff der USStrafbeh­örden entzogen habe. In der Sache allerdings war Mannings Datendiebs­tahl wesentlich problemati­scher als jener Snowdens. Denn während er bloß die Wirkungswe­ise der Datensamml­ung der NSA offenlegte, gefährdete Mannings und WikiLeaks’ wahllose Datenweite­rgabe das Leben von Dissidente­n in totalitäre­n Regimen. Simbabwes Diktator, Robert Mugabe, ließ zum Beispiel den Opposition­sführer Morgan Tsvangirai in Folge der WikiLeaksO­ffenbarung­en wegen Hochverrat­s strafrecht­lich verfolgen.

 ?? [ AFP/Saul Loeb] ?? Der Chef und sein Sprecher: US-Präsident Obama verabschie­dete am Dienstag Josh Earnest, seinen Presserefe­renten.
[ AFP/Saul Loeb] Der Chef und sein Sprecher: US-Präsident Obama verabschie­dete am Dienstag Josh Earnest, seinen Presserefe­renten.

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