Kurzer Heimauftritt für den Bad Boy
Tennis. Lokalmatador Nick Kyrgios zeigte bei den Australian Open einmal mehr Genie und Wahnsinn. Nach fünf Sätzen mit Zauberschlägen und obligatorischem Wutanfall musste er sich in Runde zwei Andreas Seppi geschlagen geben.
Mindestens 77 australische Dollar müssen Tennisfans bezahlen, wenn sie bei den Australian Open den Weltbesten zuschauen wollen. Ein Andy Murray oder Novak Djokovic´ bürgen schließlich für höchste Qualität, sind gewissermaßen das Premiumprodukt. Wer hingegen ein Match von Nick Kyrgios besucht, weiß nie, was er geboten bekommt: Zauberschläge oder blanken Wahnsinn, oder von alledem ein bisschen etwas.
Kyrgios, 21, ist aktuell Nummer 13 der Welt und Australiens heißeste Tennisaktie. Der in Canberra geborene Sohn eines Griechen und einer Malaysierin verfügt über ein beeindruckendes Schlagrepertoire, jedoch auch über ein aufbrausendes Temperament und ein loses Mundwerk. Immer wieder sorgte er in der Vergangenheit mit Aussetzern für Aufsehen. So wurde er nach dem Masters in Shanghai im Oktober für acht Wochen gesperrt und musste sich in sportpsychologische Behandlung begeben, weil er in der Zweitrundenpartie seine Lustlosigkeit allzu offensichtlich zur Schau gestellt hatte. Angesichts dieser Vorgeschichte hat Kyrgios auch in der Heimat kein leichtes Standing, dennoch trug er die Hoffnungen der australischen Fans auf den ersten Heimsieg seit Mark Edmondson vor 41 Jahren.
Mit einem überzeugenden Auftaktsieg ließ Kyrgios die Erwartungen steigen, allen voran die eigenen. Während er bereits den Turniersieg in Reichweite wähnte, blieben andere weitaus skeptischer. „Kyrgios hat ohne Zweifel großes Talent, aber er muss der Welt und sich selbst erst einmal beweisen, dass er es in ein GrandSlam-Halbfinale schaffen kann, dann sehen wir weiter“, sagte Ro- ger Federer. Der Konter ließ nicht lange auf sich warten. „Er ist der Größte aller Zeiten, aber ich will einfach nur mein eigenes Ding durchziehen. Ich habe gegen Federer einmal gespielt und ihn einmal geschlagen“, gab Kyrgios dem Schweizer Superstar trotzig zurück. Die Antwort auf dem Platz blieb er hingegen schuldig.
In Runde zwei bot Kyrgios in dreieinhalb Stunden gegen den Italiener Andreas Seppi den Zuschauern ein Best-of seiner selbst: fabelhaftes Tennis und komfortable Zwei-Satz-Führung, dann Wutausbruch, Schlägerzerstörung und Schimpftirade im dritten Durchgang sowie Selbstaufgabe im vierten. Der finale Satz mutierte schließlich zum Krimi zwischen einem wieder besonnenen, aber fehlerhaft agierenden Kyrgios (68 unerzwungene Fehler) und einem tapfer kämpfendem Seppi. Beim Stand von 7:8 wehrte der Italiener einen Matchball ab und nutzte seine erste Chance zum 1:6, 6:7(1), 6:4, 6:2, 10:8-Sieg und besiegelte das vorzeitige Aus des Lokalmatadors – damit behielt vorerst Roger Federer Recht. (swi)