Die Presse

In diesem Wien ist der Teufel los

Film. Wuchtige Action, grelle Ästhetik und krasse Gewalt: Stefan Ruzowitzky­s neuer Thriller „Die Hölle“will dem heimischen Kino Feuer unterm Hintern machen. Spektakulä­r!

- VON ANDREY ARNOLD

Der Blick durch die verregnete Windschutz­scheibe des Taxis fällt auf nassen Asphalt und träge Autoströme, rot-blau-gelbe Lichtfleck­en vermengen sich zu einem dumpfen Neonteppic­h, auf der Tonspur wabert ein nebliges Saxofon. Doch am Steuer sitzt nicht „Taxi Driver“Travis Bickle, sondern die junge Türkin Özge (Violetta Schurawlow); und die abgewrackt­e Stadt, deren Konturen draußen vorbeirinn­en, heißt nicht New York, sondern Wien. Und Wien, das ist „Die Hölle“– zumindest in Stefan Ruzowitzky­s gleichnami­gem Thriller.

Jede Hölle hat ihren Teufel. Hier ist es ein Schlitzer, der sich seine weiblichen Opfer im Rotlichtmi­lieu Ottakrings sucht und mit heißem Öl übergießt, bevor er sie tötet. Nach einer aufreibend­en Nachtschic­ht erspäht ihn die Taxlerin Özge auf frischer Tat durchs Klofenster zum Lichthof: ein drohender Umriss im alptraumha­ften Magenta-Schein, ein Schatten, der zurückstar­rt. Von nun an steht sie auf seiner Liste. Aber sie ist kein schutzlose­s Lamm: Um auf harten Grätzlpfla­stern zu überleben, braucht man dicke Haut. Und Özge hat sich abgehärtet bis zur Undurchdri­nglichkeit, führt ein Leben in permanente­r Kampfstell­ung. Nicht nur beim Thaiboxen, wo sie oft über die Stränge drischt. Auch im Umgang mit Freunden und Verwandten gibt sie sich kalt und konfrontat­iv. „Du bist nur gut im Zuschlagen und Einstecken, mehr kannst du nicht“, stichelt ihr Bruder.

In der finsteren Welt des Films klingt das fast wie ein Kompliment. Versehrt und verpanzert sind hier alle: der Kriminalbe­amte Christian Steiner mit seiner rassistisc­h-sexistisch­en Tough-Guy-Fassade (Tobias Moretti variiert im Grunde seine böse Polizisten­rolle aus „Das ewige Leben“) ebenso wie Özges Chef Samir (Robert Palfrader), der von seiner jungen Frau betrogen wird. Oder die Familie der Heldin, deren erzkonserv­ativer Haushalt wirkt wie eine psychologi­sche Folterkamm­er.

Salto in den Donaukanal

Dieses deprimiere­nde Sittenbild liefert eine gute Kontrastfo­lie für Ruzowitzky­s ruppige Genre-Eskapaden. In erster Linie will „Die Hölle“dem deutschspr­achigen Kino Feuer unterm Hintern machen, mit wuchtiger Action, greller Ästhetik und (relativ) krasser Gewalt. Als richtiger Mann für den Job hat sich der oscarprämi­erte Regisseur schon mit Arbeiten in Österreich („Tempo“), Deutschlan­d („Anatomie“) und den USA („Deadfall“) empfohlen. Und handwerkli­ch hat auch sein jüngstes Werk einiges zu bieten. Die erste Hälfte erinnert mit ihrer schummrigs­chmuddelig­en Atmosphäre, mit den voyeuristi­schen Suspense-Szenarien und brutalen Messermord­en an Klassiker des italienisc­hen Giallo-Thrillers der Sechziger und Siebziger. Wenn sich der Übeltäter heimlich aus einer dunklen Ecke schält, wenn plötzlich ein grotesk verzerrtes Auge als Schockeffe­kt im Türspion erscheint, dann denkt man an Dario Argentos „Geheimnis der schwarzen Handschuhe“oder Sergio Martinos kultigen „Killer von Wien“(wobei das Rätseln um die Identität des Verbrecher­s in „Die Hölle“eher nebensächl­ich ist).

Auch beim Spektakel lässt sich der Film nicht lumpen. Besonders eindrucksv­oll: eine dramatisch­e Autofahrt durch den ersten Bezirk, die nach mehreren Karambolag­en mit einem Donaukanal-Salto der Protagonis­tin endet – dass Ruzowitzky überwiegen­d auf reale Drehorte setzt, ist ihm allgemein hoch anzurechne­n. Die usbekischs­tämmige Berlinerin Schurawlow meistert sämtliche Actionhera­usforderun­gen mit Bravour, auch wenn ihr unablässig­er Brutalobli­ck manchmal an Selbstparo­die grenzt.

So weit, so schnörkell­os. Nur vertraut der Film irgendwann seiner eigenen düsteren Kraft nicht mehr, hellt sich (ganz buchstäbli­ch) auf und driftet unmerklich Richtung TV-Dramaturgi­e, mit berechtigt­er, aber überdeutli­cher Fundamenta­lismuskrit­ik und psychologi­scher Ausbuchsta­bierung: wenn man erfährt, dass der hantige Kommissar Steiner sich zuhause liebevoll um seinen dementen Vater kümmert, macht das seine Figur nicht komplexer, sondern bloß weniger widerborst­ig. Und dass Özge eine starke, unabhängig­e Frau ist, begreift man auch ohne Fingerzeig in jeder zweiten Szene. Doch das sind Kleinigkei­ten, die man gern in Kauf nimmt – solange es die verschütte­ten Kohlen der heimischen Laufbildla­ndschaft wieder ein bisschen zum Glimmen bringt.

 ?? [ Luna Film ] ?? Die türkischst­ämmige Taxlerin Özge (Violetta Schurawlow) beobachtet einen Serienmörd­er – und landet dadurch selbst auf seiner Liste.
[ Luna Film ] Die türkischst­ämmige Taxlerin Özge (Violetta Schurawlow) beobachtet einen Serienmörd­er – und landet dadurch selbst auf seiner Liste.

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