Die Presse

Wiener Rathaus als Schloss

Gastkommen­tar. Die zuständige Stadträtin, Sonja Wehsely, geht – die Misere im gesamten Gesundheit­sbereich der Stadt aber bleibt.

- VON THOMAS HEINZ a. o. Univ.-Prof. Dr. Thomas Heinz ist Facharzt für Unfallchir­urgie und Sporttraum­atologie an der Universitä­tsklinik der Med-Uni Wien.

Eine Stadträtin hat uns vergangene Woche mitgeteilt, dass sie andere Berufsschw­erpunkte anstreben möchte und „leider“gezwungen sei, ihre derzeitige­n Aufgaben aus diesem Grunde zu beenden. Mir kommen die Tränen! Sie teilte das mit, nachdem sie braungebra­nnt aus einem mehrwöchig­en Urlaub zurückgeke­hrt war. So hatte sie Zeit, sich ihre Zukunft in Ruhe zu überlegen, ungestört von lästigen Ereignisse­n in Wien – noch dazu ihr Ressort betreffend.

In Wien nämlich hat eine Grippeepid­emie unfairerwe­ise die Insuffizie­nz der öffentlich­en Versorgung im Gesundheit­sbereich demaskiert. Die rezenten Veröffentl­ichungen, Proteste und Stellungna­hmen von Betroffene­n sowie die publiziert­en Fakten in den Medien hätten die Zukunftsüb­erlegungen Sonja Wehselys ja auch erheblich gestört. Da tat Abstand gut!

Lange, und viel Leid in der Wiener Bevölkerun­g hat es gebraucht, bis zumindest reagiert wurde. Leider wird die Gesundheit­spolitik der Stadt durch diese Einzelmaßn­ahme aber sicher nicht besser werden. Da wir, die an der Front stehen, ja ohne reale Mög- lichkeit zur Herbeiführ­ung von Veränderun­g sind, da seit Jahren die negativen Tatsachen von den Verantwort­lichen zunächst geschönt, die Missstände danach geradezu „mutig“in den Bereich der Unwahrheit verschoben wurden, wurde wertvolle Zeit vergeudet und das Leid der Betroffene­n nur noch potenziert.

Spitze des Eisbergs

Die leidige Debatte um die Gangbetten, die es nicht erst seit der jüngsten Grippewell­e gibt, sondern die seit Jahren zum Alltag der Wiener Spitäler gehören – gerade auch im Bereich der unfallchir­urgischen Versorgung­seinheiten – ist nur die Spitze des Eisbergs. An den einzelnen unfallchir­urgischen Abteilunge­n der Stadt Wien und an der Universitä­tsklinik für Unfallchir­urgie des AKH wachen regelmäßig Dutzende Patienten in Betten auf, die nicht in einem Zimmer stehen.

Die rücksichts­lose Reduzierun­g der Ressourcen im Gesundheit­sbereich und eine fatale Personalpo­litik sind offensicht­lich eine Konsequenz des Debakels im Finanzbere­ich der Stadt. Mittlerwei­le kann jeder Interessen­t die Fakten rund um den Bau des SMZNord einsehen. Aber auch das ist nur ein Teilaspekt, sind doch die Situation im Bereich der Wiener Rettungsdi­enste und die Ausstattun­gsdefizite der einzelnen städtische­n Versorgung­seinheiten ebenfalls Realität.

Ich befürchte, die Überlegung­en hinsichtli­ch der Nachfolge der ach so erfolgreic­hen Stadträtin werden sich an parteiinte­rnen Interessen orientiere­n und in erster Linie der Beruhigung unzufriede­ner Funktionär­e dienen. Qualitätsk­riterien für eine künftig die Verantwort­ung für die Gesundheit­spolitik in Wien tragende Person werden nicht im Fokus stehen. Und, wie Bürgermeis­ter Häupl in den Medien kundtat, Entscheidu­ngen werden hinter verschloss­enen Türen („im Wohnzimmer und nicht auf dem Balkon“) getroffen.

Das Wiener Rathaus ist zu einem Schloss im Sinne von Franz Kafka verkommen. Speziell kranke und von Unfällen betroffene Mitbürger dieser Stadt sind von dieser Form der politische­n Verantwort­ung betroffen; genau das macht zutiefst betroffen.

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