Wiener Rathaus als Schloss
Gastkommentar. Die zuständige Stadträtin, Sonja Wehsely, geht – die Misere im gesamten Gesundheitsbereich der Stadt aber bleibt.
Eine Stadträtin hat uns vergangene Woche mitgeteilt, dass sie andere Berufsschwerpunkte anstreben möchte und „leider“gezwungen sei, ihre derzeitigen Aufgaben aus diesem Grunde zu beenden. Mir kommen die Tränen! Sie teilte das mit, nachdem sie braungebrannt aus einem mehrwöchigen Urlaub zurückgekehrt war. So hatte sie Zeit, sich ihre Zukunft in Ruhe zu überlegen, ungestört von lästigen Ereignissen in Wien – noch dazu ihr Ressort betreffend.
In Wien nämlich hat eine Grippeepidemie unfairerweise die Insuffizienz der öffentlichen Versorgung im Gesundheitsbereich demaskiert. Die rezenten Veröffentlichungen, Proteste und Stellungnahmen von Betroffenen sowie die publizierten Fakten in den Medien hätten die Zukunftsüberlegungen Sonja Wehselys ja auch erheblich gestört. Da tat Abstand gut!
Lange, und viel Leid in der Wiener Bevölkerung hat es gebraucht, bis zumindest reagiert wurde. Leider wird die Gesundheitspolitik der Stadt durch diese Einzelmaßnahme aber sicher nicht besser werden. Da wir, die an der Front stehen, ja ohne reale Mög- lichkeit zur Herbeiführung von Veränderung sind, da seit Jahren die negativen Tatsachen von den Verantwortlichen zunächst geschönt, die Missstände danach geradezu „mutig“in den Bereich der Unwahrheit verschoben wurden, wurde wertvolle Zeit vergeudet und das Leid der Betroffenen nur noch potenziert.
Spitze des Eisbergs
Die leidige Debatte um die Gangbetten, die es nicht erst seit der jüngsten Grippewelle gibt, sondern die seit Jahren zum Alltag der Wiener Spitäler gehören – gerade auch im Bereich der unfallchirurgischen Versorgungseinheiten – ist nur die Spitze des Eisbergs. An den einzelnen unfallchirurgischen Abteilungen der Stadt Wien und an der Universitätsklinik für Unfallchirurgie des AKH wachen regelmäßig Dutzende Patienten in Betten auf, die nicht in einem Zimmer stehen.
Die rücksichtslose Reduzierung der Ressourcen im Gesundheitsbereich und eine fatale Personalpolitik sind offensichtlich eine Konsequenz des Debakels im Finanzbereich der Stadt. Mittlerweile kann jeder Interessent die Fakten rund um den Bau des SMZNord einsehen. Aber auch das ist nur ein Teilaspekt, sind doch die Situation im Bereich der Wiener Rettungsdienste und die Ausstattungsdefizite der einzelnen städtischen Versorgungseinheiten ebenfalls Realität.
Ich befürchte, die Überlegungen hinsichtlich der Nachfolge der ach so erfolgreichen Stadträtin werden sich an parteiinternen Interessen orientieren und in erster Linie der Beruhigung unzufriedener Funktionäre dienen. Qualitätskriterien für eine künftig die Verantwortung für die Gesundheitspolitik in Wien tragende Person werden nicht im Fokus stehen. Und, wie Bürgermeister Häupl in den Medien kundtat, Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen („im Wohnzimmer und nicht auf dem Balkon“) getroffen.
Das Wiener Rathaus ist zu einem Schloss im Sinne von Franz Kafka verkommen. Speziell kranke und von Unfällen betroffene Mitbürger dieser Stadt sind von dieser Form der politischen Verantwortung betroffen; genau das macht zutiefst betroffen.