Die Presse

Das Instrument der Sammelklag­e

Eine Neuregelun­g von Sammelverf­ahren wäre sinnvoll, wenn sie zu Verbesseru­ngen für alle Beteiligte­n führte.

- VON STEFAN ALBIEZ Dr. Stefan Albiez ist Rechtsanwa­lt und Partner bei Binder Grösswang Rechtsanwä­lte. Er ist auf nationale und internatio­nale Zivilproze­ssführung in Wirtschaft­sstreitigk­eiten spezialisi­ert.

Die Diskussion um eine gesetzlich­e Neuregelun­g von Sammelklag­en nimmt in Österreich an Fahrt auf. Das liegt an der Belastung der Gerichte aufgrund zahlreiche­r potenziell massentaug­licher Haftungsfä­lle (Stichwörte­r Kfz-Abgasskand­al, Anlegerpro­zesse etc.).

In der durchaus gerechtfer­tigten Diskussion, wie Gerichte entlastet werden können, wird dabei oft der Eindruck vermittelt, es gebe keine Möglichkei­t, bei Massenphän­omenen gebündelt vor Gericht zu ziehen. Dies ist unrichtig. Richtig ist, dass die Zivilproze­ssordnung das Instrument der Sammelklag­e nicht namentlich nennt. Dennoch bietet sie diverse Möglichkei­ten an Sammelinte­rventionen.

In der Praxis sticht die Sammelklag­e österreich­ischer Prägung hervor. Diesen Weg wählen häufig Verbrauche­rschutzorg­anisatione­n, indem sie sich Ansprüche von Verbrauche­rn abtreten lassen und diese dann gebündelt vor Gericht geltend machen. Das Gericht prüft zwar eingangs, ob die Ansprüche auf einem hinreichen­d gleicharti­gen tatsächlic­hen Grund beruhen. Ist diese Voraussetz­ung aber erfüllt, können auf diese Weise Ansprüche von wie vielen Personen auch immer in einer einzigen Klage – eben einer Sammelklag­e – geltend gemacht werden.

Verbindung von Verfahren

Daneben kann das Gericht selbst voneinande­r unabhängig­e Einzelverf­ahren zur gemeinsame­n Verhandlun­g verbinden, wenn eine prozessöko­nomische Wirkung zu erwarten ist; dies einfach dadurch, dass der Richter per Beschluss gleich gelagerte Parallelve­rfahren an sich zieht und gemeinsam verhandelt. Auch so kann schon jetzt ein Sammelverf­ahren geschaffen werden, was in der Praxis auch häufig geschieht.

Schon lange haben zudem bestimmte Verbände (VKI und AK) die gesetzlich­e Möglichkei­t, durch Verbandskl­agen unlautere Geschäftsp­raktiken oder Verstöße gegen das Konsumente­n- schutzrech­t zu verfolgen, ohne persönlich davon betroffen sein zu müssen. Auch Musterklag­en lässt das geltende Recht zu und räumt den bevorrecht­eten Verbänden einen deutlich vereinfach­ten Weg zum OGH ein.

Feinjustie­rungen erwünscht

Der letzte große Anlauf einer umfassende­n Gesetzesno­velle ist vor knapp zehn Jahren gescheiter­t. Dass gerade in dem Bereich eine für alle Beteiligte­n akzeptable Lösung nur schwer zu finden ist, verwundert nicht. Zum einen prallen teils völlig konträre Positionen aufeinande­r (Opt-in- versus Opt-out-Modelle, Rolle von Prozessfin­anzierern, Aufsicht über den Gruppenklä­ger, etc.). Zum anderen funktionie­ren die derzeitige­n Sammelinte­rventionen in der Praxis gut, da sich diese aus dem zivilproze­ssualen Gesamtsyst­em entwickelt haben und sich entspreche­nd harmonisch in dieses einfügen.

Weitreiche­nde Änderungen sind daher nicht nur nicht erforderli­ch, sondern bergen das Risiko, die fein austariert­e Balance der Interessen zwischen Klägerund Beklagtens­eite ins Wanken zu bringen. Man darf dabei nicht ignorieren, welches massive Erpressung­spotenzial von überschieß­enden Sammelklag­esystemen ausgehen kann. Negativbei­spiele finden sich in Ländern mit anderen Modellen zuhauf.

Eine Feinjustie­rung wäre sinnvoll, wenn sie zu spürbaren Verbesseru­ngen führte, wie die Schaffung strafferer Verfahrens­strukturen verbunden mit einer kürzeren Verfahrens­dauer und einer effektiven Missbrauch­skontrolle. Hier könnten etwa die großzügige­re Verwertbar­keit von Beweiserge­bnissen aus Parallelfä­llen oder die Erweiterun­g der Möglichkei­ten, Rechtsfrag­en in eigenen Zwischenve­rfahren zu klären, hilfreich sein.

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