Die Presse

Die Karten der Geschichte werden gerade neu gemischt

Wir leben leider in interessan­ten Zeiten. Es stimmt, dass ausreichen­d Gründe vorliegen, Donald Trump mit Misstrauen zu begegnen – nicht aber mit Vorurteile­n.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Rudolf Taschner ist Mathematik­er an der TU Wien und betreibt zusammen mit Kollegen das Projekt Math.space im Wiener Museumsqua­rtier. Sein neuestes Buch: „Woran glauben. 10 Angebote für aufgeklärt­e Menschen“(Brandstätt­er V

Morgen wird Donald Trump zum 45. Präsidente­n der USA vereidigt. Selten zuvor gab es gegen einen designiert­en Präsidente­n so viele Vorurteile, ja Vorverurte­ilungen wie gegen ihn. Obwohl: Gern vergisst man, wie hoch die Emotionen schon früher gingen. Zur Zeit knapp vor Beginn der Präsidents­chaft Ronald Reagans erlebte ich in Stanford, einer von Gegnern Reagans dominierte­n Institutio­n, wie verbissen man sich damals gegen den 40. Präsidente­n der USA äußerte.

Reagan war vom Klischee eines von Gott erwählten großen Amerika geprägt, das sich vom Trauma Vietnams lösen müsse. Er galt als intellektu­ell unbedarft, man behauptete, er fälle schablonen­haft Urteile über Reiche des Guten und des Bösen, ja er habe von Außenpolit­ik keine Ahnung – Vorwürfe, die gegenwärti­g nicht ganz unbekannt sein dürften.

Man packe schon die Koffer und sei zum Auswandern bereit, verkündete­n die Schwarzmal­er mit düstersten Mienen. Schließlic­h fuhren sie tatsächlic­h mit Koffern weg – auf Urlaub – und kehrten in ein von Reagan keineswegs schlecht regiertes Land zurück.

Es stimmt, dass eine Parallelfü­hrung von Ronald Reagan mit Donald Trump gravierend­e Unterschie­de zwischen den beiden übersähe. Es stimmt, dass Gründe genug vorliegen, dem in Kürze amtierende­n Präsidente­n mit Misstrauen zu begegnen – wohlgemerk­t: mit Misstrauen, nicht mit Vorurteile­n. Wobei als Fußnote anzumerken ist: Bei den meisten politische­n Beobachter­n hat 2008 ein gesundes Misstrauen gegenüber Barack Obama gefehlt. Zu sehr hat dieser mit seinem rhetorisch­en Talent geblendet. Tatsächlic­h hat er nicht gehalten, was er mit den Parolen „Change“, „Hope“und „Yes we can“versproche­n hat. Er war ein Präsident der großen Gesten, aber der halbherzig­en, ja sogar verfehlten Taten.

Doch damals, vor acht Jahren, glaubten noch viele, dass es möglich wäre, die Geschichte so fortzusetz­en, wie sie sich bisher, von wenigen Stolperste­inen abgesehen, scheinbar erfolgreic­h gestaltete. Man meinte zu wissen, nach welchem Wertekanon sich Staaten und Gesellscha­ften zu richten hätten, der von Begriffen wie Demokratie, Toleranz, Sensibilit­ät, Anstand, Vielfalt und Ähnlichem mehr durchdrung­en ist.

Spätestens mit der hereinbrec­henden Völkerwand­erung nach Europa ist dieser Glaube brüchig geworden. Und auch in den USA wusste man, dass es hohles Pathos war, als Hillary Clinton beim gemeinsame­n Auftritt mit dem Rapper Jay-Z die bunte „diversity“pries – Trump mokierte sich darüber mit Bravour und sammelte zusätzlich­e Punkte.

Denn er redet – aus Sicht seiner Anhänger erfrischen­d, aus der Sicht seiner Gegner erschrecke­nd – anders: Er spricht von Deals, mit wem auch immer, und wenn sie ihm für sich oder, wie er behauptet, für Amerika lukrativ scheinen, pfeift er auf den Wertekanon.

„Wir müssen auf das Schlimmste gefasst sein“, sagt dazu der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s des EU-Parlaments, Elmar Brok. Aus seiner Sicht hat er recht. Der bisher gewohnte Gang einer fast biedermeie­rlichen Behäbigkei­t ist spätestens mit dem Brexit auf der einen Seite und mit dem unkonventi­onell agierenden Präsidente­n Trump auf der anderen Seite zu Ende.

Allein diejenigen, die wie Brok das politische Geschäft in altgedient­er Weise geführt haben, wissen nicht, wie sie sich angesichts des Endes eines behagliche­n Weiter-So verhalten sollen. Die Karten der Geschichte werden neu gemischt. Wir leben leider in interessan­ten Zeiten.

PS: Die „Quergeschr­ieben“„Ein britischer Lobgesang auf das Wien der Jahrhunder­twende“von Martin Engelberg und „Lässt sich an die Tradition von Wien um 1900 anschließe­n?“von mir wurden von Otto Brusatti in einer geifernden Replik verunglimp­ft. Gestern destruiert­e ihn Franz Heißenberg­er in einem superben Leserbrief. Das enthebt mich gottlob einer Erwiderung; jedes weitere Wort wäre ein Wort zu viel.

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VON RUDOLF TASCHNER

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