Die Karten der Geschichte werden gerade neu gemischt
Wir leben leider in interessanten Zeiten. Es stimmt, dass ausreichend Gründe vorliegen, Donald Trump mit Misstrauen zu begegnen – nicht aber mit Vorurteilen.
Morgen wird Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA vereidigt. Selten zuvor gab es gegen einen designierten Präsidenten so viele Vorurteile, ja Vorverurteilungen wie gegen ihn. Obwohl: Gern vergisst man, wie hoch die Emotionen schon früher gingen. Zur Zeit knapp vor Beginn der Präsidentschaft Ronald Reagans erlebte ich in Stanford, einer von Gegnern Reagans dominierten Institution, wie verbissen man sich damals gegen den 40. Präsidenten der USA äußerte.
Reagan war vom Klischee eines von Gott erwählten großen Amerika geprägt, das sich vom Trauma Vietnams lösen müsse. Er galt als intellektuell unbedarft, man behauptete, er fälle schablonenhaft Urteile über Reiche des Guten und des Bösen, ja er habe von Außenpolitik keine Ahnung – Vorwürfe, die gegenwärtig nicht ganz unbekannt sein dürften.
Man packe schon die Koffer und sei zum Auswandern bereit, verkündeten die Schwarzmaler mit düstersten Mienen. Schließlich fuhren sie tatsächlich mit Koffern weg – auf Urlaub – und kehrten in ein von Reagan keineswegs schlecht regiertes Land zurück.
Es stimmt, dass eine Parallelführung von Ronald Reagan mit Donald Trump gravierende Unterschiede zwischen den beiden übersähe. Es stimmt, dass Gründe genug vorliegen, dem in Kürze amtierenden Präsidenten mit Misstrauen zu begegnen – wohlgemerkt: mit Misstrauen, nicht mit Vorurteilen. Wobei als Fußnote anzumerken ist: Bei den meisten politischen Beobachtern hat 2008 ein gesundes Misstrauen gegenüber Barack Obama gefehlt. Zu sehr hat dieser mit seinem rhetorischen Talent geblendet. Tatsächlich hat er nicht gehalten, was er mit den Parolen „Change“, „Hope“und „Yes we can“versprochen hat. Er war ein Präsident der großen Gesten, aber der halbherzigen, ja sogar verfehlten Taten.
Doch damals, vor acht Jahren, glaubten noch viele, dass es möglich wäre, die Geschichte so fortzusetzen, wie sie sich bisher, von wenigen Stolpersteinen abgesehen, scheinbar erfolgreich gestaltete. Man meinte zu wissen, nach welchem Wertekanon sich Staaten und Gesellschaften zu richten hätten, der von Begriffen wie Demokratie, Toleranz, Sensibilität, Anstand, Vielfalt und Ähnlichem mehr durchdrungen ist.
Spätestens mit der hereinbrechenden Völkerwanderung nach Europa ist dieser Glaube brüchig geworden. Und auch in den USA wusste man, dass es hohles Pathos war, als Hillary Clinton beim gemeinsamen Auftritt mit dem Rapper Jay-Z die bunte „diversity“pries – Trump mokierte sich darüber mit Bravour und sammelte zusätzliche Punkte.
Denn er redet – aus Sicht seiner Anhänger erfrischend, aus der Sicht seiner Gegner erschreckend – anders: Er spricht von Deals, mit wem auch immer, und wenn sie ihm für sich oder, wie er behauptet, für Amerika lukrativ scheinen, pfeift er auf den Wertekanon.
„Wir müssen auf das Schlimmste gefasst sein“, sagt dazu der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, Elmar Brok. Aus seiner Sicht hat er recht. Der bisher gewohnte Gang einer fast biedermeierlichen Behäbigkeit ist spätestens mit dem Brexit auf der einen Seite und mit dem unkonventionell agierenden Präsidenten Trump auf der anderen Seite zu Ende.
Allein diejenigen, die wie Brok das politische Geschäft in altgedienter Weise geführt haben, wissen nicht, wie sie sich angesichts des Endes eines behaglichen Weiter-So verhalten sollen. Die Karten der Geschichte werden neu gemischt. Wir leben leider in interessanten Zeiten.
PS: Die „Quergeschrieben“„Ein britischer Lobgesang auf das Wien der Jahrhundertwende“von Martin Engelberg und „Lässt sich an die Tradition von Wien um 1900 anschließen?“von mir wurden von Otto Brusatti in einer geifernden Replik verunglimpft. Gestern destruierte ihn Franz Heißenberger in einem superben Leserbrief. Das enthebt mich gottlob einer Erwiderung; jedes weitere Wort wäre ein Wort zu viel.