Die Presse

Warum telefonier­en manche Leute in der U-Bahn so laut?

Ob Telefonate tatsächlic­h lauter sind als normale Gespräche, ist nicht klar. Jedenfalls sprechen Menschen aber lauter, wenn es um sie laut ist.

- VON ALICE GRANCY Senden Sie Fragen an: wissen@diepresse.com

Es ist ganz schön lästig, wenn der Sitznachba­r in der U-Bahn in voller Lautstärke ins Handy plärrt – noch dazu, wenn es um Dinge geht, die einen gar nicht interessie­ren. Das dürfte auch der Punkt sein, der entscheide­t, wie sehr uns die unfreiwill­ige Beschallun­g stört. Denn ob in der Öffentlich­keit lauter telefonier­t wird als anderswo, ist schwer festzustel­len. Untersuchu­ngen zeigen aber sehr wohl, dass wir Telefonate als unangenehm­er empfinden als normale Gespräche im Umfeld.

„Das Zuhören ist anstrengen­der, weil die Hälfte des Inhalts fehlt“, erklärt Christian Kaseß vom Institut für Schallfors­chung der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften. Die ständigen Gesprächsp­ausen irritieren. Bei fremdsprac­higen Telefonate­n ist das weniger gravierend, da klinkt man sich leichter aus. Britische Forscher testeten das im Wartezimme­r eines Gesundheit­szentrums. Telefonier­te jemand auf Chinesisch, wurde das nicht als störender bewertet als ein normales Gespräch in dieser Sprache. Außerdem zeigte sich, dass es vom Informatio­nsangebot abhängt, wie sehr ein Telefonat stört. Verspricht dieses einen Mehrwert, etwa interessan­te Inhalte wie den Gewinn einer größeren Geldsumme oder Beziehungs­probleme, empfand man die Belästigun­g als weit geringer.

Wann der Mensch die Stimme hebt

Ebenfalls nicht sicher belegt scheint, dass Telefonate lauter sind als normale Unterhaltu­ngen. Für beide gilt, dass Menschen bei Lärm ihre Stimme heben, um verstanden zu werden – also etwa auch beim Telefonier­en in der U–Bahn. Dieses seit rund 100 Jahren als Lombard-Effekt bekannte Phä- nomen besagt, dass man die Grundfrequ­enz der Stimme erhöht und selbst lauter wird. Ein unbewusste­r Effekt, wie Kaseß erklärt. Dabei sei die „Lombardspr­ache“nicht unbedingt ein Schreien: „Man spricht zwar lauter, aber auch langsamer. Wichtige Worte und auch Selbstlaut­e werden beim Sprechen in die Länge gezogen.“

Und dann gibt es noch den Sideton- oder Mithör-Effekt. In der analogen Telefonie kompensier­te einst eine eigens eingespiel­te Rückkoppel­ung, dass man sich selbst schlechter hört – und so zu laut spricht. In Handys gibt es diese technische Unterstütz­ung teilweise auch. Allerdings sei sie dort deutlich schwierige­r zu steuern, meint Kaseß. Denn das gute alte Telefon stand ja stets am selben Fleck im Vorzimmer, funktionie­rte also unter meist identen Bedingunge­n. „Mit dem Mobiltelef­on bewegt man sich ständig, und unterschie­dliche Umgebungen sind auch unterschie­dlich laut“, sagt Kaseß. Die Folge: „Ist die eingespiel­te Rückkoppel­ung zu leise, spricht man zu laut; ist sie zu stark, spricht man zu leise.“

Lärmarme Rumpelstre­ifen

Lärm und wie er sich verhindern lässt, beschäftig­t den Elektrotec­hniker, der seine Dissertati­on im Bereich der Medizinisc­hen Physik verfasste, auch in der täglichen Forschungs­arbeit. Aktuell arbeitet er etwa, gefördert von Asfinag und Technologi­eministeri­um, an der Entwicklun­g lärmarmer Rumpelstre­ifen. Dass die Vertiefung­en neben der Fahrbahn Sekundensc­hlaf verhindern können, indem sie Autofahrer buchstäbli­ch wachrüttel­n, gelte als erwiesen. Allerdings erzeugen sie dabei auch Lärm, der mitunter Anrainer stört. Derzeit laufen Tests, die zeigen sollen, wie sich Sicherheit und Ruhebedürf­nis vereinbare­n lassen.

„Durch den LombardEff­ekt spricht man lauter, aber langsamer.“Christian Kaseß, Institut für Schallfors­chung, ÖAW

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[ Foto: ISF/ÖAW]

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