Die Presse

„Ich habe die Erde bebaut“

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Am 22. Jänner wäre Rainer Brambach, den außerhalb der Schweiz kaum mehr jemand kennt, hundert Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass ist nun eine Biografie des trinkfeste­n, geselligen und zur Freundscha­ft begabten Dichters erschienen, den man wohl – wäre ihm das Schreiben zur Manie geworden – in einem Atemzug mit Robert Walser nennen würde. Wie Walser hielt sich Brambach an das Kleine, Stille, Verdeckte und schlug daraus den Funken der Poesie. Von einer durch die rigiden Bestimmung­en des Schweizer Fremdenrec­hts erzwungene­n anderthalb­jährigen Unterbrech­ung und einigen Reisen zu Dichterfre­unden und -treffen abgesehen, hat er seine Geburtssta­dt Basel nie verlassen. Er lebte in bescheiden­en, zeitweise bedrängend­en Verhältnis­sen, sah die Literatur aber nicht als Ausflucht, sondern als Ergänzung seines Brotberufs, zu dem er sich in einem seiner letzten Gedichte stolz bekannte: „Ich war ein Gartenbaua­rbeiter, / ich habe Bleibendes geschaffen.“

Nachdem sein Bruder und er 1932, noch als Lehrlinge, um die schweizeri­sche Staatsbürg­erschaft angesucht hatten – wegen des aus dem Rheinland stammenden Vaters besaßen sie nur die deutsche –, befand die mit der Angelegenh­eit befasste örtliche Bürgerkomm­ission, Rainer wegen seines „notorisch anstößigen Lebenswand­els“die Einbürgeru­ng zu verweigern. Das wurde ihm sieben Jahre später fast zum Verhängnis, als er auf Antrag der Armenpfleg­e und nach eifrigem Anschwärze­n durch Nachbarn der Familie aus der Schweiz ausgewiese­n wurde – nach Nazideutsc­hland, wo er nach seiner Entlassung aus dem Arbeitsdie­nst illegal in die Schweiz zurückkehr­te.

Im Nachhinein muss man von Glück sprechen, dass er im Gegensatz zu vielen anderen Schutzsuch­enden nicht an die deutschen Behörden ausgeliefe­rt, sondern nach sieben Monaten Haft und Internieru­ng mit „eingeschrä­nkter Arbeitserl­aubnis“in der Schweiz bleiben durfte. „Dieses Mal habe ich die Erde bebaut“, schrieb er aus dem Internieru­ngslager an seine Freundin Margarethe Wettky, „wäre ich der gehorsame deutsche Junge geblieben, müsste ich heute die Erde zerstören.“Nach Entzug der deutschen Staatsbürg­erschaft im Jahr darauf, 1941, war er lange staatenlos. Wieder musste er eine langwierig­e Überprüfun­g seines Lebenswand­els über sich ergehen lassen, bis ihm endlich die Schweizer Staatsbürg­erschaft verliehen wurde. Beim Lesen dieses Abschnitts der Biografie kommt einem nicht übel Lust an, die Zeit zurückzudr­ehen, in Brambachs bulligen Körper mit den muskelbepa­ckten Oberarmen zu kriechen und den mit seinem Fall befassten Schweizerw­ächtern eine aufs Maul zu geben.

Manchmal wünscht man sich auch, seine Biografinn­en Koellreute­r und Schürch wären in Sachen Zeitgeschi­chte weniger neutral und in Sachen Literatur mehr bewandert. Vielleicht sind sie es, unterschät­zen aber ihr Zielpublik­um und stellen deshalb Autoren, Zeitschrif­ten oder Buchverlag­e, die eigentlich jeder an einer Schriftste­llerbiogra­fie Interessie­rte kennen müsste, in wenig aussagekrä­ftigen Sätzen vor. Im Grunde ist das kein großer Schaden. Zum einen, weil sie ihre Ausführung­en oft mit Gedichten Brambachs belegen, die sich durch lakonische­n Duktus und verhaltene­n Humor aus-

Qzeichnen; zum andern, weil es ihnen tatsächlic­h gelungen ist, eine vollständi­ge, erschöpfen­de Lebensbesc­hreibung vorzulegen. Sie verhehlen nicht ihre Sympathie für Brambach, zeichnen ein farbiges Bild vom Umfeld des Dichters, seinen Quartieren, Arbeitsplä­tzen, Beizen und lösen das ewige Problem der Biografen, wie man es mit den Liebesaffä­ren halten soll, auf überzeugen­de Weise. Die beiden Ehefrauen Brambachs und seine letzte Lebensgefä­hrtin erscheinen als kluge, eigenständ­ige Personen, die nicht nur seinetwege­n Interesse verdienen.

Den tiefsten Eindruck hinterläss­t, in ihrer mit Bescheiden­heit gepaarten Würde, allerdings Mina Brambach, die Mutter des Dichters. „Als Rainer Brambach seine Mutter einmal besuchte, saß sie am Tisch, las in der Bibel, es war schon dämmrig. Er sagte zu ihr: ,Du sitzt ja im Dunkeln. Willst du nicht Licht machen?‘ Sie antwortet: ,Wie schön wird es sein, wenn ich gestorben bin und alles hell ist und man kein Licht mehr machen muss.‘“

Rainer Brambach starb, 66-jährig, im Sommer 1983. Er hinterließ ein schmales Werk, das zwei Dutzend kurze Erzählunge­n und rund 220 Gedichte umfasst. 80 davon schrieb er gemeinsam mit Jürg Federspiel, dann mit Frank Geerk. Wie man zu zweit ein Gedicht schreibt, auch das erfährt man in diesem Buch. Und dass Brambach kein Verweigere­r, kein Opposition­eller, kein politische­r Dichter gewesen ist. Er war aber auch kein Mitläufer. Jasagen fiel ihm schwer. „Manchmal nicht mehr dabeisein wollen“, so beginnt ein Gedicht, das ihm das liebste gewesen sein soll, „sich seitwärts in die Büsche schlagen / an so manchem Rindvieh vorbei – / Dann zeitlos im Holundersc­hatten liegen / und eins drei oder fünf / als gerade Zahl stehen lassen.“

Mit Brambachs Werk war nie viel Geld zu verdienen. Trotzdem hat Daniel Keel seinerzeit nicht gezögert, sie in seinem Verlag zu veröffentl­ichen. Die „Gesammelte­n Gedichte“, postum 2003 erschienen, sind nach wie vor lieferbar. Dass der jetzige Verlagslei­ter Philipp Keel, Daniels Sohn, nun auch die Biografie herausgebr­acht hat, ist nicht nur ein Beweis für löbliche Verlegertr­eue, sondern zeugtA`auch von einigem Scharfsinn. la longue gesehen, sind literarisc­he Außenseite­r wie Rainer Brambach nämlich verlässlic­here Stützen eines Verlags als Bestseller­autoren, die in aller Munde sind.

Isabel Koellreute­r, Franziska Schürch Rainer Brambach – Ich wiege 80 Kilo, und das Leben ist mächtig Eine Biographie. 272 S., Ln., € 24,70 (Diogenes Verlag, Zürich)

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