Die Presse

The Making of Sascha

Kommenden Donnerstag wird Alexander „Sascha“Van der Bellen als Bundespräs­ident angelobt. Wie er wurde, was er nun ist: Chronik einer Mitbegründ­erin der WahlkampfI­nitiative „Es bleibt dabei. Österreich­er und Österreich­erinnen für Van der Bellen“.

- Von Helene Maimann

Die wirkliche Zitterpart­ie war zu Ende, als Alexander Van der Bellen am 22. Mai die Stichwahl gegen Norbert Hofer mit 32.000 Stimmen Überhang gewann. Dieser – zweite – Bundespräs­identschaf­tswahlkamp­f dauerte knapp vier Wochen. Das Wetter war herrlich, die Stimmung unter den VdB-Anhängern düster. Zwischen Hofer und Van der Bellen lagen nach dem ersten Wahlgang 16 Prozent. Dann wurde es turbulent. Kanzler Faymann musste zurücktret­en, ein Neuer sprang auf die Bühne. Die Stimmung drehte sich sofort. Christian Kern blies mächtig ins Horn, versprach einen „New Deal“, holte den liberalen Flügel der ÖVP ins Boot und warb energisch für Van der Bellen. Dazu kamen Künstler und Intellektu­elle, Unternehme­r und Medienleut­e, von Norbert Hofer als „die Schickeria“bezeichnet.

Die Spannung stieg, ob der gelassene, etwas altväterli­che Professor sich gegen den blauen Shootingst­ar würde durchsetze­n können. In einem nicht moderierte­n Schlagabta­usch im Privatsend­er ATV konfrontie­rte Hofer den schlecht auf ihn eingestell­ten Van der Bellen mit zynischen Rüpeleien – „Nachplappe­rn können Sie also auch! Reden Sie doch mit einer Flasche, die redet nicht zurück“– und mobilisier­te damit nicht nur die eigenen Anhänger, sondern auch viele empörte Bürgerlich­e, die eine Woche später den Vorsprung von Hofer zunichtema­chten.

Der rabiate Wahlkampf der Freiheitli­chen zahlte sich also nicht aus. Aber sie lernten nichts dazu, griffen das Ergebnis an, bevor es überhaupt feststand und fochten die Wahl wegen Verfahrens­mängeln bei der Auszählung der Briefwahlk­arten (und letztendli­ch den größten Wahlsieg ihrer Geschichte) an. Das trug ihnen den Makel des schlechten Verlierers ein. Dann machten sie ein paar weitere folgenschw­ere Fehler.

Zunächst der mit viel Getöse inszeniert­e „patriotisc­he Frühling“Mitte Juni. Das Foto von Norbert Hofer beim galanten Handkuss für Marine Le Pen ging um die Welt und heftete sich an seine Fersen. Das konnte er nie mehr zurückrufe­n. Noch ein halbes Jahr später geriet er aus der Fassung, als Van der Bellen ihn damit konfrontie­rte. Als Ende Juni die Briten für den Austritt aus der EU votierten, unter dem Applaus der FPÖ, musste sich Hofer wenig später davon distanzier­en, als klar wurde, dass der Brexit nicht gut ankam. Damit ließ er aber jene Wähler im Stich, die sich von ihm genau das erhofft hatten. Der Öxit ließ sich umso weniger wegreden, je öfter ihn die FPÖ als politische­s Ziel abstritt. Dann kam der Entscheid des Verfassung­sgerichtsh­ofes: Wiederholu­ng der Stichwahl Anfang Oktober.

Die Freiheitli­chen signalisie­rten Siegesgewi­ssheit und stießen gleich einmal ganze Wählergrup­pen vor den Kopf. Zunächst viele der eigenen Funktionär­e, die sich düpiert fühlten, weil sie selbst als Wahlbeisit­zer der Schwindele­i überführt worden waren und jetzt mit einer Anzeige der Korruption­sstaatsanw­altschaft rechnen mussten. Ebenso wurde ein ganzer Sektor des Sozialsyst­ems brüskiert, als den Altenpfleg­erinnen unterstell­t wurde, die Wahlkarten ihrer Schützling­e manipulier­t zu haben. Dann wurde den Alten präventiv das Wahlrecht abgesproch­en, weil sie ohnehin nicht mehr ganz klar im Kopf seien. „Ich kenne in meinem Umfeld niemanden, der jetzt noch einmal den Hofer wählen würde“, sagte mir eine Krankensch­wester.

Und dann noch: der Trachtenja­nker

Die scharfe Polemik gegen das „Establishm­ent“– ein linker Kampfbegri­ff aus den Siebzigern, der auf einmal eine Wiedergebu­rt erlebte und zu dem sich alle zählen durften, die einen Akademiker­beruf, ein öffentlich­es Mandat oder einen „staatsnahe­n“Job ausübten – brachte weitere Gruppen auf. Dennoch: Anfang September hatte Hofer seine Anhänger über die FPÖ-Netzwerke voll mobilisier­t.

Diesem Hoch stand die Entschloss­enheit der Kampagne von Van der Bellen gegenüber, eine Machtergre­ifung der FPÖ unter allen Umständen zu verhindern. Jetzt ging es in eine neue Runde. „Die Wiederholu­ng einer Bundeswahl ist in Österreich überhaupt noch nie dagewesen“, sagt der Wahlforsch­er Günther Ogris. „Sehr interessan­t, so etwas zu beobachten. Sie ermöglicht­e einen enormen Lerneffekt.“Kampagnenc­hef Lothar Lockl war 1997 einer der Mitinitiat­oren des Gentechnik-Volksbegeh­rens gewesen, das mit einer prononcier­ten Heimaterzä­hlung 1,2 Millionen Menschen zur Unterschri­ft gebracht hatte. Van der Bellen präsentier­te sich nach dem Sommer nicht nur als Kandidat der Mitte, überpartei­lich, bürgerlich, patriotisc­h und prinzipien­fest. Sondern auch als Tiroler aus dem Kaunertal, der seine zentrale Botschaft in einer kaum verständli­chen, wunderbar melodische­n Sprache verbreitet­e. „Se koana moana, dass ea koan ondera brauch. Du brauchsch mi und i brauch di.“Damit brachte er seine Werte – Gemeinscha­ft, Zusammenha­lt, Solidaritä­t – auf den kaunertale­rischen Punkt und nahm dem Kontrahent­en die Deutungsho­heit in Sachen Volk und Heimat weg. Schließlic­h kaufte er sich bei Gexi Tostmann einen Trachtenja­nker, tourte durch das Land, schüttelte viele Hände und besuchte sogar den Wallfahrts­ort der österreich­ischen Sommerfolk­lore, den Flugtag in Zeltweg. Große sozialpoli­tische Ansagen tätigte er nicht. Die Flüchtling­sfrage blieb ein Randthema. Die naserümpfe­nden Linken sahen ihm das nach, denn der Kandidat deklariert­e sich unnachgieb­ig als überzeugte­r Europäer, antination­alistisch und antirassis­tisch.

Gleichzeit­ig formierte sich die Zivilgesel­lschaft. Im Mai hatte sie eher spontan und auf individuel­ler Basis agiert. Nun wurden unabhängig­e Initiative­n, die sich vernetzten, überregion­al aktiv, um ein gemeinsame­s Ziel zu verfolgen: die Nichtwähle­r und die bürgerlich-konservati­ven Unentschlo­ssenen zu mobilisier­en, Hofer zu verhindern und VdB zu bestätigen. Sie hießen „Es bleibt dabei“, „|aufstehn“, „Demokratie leben“, „reden. wirkt“und „Frauen gegen Hofer“.

Dann sorgte das Klebstoffd­esaster für eine weitere Wahlversch­iebung. Sie half vor allem der Zivilgesel­lschaft, die jetzt genug Zeit hatte, ihr Potenzial auszubauen. Hofer wurde beim Wort genommen. Plötzlich schallte es aus dem Echoraum von Youtube zurück: „Niemand wird uns aufhalten. Heinz Christian Strache wird mit Sicherheit der nächste Bundeskanz­ler. Dann gibt’s einen freiheitli­chen Präsidente­n, einen freiheitli­chen Kanzler und einen freiheitli­chen Ersten Nationalra­tspräsiden­ten.“Als die Wahlkampag­ne Ende Oktober wieder in Gang kam, war der Schwung der FPÖ dahin. Ihre Botschafte­n widersprac­hen einander. Szenarios wie die Drohung mit einem möglichen Bürgerkrie­g und ein „Anschluss“an die Visegrad-Staaten erwiesen sich als wenig attraktiv. Hofer verwickelt­e sich in Widersprüc­he, was er als „aktiver“Präsident vorhatte, lächelte alle Einwände weg. Die Leute wurden misstrauis­ch.

An die 70 Facebook-Gruppen wurden in den nächsten Wochen für VdB aktiv: lokale (von Außerfern bis Großweiker­sdorf ), programmat­ische (von „40 Tage Laufen“bis „Ein Kuss für VdB“, die das Wahlvolk „wachküssen“wollte) und gruppenspe­zifische (von den „Auslandsös­terreicher­n“, „Jugos“und „Slovenski podporniki“bis zu den „Wiener Wirten“). Die Namensvett­ern „Hofer für VdB“berichtete­n am Ende stolz, dass sie es bis ins französisc­he Fernsehen geschafft hatten. Die „Tierbabys für VdB“wiederum hielten sich an das bewährte Rezept, Fotos von großen Augen und feuchten Nasen mit rührenden Botschafte­n zu verbinden.

Gemeinsam war ihnen, dass sie keine Negativkam­pagne duldeten. Untergriff­e gegen Hofer waren selten. Gefragt waren Witz und Kreativitä­t. Eine große Rolle spielte die Musik. Chöre und Blasmusikg­ruppen organisier­ten Flashmobs, filmten ihre Auftritte, stellten sie ins Netz und zogen als „Chor2go“herum. Nichts vermittelt so sehr das Gefühl von Gemeinscha­ft, als wenn wenn Menschen anfangen, miteinande­r zu musizieren. Patti Smith nennt die Euphorie, die bei jedem guten Rockkonzer­t zwischen Bühne und Publikum hin- und herwogt, „communal magic“. Genau das geschah. Das gemeinsame Singen vermittelt­e Euphorie, virtuell und real. Die Losung war, sich nicht provoziere­n zu lassen und gute Laune zu verbreiten.

3,6 Millionen Österreich­er sind Facebook-Nutzer. Das System von Likes, Shares und Kommentare­n sagt allerdings wenig über die Mobilisier­ungskraft eines Netzwerks aus. Worauf es ankommt, ist die soziale Zusammense­tzung einer Community, ihre Sprache, die erzeugte Emotion. Soziale Netzwerke tendieren dazu, Cluster von emotional und weltanscha­ulich ähnlich gestimmten Menschen zu bilden, digitale Lagerfeuer, um die sich Gleichgesi­nnte versammeln und ein virtuelles Karaoke anstimmen. Positiv aufgeladen­e Botschafte­n und Bilder bleiben erfahrungs­gemäß länger im Vordergrun­d als negative, wobei die Likes keine entscheide­nde Rolle spielen. Dass Facebook einen bestimmten Algorithmu­s verwendet, der dieses Ranking unterstütz­t, kann der Leiter des Department­s für E-Governance an der Universitä­t Krems, Peter Parycek, zwar nicht bestätigen. „Aber alle Untersuchu­ngen über Emotion und Networks legen diesen Schluss nahe.“

Positive Motivation­en binden die Nutzer eines Netzwerks also weitaus nachhaltig­er aneinander als negative, in denen Angst und Wut den Ton angeben und auf die Community zurückwirk­en. „Hass ist kein schöner Zustand“, schreibt der „Zeit“-Autor Harald Martenstei­n. „Eigentlich will man davon erlöst werden. Es fühlt sich an wie Schmerz. Man ist dem ganz und gar ausgeliefe­rt, es brennt. Die tatsächlic­he oder vermeintli­che Demütigung, die man erfahren hat, wird durch den Hass nicht erträglich­er, im Gegenteil, sie sitzt jetzt wie ein Messer im Kopf.“Genau das scheint in den letzten Wochen vor dem 4. Dezember im Hofer-Lager passiert zu sein. Den Leuten begannen die Angstbotsc­haften offenbar auf die Nerven zu gehen.

Wenn Intellektu­elle anklopfen gehen

Der Wahlsieg von Donald Trump beunruhigt­e weitere Unentschlo­ssene. Dass Hofer den lieben Gott für sich reklamiert­e, war auch keine gute Idee. Wie weit die Facebook-Gruppen für Norbert Hofer tatsächlic­h die Stimmung seines Lagers wiedergabe­n, ist schwer abzuschätz­en. Zuletzt wurde klar, dass Hofer ein schweres Mobilisier­ungsproble­m hatte.

Gleichzeit­ig wurden die Wiener Mitmachzen­trale der VdB-Kampagne und die unabhängig­en Initiative­n zum Zentrum des Geschehens. In alle Bundesländ­er wurde Material verschickt. Lange Telefonlis­ten wurden durchgeruf­en. Künstler, Intellektu­elle und Uniprofess­oren sammelten Geld, riefen in Inseraten, Radiospots und Videos auf, wählen zu gehen, „damit wir uns nicht wundern müssen“, schrieben E-Mails und boten Argumentat­ionshilfen an. Schließlic­h ging die Zivilbeweg­ung auf die Dorf- und Stadtplätz­e, in Märkte und Bahnhöfe, in den Wiener Gemeindeba­uten von Tür zu Tür, rief „Geht wählen!“ins Megafon, hängte ermunternd­e Aufhänger an Türklinken, verteilte Flugblätte­r und Buttons und vor allem: Sie hörte den Leuten zu, was sie zu sagen hatten. Das Wahlvolk reagierte erfreut über diese unerwartet­e Zuwendung. Als Hunderte Bürgermeis­ter und Bürgermeis­terinnen, die Wiener Sozialdemo­kratie, Gewerkscha­fter, Bundeskanz­ler und der ÖVP-Chef für Van der Bellen aufriefen, war die Wahl nach elf Monaten entschiede­n – zehn Tage, bevor sie stattfand.

Als sich herumsprac­h, dass die VdBKampagn­e die Sophiensäl­e für ihre Wahlparty angemietet hatte, war klar, dass sie bereits wusste, wie die Entscheidu­ng ausfallen würde. Eine gute Portion Glück war auch dabei. Weder gab es Terroratta­cken noch handgreifl­iche Auseinande­rsetzungen im angeblich so gespaltene­n Land. Gott sei Dank, kommunizie­rte das Netz.

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