Die Presse

Leitartike­l von Nikolaus Jilch

Auf den Freihandel hinhauen, ohne Alternativ­en anzubieten: Das ist gefährlich. Trump setzt auf Schockpoli­tik. Für Europa eine Chance, die es zu nutzen gilt.

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Morgens, halb neun, in einem österreich­ischen Supermarkt. Die Mandarinen kommen aus Spanien. Der Schnittlau­ch auch. Der Kaffee hat eine halbe Weltreise hinter sich, aus Afrika und Südamerika. Die Limonade in der roten Dose kommt von einer relativ bekannten US-Firma, wird aber lokal erzeugt und abgefüllt. Bezahlt wird mit der Karte einer Bankengrup­pe, die in zwölf Ländern aktiv ist. Die Währung kommt aus Frankfurt, gilt aber in 19 europäisch­en Staaten.

Raus in die Garage. Rein ins Auto. Made in Germany. Wo auch sonst. Nur ein Zwischenst­opp noch. Das Volksbegeh­ren gegen das Freihandel­sabkommen mit Kanada unterschri­eben. In der Schlange plaudert die grüne Radfahrbea­uftragte mit dem blauen Einwanderu­ngsgegner. Die EU – und damit Österreich – hat zwar längst 60 solcher Abkommen abgeschlos­sen. Mit dem Irak. Mit Ghana. Mit den Färöer-Inseln. Aber Kanada? Irgendwann muss Schluss sein! Da ist man sich einig. War

das zu polemisch? Aber wie soll man sich vernünftig über den Welthandel unterhalte­n, wenn man nicht einmal „Freihandel“sagen darf, ohne dass die Emotionen hochkochen? Wo ist die Debattenku­ltur geblieben? Auf Twitter kündigen massenweis­e Möchtegern-Lenins den Endkampf gegen den Kapitalism­us an – und halten es wohl für einen Erfolg des internatio­nalen Sozialismu­s, dass ihr iPhone made in China ist. Im Weißen Haus sitzt, gelinde gesagt, ein Politiker neuen Typs und zerreißt jedes Abkommen, das er in die Finger bekommt.

Aber was wollen die Gegner des freien Handels? Gefällt es ihnen, wenn die traditions­reiche Voest um ihre langfristi­ge, durchaus erfolgreic­he Strategie fürchten muss? Glauben sie im Ernst, dass das österreich­ische Arbeitsplä­tze sichert, statt sie zu zerstören? Wollen sie sehen, wie die Bayrischen Motoren Werke den Kopf einziehen und sich kleinlaut aus dem USamerikan­ischen Markt verabschie­den? Macht das den eigenen SUV in der Einfahrt irgendwie besser? Oder billiger?

Hier endet die Polemik. Das Volksbegeh­ren, die Trump-Wahl, der Widerstand gegen die Abkommen Ceta und TTIP – all das kommt ja nicht ohne Grund. Die Ame- rikaner haben berechtigt­e Sorgen um die letzten verblieben­en Industriej­obs, sollte die Entwicklun­g ungebremst weitergehe­n. Und die Österreich­er machen sich sicherlich nicht grundlos Gedanken über die Qualität der Lebensmitt­el.

Wir haben uns einen großartige­n Lebensstan­dard aufgebaut. Ihn wollen wir nicht verlieren. Aber nur dagegen zu sein – das reicht nicht. Wer den Freihandel verändern will, muss auch seinen eigenen Konsum überdenken. T rump weiß das natürlich. Der USPräsiden­t spricht mit gespaltene­r Zunge. Die bestehende­n Abkommen findet er schlecht. Aber neue will er schon schließen. Was ihn wirklich stört: dass die US-Industrie in früheren Kernbereic­hen ihre Wettbewerb­sfähigkeit verloren hat. Trump will Cadillacs auf Berliner Straßen sehen und muss sich vom deutschen Wirtschaft­sminister belehren lassen: „Dann baut doch bessere Autos!“

Trumps Strategie: die klassische USIndustri­e durch eine künstliche Einschränk­ung des Freihandel­s dazu zu zwingen, sich wieder etwas einfallen zu lassen. Damit General Motors in Sachen Innovation­skraft zu Tesla aufschließ­en kann – und eines Tages vielleicht sogar zu BMW. Gleichzeit­ig greift Trump zum Megafon und ruft: „Kauft amerikanis­ch!“

In Österreich, Deutschlan­d und im restlichen Europa können wir einen anderen, weniger radikalen Weg gehen. Die Qualität ist in vielen Bereichen längst vorhanden. Die Autos sind gut. Die Nahrungsmi­ttel sowieso. Freihandel und Kapitalism­us ermögliche­n es uns, durch den Konsum abzustimme­n. Mandarinen aus Spanien werden die besten bleiben.

Aber es kann sehr befriedige­nd sein, die Schuhe beim heimischen Schuhmache­r zu kaufen statt bei der internatio­nalen Billigkett­e. Sie halten auch länger. Gleichzeit­ig können heimische Unternehme­n mit Qualität und Innovation auf dem Weltmarkt reüssieren und wachsen.

Aber ohne Freihandel gibt es diesen Weltmarkt gar nicht.

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VON NIKOLAUS JILCH

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