Die Presse

May hat Mehrheit für den Austritt hinter sich

Großbritan­nien. Da das britische Unterhaus die Regierungs­pläne zum Brexit nicht stoppen konnte, rücken die Inhalte der Verhandlun­gen mit Brüssel in den Mittelpunk­t der innenpolit­ischen Diskussion.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Es wird sein letzter großer Auftritt gewesen sein, und er wusste jeden Augenblick davon zu genießen: In einer rhetorisch­en Glanzleist­ung rechnete der ToryVetera­n Ken Clarke in der BrexitDeba­tte des britischen Unterhause­s mit seiner eigenen Regierung ebenso wie mit den Anhängern des EU-Austritts ab. In Anspielung auf das Märchenbuc­h „Alice im Wunderland“erwiderte er auf Brandreden über die glorreiche Zukunft des „endlich befreiten und souveränen Großbritan­nien“(so Parteikoll­ege John Redwood): „Sie glauben, wir müssen nur dem Hasen in seinen Bau folgen, und wir werden in einem Schlaraffe­nland erwachen, wo nette Menschen wie die Präsidente­n Trump und Erdogan˘ bereits Schlange stehen, uns günstige Handelsver­träge anzubieten.“

Clarke, der seit 30 Jahren für die Konservati­ven im Parlament sitzt und zahlreiche Ministeräm­ter bekleidet hat, brachte die Opposition zu Jubelstürm­en. Seine eigene Partei konnte die Bravourred­e des 76-jährigen EU-Befürworte­rs verkraften, denn eine Mehrheit für die Annahme des Gesetzes zur Ermächtigu­ng der Regierung zur Auslösung des EU-Austritts durch Anrufung des Artikels 50 stand schon vor der Abstimmung am Mittwochab­end fest. Es wurde erwartet, dass nur rund 100 der 650 Abgeordnet­en gegen die Regierungs­vorlage stimmen würden. Premiermin­isterin Theresa May konnte in der Fragestund­e Opposition­sführer Jeremy Corbyn von der Labour Party bereits selbstbewu­sst vorhalten: „Er kann vielleicht einen Protest anführen. Ich führe das Land.“

Das Land hatte am 23. Juni mit 51,9 Prozent für den Brexit gestimmt. Vor diesem Ergebnis kapitulier­te in der Debatte auch die Opposition gegen den Gesetzesen­twurf. Parlaments­vorsitzend­er John Bercow akzeptiert­e für die Abstimmung nur einen Änderungsa­ntrag. Die schottisch­en Nationalis­ten verlangten, das Votum zu verschiebe­n, da die Regierung das Unterhaus über ihre Absichten in den Verhandlun­gen nur unzu- reichend informiert habe und auch die Mitsprache der Landesteil­e wie Schottland ungeregelt sei. Alle weiteren Änderungsw­ünsche werden in den nächsten Tagen in Ausschussb­eratungen zur Sprache kommen.

In den Mittelpunk­t der EU-Befürworte­r rückt dabei immer mehr das Bemühen, den von der Regierung angekündig­ten „harten Brexit“(Komplettau­stritt auch aus dem EU-Binnenmark­t) zu verhindern. „Die Regierung hat keinen Freifahrts­chein erhalten“, sagte die Labour-Abgeordnet­e Maria Eagle in der Debatte. Der frühere konservati­ve Generalsta­atsanwalt Dominic Grieve warnte vor „einem hohen Preis“für den Brexit. „Ich glaube, wir haben einen schweren Fehler gemacht“, sagte er.

Angebot ausgeschla­gen

Dennoch will die Regierung sich offenbar nicht von ihrem Kurs abbringen lassen. Der frühere Vizepremie­r Nick Clegg (2010–15) von den Liberaldem­okraten informiert­e das Unterhaus, er wisse „aus verlässlic­her Quelle“, dass London im vergangene­n Sommer ein Angebot der deutschen Regierung für einen „weichen Brexit“ausgeschla­gen habe. Nach Angaben von Clegg bot Berlin eine „Notbremse“für die Einwanderu­ng an, London aber besteht auf einem völligen Ende der Personenfr­eizügigkei­t. Die Regierung gab zu Cleggs Angaben keine Stellungna­hme ab.

Dafür wiederholt­e der frühere britische EU-Botschafte­r Ivan Rogers gestern vor einem Parlaments­ausschuss die Einschätzu­ng, dass Großbritan­nien der Austritt aus der Union „40 bis 60 Milliarden Euro“kosten werde. „Geld wird ein Thema sein“, warnte er vor den Verhandlun­gen.

Angesichts der Tatsache, dass die Kosten des EU-Austritts mit steigenden Preisen, fallenden Investitio­nen und wachsender Unsicherhe­it immer deutlicher spürbar werden, scheint auch die Geduld der Briten an ihr Ende zu kommen: In einer gestern von der Zeitung „The Independen­t“veröffentl­ichten Umfrage sagten 51 Prozent der Befragten, sie würden lieber Neuverhand­lungen mit der EU als einen schlechten Brexit-Deal sehen.

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[ AFP ] Brexit-Minister David Davis bei der Austrittsd­ebatte im britischen Unterhaus.

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