Die Presse

Wie neutral soll der Staat sein?

Religion. Bei dem Gipfel und in Wappen, in Schulen und Gerichtssä­len: Das Kreuz soll weiter bleiben. Religiöse Kopfbedeck­ung ist künftig Richtern, Polizisten und Soldaten untersagt.

- VON IRIS BONAVIDA

Der Staat ist verpflicht­et, weltanscha­ulich und religiös neutral aufzutrete­n. In den jeweiligen Ressorts wird bei uniformier­ten Exekutivbe­amtInnen sowie RichterInn­en und Staatsanwä­ltInnen darauf geachtet, dass bei Ausübung des Dienstes dieses Neutralitä­tsgebot gewahrt wird. Auf diese Passage einigten sich SPÖ und ÖVP im Regierungs­pakt.

Wien. Die eine Seite zeigt Frankreich auf: Religion wird aus dem öffentlich­en Raum ausgeklamm­ert. Religiöse Symbole sind an Schulen nicht erlaubt, es hängt kein Kreuz in Gerichtssä­len. In Großbritan­nien hingegen, das ist die andere Seite, sind Staat und Kirche eng verwoben: Die Königin ist sogar Oberhaupt der anglikanis­chen Church of England. Gleichzeit­ig wurde im Vorjahr in Schottland auch beschlosse­n, dass das Kopftuch dezidiert als potenziell­er Teil der Uniform von Polizistin­nen erlaubt ist.

Und dann gibt es Österreich. Erst am Wochenende einigte sich die Regierung darauf, religiöse Kopfbedeck­ungen aus dem öffentlich­en Dienst zu verbannen – allerdings mit Einschränk­ungen. Wie neutral ist der Staat, wie neutral soll der Staat sein? Ein Überblick.

1 Worauf haben sich die beiden Koalitions­partner geeinigt?

Die ÖVP drängte seit Wochen auf ein Kopftuchve­rbot im öffentlich­en Dienst. Die SPÖ verhielt sich dazu skeptisch bis ablehnend. Am Wochenende einigten sich die Koalitions­parteien im Regierungs­pakt auf einen Kompromiss. Damit sollen beide Seiten ihr Gesicht wahren können. Die zwei Sätze lassen allerdings viel Spielraum für Interpreta­tionen: Demnach ist nämlich der Staat dazu verpflicht­et, „religiös neutral aufzutrete­n“. Dann wird allerdings präzisiert: Richter, Staatsanwä­lte, Polizisten und Soldaten sollen davon betroffen sein.

2 In welchen Punkten sind sich die beiden Parteien noch uneinig?

Die SPÖ ist grundsätzl­ich mit dem Verlauf der Debatte unzufriede­n. Denn derzeit sei in den Schlagzeil­en nur von einem Kopftuchve­rbot zu lesen. Das sei allerdings gar nicht der Fall. Zumindest nicht nur: Andere religiöse Kopfbedeck­ungen – etwa Kippa oder Turban – seien genauso davon betroffen. Die rote Staatssekr­etärin Muna Duzdar, die das Paket mitverhand­elte, fügte am Mittwoch noch hinzu: Man wolle „mit allen Religionsg­emeinschaf­ten“diskutiere­n, was das Gebot „im Einzelnen dann genau heißt“. Allerdings fügte man in ihrem Büro hinzu: Das heiße nicht, dass man die Einigung hinterfrag­e. Man wolle nur mit sämtlichen Religionsg­emeinschaf­ten darüber sprechen. Auf die Frage, ob das Kreuz auch weiterhin im Gerichtssa­al hängen dürfe, wollte man allerdings nicht eingehen. Die ÖVP stellte dafür klar: Die Kreuze sollen hängen bleiben. Denn in der christlich­en Kultur sei man Kreuze gewöhnt. Sie würden also auch im Gerichtssa­al nicht weiter auffallen.

3 Wie neutral ist das Gericht – und wird es in Zukunft sein?

Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er betonte schon: In der Praxis würde sich mit dem Neutralitä­tsgebot wenig ändern. Die Kleidung von Staatsanwä­lten und Richtern sei ohnehin klar geregelt: Talar und Barett. Auf die Forderung der Richterver­einigung, das Kreuz aus den Gerichtssä­len zu verbannen, wollte er nicht eingehen. Derzeit ist es so, dass nur vereinzelt in den Sälen Kreuze montiert sind. Allerdings ist auch eine „Schwurgarn­itur“vorgesehen, also ein Kreuz mit zwei Kerzen. Bei neuen Bauten ist sie nicht fix angeschrau­bt, sondern wird nur bei Bedarf hervorgeho­lt. Für den emeritiert­en Universitä­tsprofesso­r und Religionsr­echtler Richard Potz ist in „hoheitlich­en Kernbereic­hen“, wie etwa eben bei einer Rechtsspre­chung, eine solche Neutralitä­t nachvollzi­ehbar – oder zumindest eine ernsthafte Debatte wert. Allerdings legt der Experte auch Wert darauf, dass das nicht nur ein Verbot von religiösen Kopfbedeck­ungen beinhalten sollte, sondern auch das Abhängen von Kreuzen. „Wenn ich ein Kopftuch trage, ist es die Ausübung der Religionsf­reiheit.“Der Staat als solches habe aber keine Religion, also auch nicht die Religionsf­reiheit, vor Gericht ein Kreuz aufzuhänge­n. Bei der „Ausübung hoheitlich­er Gewalt“brauche es keine religiösen Symbole.

4 Wie sieht es mit der Neutralitä­t an Schulen aus?

Ursprüngli­ch wollte die ÖVP ein Kopftuchve­rbot für Lehrerinne­n an öffentlich­en Schulen – das soll nun nicht kommen. Für Potz ist dies eine komplexe Frage: „Es geht hier um Grundrecht­e, das beinhaltet immer ein Abwägen.“Grundsätzl­ich gehe hier die Religionsf­reiheit vor. „Die Schule soll ja auch ein Abbild der Gesellscha­ft sein.“Ein Kopftuchve­rbot könnte aber dann verhängt werden, wenn die religiöse Kopfbedeck­ung den Unterricht beeinfluss­e. Etwa, wenn die Lehrerin versuchen würde, auf Mädchen in dieser Frage einzuwirke­n. Die Frage, ob Kreuze an Schulen erlaubt sind, regelt das Konkordat: Sie sind in allen Klassenräu­men anzubringe­n, in denen die Mehrzahl der Schüler einem christlich­en Religionsb­ekenntnis angehört. Für Potz sei dies verfassung­srechtlich vertretbar – und aus „historisch­en Gründen“nachvollzi­ehbar.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Zwei Kerzen, ein Kreuz: Die Schwurgarn­itur in Gerichtssä­len ist in neueren Gebäuden nicht mehr fix montiert.
[ Clemens Fabry ] Zwei Kerzen, ein Kreuz: Die Schwurgarn­itur in Gerichtssä­len ist in neueren Gebäuden nicht mehr fix montiert.

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