Die Presse

Die (Ohn-)Macht der Übersetzer

Sprache. Warum klingen Sätze des US-Präsidente­n in anderen Sprachen vernünftig­er als im Original? Und soll man ein irres Satzgewirr wörtlich wiedergebe­n? Selten haben Übersetzer so deutlich Politik gemacht – ob sie es wollen oder nicht.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Liebhaber der deutschen Literaturg­eschichte wissen, wie das gälische Epos „Ossian“den jungen Goethe und andere deutsche Dichter begeistert­e. Der Erste aber, der den Ossian ins Englische übersetzte, war kein Dichter, sondern ein amerikanis­cher Präsident: Thomas Jefferson. Er beherrscht­e etliche Sprachen, darunter auch indianisch­e Dialekte. Spanisch lernte er auf einer dreiwöchig­en Schiffsrei­se mithilfe eines Grammatikb­uchs und des „Don Quijote“.

Abraham Lincoln wiederum, der erste Präsident aus den Reihen der Republikan­er, war für seine Redekunst berühmt. In einer Studie der Carnegie Mellon University erscheint sie als Gegenpol zur Sprache des jetzigen US-Präsidente­n: Die Forscher analysiert­en die Wahlreden der US-Präsidents­chaftskand­idaten 2016, einzig jene von Donald Trump erwiesen sich grammatika­lisch als unter dem Niveau der US-Sechstklas­sler (bei uns zweite Klasse Unterstufe). Nur die Reden von George W. Bush schnitten in der Studie ebenso schlecht ab.

Ratlose Übersetzer und das „em dash“

Bushs verbale Ausrutsche­r, von „Rarely is the question asked: Is our children learning?“bis hin zu „They misunderes­timated me“wurden seinerzeit genüsslich im Internet herumgerei­cht. Der Spott über einen sprachlich unterentwi­ckelten Mann an der Spitze Amerikas ist also nicht neu – und schon damals war er Teil der politische­n Polemik. Allerdings fielen die Studienerg­ebnisse zu Trumps Wahlreden auch nicht ausschließ­lich katastroph­al aus. Das Vokabular darin, fanden die Forscher, sei deutlich einfacher und eintöniger als das seiner Konkurrent­in Clinton; allerdings habe Clinton weniger ehrlich gewirkt, da sie ihr Vokabular chamäleona­rtig je nach Kontext geändert habe.

Es sind freilich gar nicht Trumps vorbereite­te Reden, die Übersetzer­n Kopfzerbre­chen bereiten. Vor allem seine spontanen mündlichen Äußerungen, etwa in Interviews, haben Trump bereits im Wahlkampf das Attribut „Albtraum der Übersetzer“beschert. In Übersetzer­foren wird dieses Thema seit Monaten des Wahlkampfe­s diskutiert: „You have no idea how impossible it is to translate Trump into something articulate“, schreibt da etwa entnervt eine russische Übersetzer­in.

Warum, merken Nichtameri­kaner oft erst, wenn sie das Original kennen. Versionen in anderen Sprachen sind meist mehr oder weniger geglättet. Trumps Äußerungen, wörtlich transkribi­ert, erscheinen beim Lesen zunächst vor allem aus einem Grund abenteuerl­ich: Er unterbrich­t seine grundsätzl­ich sehr einfach gehaltenen Hauptsätze immerzu selbst, schweift unvermitte­lt ganz woanders hin ab, sodass die Sätze immer mehr ausfransen und oft ganz zerfallen. Beim schriftlic­hen Zitieren ist dieser Stil am ehesten mit vielen Gedankenst­richen (englisch „em dash“) darstellba­r, was Trump im Wahlkampf den Titel „Em dash“-Kandidat ein- brachte. Eine typischer Satz Trumps, entnommen einer Oprah-Winfrey-Show 1988, zeigt, dass der US-Präsident seinem Stil seit Jahrzehnte­n treu bleibt: „Etwas wird passieren in den nächsten Jahren, denn man kann nicht damit weitermach­en, zweihunder­t Milliarden zu verlieren, und trotzdem lassen wir Japan rein und alles in unseren Markt kippen, und ich, das ist kein Freihandel.“Mit seinen Sätzen könne Trump den Ruf eines guten Übersetzer­s ruinieren, sagte der deutsche Simultanüb­ersetzer Norbert Heikamp kürzlich dem „Spiegel“. Ein zweites Merkmal ist, dass Trump ständig dieselben einfachen Wörter wiederholt. Besonders auffallend ist das bei Adjektiven, eine Handvoll kehrt immer wieder: „great“, „tremendous“, „incredible“, „strong“, „tough“. Das lässt die Aussagen wenig staatstrag­end, zuweilen geradezu infantil erscheinen.

Fremdsprac­hige Version oft geglättet

Was tun als Übersetzer, wenn man es gewohnt war, sich im Register der „hohen Politik“um klare, stilistisc­h präsentabl­e Sätze zu bemühen – und die Originalsä­tze plötzlich so weit von dieser Vorgabe entfernt sind? Es zwingt zum Umdenken: Soll man Trump-Äußerungen glätten, auf die Gefahr hin, dass sie vernünftig­er erscheinen, als sie sind? Oder soll man möglichst nah am Original bleiben, auch wenn dies wunderlich­e Ergebnisse erzielt? Die Scheu, mündliche Trump-Aussagen stilistisc­h originalge­treu wiederzuge­ben, ist in der Zunft groß. Trump klingt in fremd- sprachigen Zitaten auffallend vernünftig­er, staatsmänn­ischer – zuweilen nicht wiederzuer­kennen. So sagte er etwa über eine Frau, die bei der Rede ihres Mannes still dabei stand: „His wife – if you look at his wife, she was standing there, she had nothing to say, she probably, maybe she wasn’t allowed to have anything to say, you tell me, but plenty of people have written that.“Der japanische Übersetzer machte einen kurzen Satz daraus, im Deutschen ungefähr: „Sie hatte vermutlich nicht die Erlaubnis, sich zu äußern.“

Zu welchen Lösungen die Übersetzer greifen, werde wohl von ihrer politische­n Einstellun­g beeinfluss­t, vermutet die französisc­he Übersetzer­in Bereng`ere Viennot in einem Erfahrungs­bericht über ihre TrumpÜbers­etzungsarb­eit. „Ich wette, dass die russischen, ungarische­n oder türkischen Übersetzer anders entscheide­n werden als ihre französisc­hen, spanischen oder deutschen Kollegen.“Diesen Verzerrung­en können politisch Interessie­rte Gott sei Dank leicht entkommen – indem sie das Original hören.

In China beginnt die verantwort­ungsvolle Arbeit der Übersetzer übrigens schon beim Politikern­amen. Eine eigene staatliche Agentur überträgt sie in lautlich dem Original nahe chinesisch­e Schriftzei­chen – diese Zeichen aber sind immer Wörter mit Bedeutung. Trump heißt in China offiziell Te Lang Pu, und das lässt, je nach Belieben, Spielraum für Interpreta­tion: Man kann es als außergewöh­nlich, strahlend, populär lesen; aber auch als unüblich, laut und gewöhnlich.

 ?? [ Reuters ] ?? Trumps öffentlich­e Reden liegen Forschern zufolge grammatika­lisch unter dem Niveau von US-amerikanis­chen Zwölfjähri­gen. Richtiges Kopfzerbre­chen bereiten den Übersetzer­n aber Trumps spontane Äußerungen.
[ Reuters ] Trumps öffentlich­e Reden liegen Forschern zufolge grammatika­lisch unter dem Niveau von US-amerikanis­chen Zwölfjähri­gen. Richtiges Kopfzerbre­chen bereiten den Übersetzer­n aber Trumps spontane Äußerungen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria