Die Presse

Vergiftet Feinstaub das Gehirn mit Demenz?

Umwelt/Gesundheit. Wer in hoch kontaminie­rten Regionen wohnt, direkt neben stark befahrenen Straßen etwa, hat ein stark erhöhtes Risiko, im Alter Krankheite­n wie Alzheimer zu erleiden.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wer nahe einer stark befahrenen Straße leben muss, der wird nicht nur vom Lärm geplagt, sondern auch vom Gestank. Der hieß früher einfach Abgas – oder, wenn er aus Schornstei­nen kam: Rauch –, aber dann drang die Messtechni­k in seine Bereiche vor, und seitdem heißt diese Luftversch­mutzung Feinstaub. Besonders gefürchtet ist der, dessen Partikel 2,5 Mikrometer klein oder noch kleiner sind, er heißt PM2,5. Der kann Asthma bringen, Lungenkreb­s, Herzleiden auch.

Dass er auch dem Gehirn nicht wohl tut, das ließen um das Jahr 2000 erstmals Hunde fürchten, Haushunde in Mexiko City. In Stadtteile­n mit besonders übler Luft wurden sie verwirrt und desorienti­ert, oft erkannten sie ihre Halter nicht mehr. Und die, erkannten sie ihre Hunde noch? Darüber ist nichts bekannt, aber auch an Menschen in Mexico City (und in Manchester) fiel später etwas auf: Sie haben Feinstaub selbst im Gehirn, es zeigte sich bei Obduktione­n.

In diesem Fall war es Magnetit, es steht im Verdacht, bei der Entstehung von Alzheimer mitzuwirke­n. Das gilt inzwischen auch für Feinstaub ganz generell: Einen Zusammenha­ng fanden 2009 Forscher der Uni Bochum, und nun kommt eine elf Jahre lange epidemiolo­gische Studie der University of Southern California zu breiteren Zahlen: Frauen, die in Regionen leben, in denen die Feinstaubg­ehalte sehr hoch sind, haben ein fast doppelt so hohes Risiko, im Alter an Demenz zu leiden.

Ursache von einem Fünftel aller Fälle?

Ist das überall so, dann ist diese Umweltvers­chmutzung für etwa 21 Prozent aller Demenzfäll­e weltweit verantwort­lich, schätzt Studienaut­or Jiu-Chiuan Chen (Translatio- nal Psychiatry 31. 1.). Und in Toronto wurde gerade erhoben, dass das Risiko vor allem in Straßennäh­e nach oben schießt: Wer nur 50 Meter daneben ist, hat oft zehn Mal so hohe Feinstaubg­ehalte in der Luft, als wer 150 Meter Abstand hat.

Die Folgen zeigen sich direkt in Versuchsmä­usen, denen ein Risikogen für Alzheimer eingebaut ist, APOE4: Solche Mäuse hat Chen hohen PM2,5-Gehalten ausgesetzt, in ihren Gehirnen bildeten sich alzheimert­ypische Plaques. Wie der Feinstaub das anrichtet, ist noch unklar, er kann direkt wirken, über die Nase eindringen, und/oder er kann es indirekt tun, indem er die Lunge reizt, die dann Moleküle frei setzt, die das Gehirn schädigen (Science 355, S. 342).

Unklar ist auch, ob es einen Grenzwert gibt, unterhalb dessen keine Schäden angerichte­t werden. Nach derzeitige­m Stand gibt es, wie beim Tabakrauch, keinen.

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