Die Presse

Was haben Biedermeie­rglas und abstrakte junge Ölmalerei von Svenja Deininger miteinande­r zu tun? Sie sind hypersensi­ble formale Experiment­e.

MAK/Secession.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Es ist reines Gedankensp­iel, aber reizvoll: Zwei Ausstellun­gen miteinande­r zu verbinden, die auf den ersten Blick fast gegensätzl­ich wirken – die große Biedermeie­rglas-Ausstellun­g im MAK. Und die erste große Ausstellun­g einer der spannendst­en abstrakten Malerinnen Österreich­s, Svenja Deininger, in der Secession. Endgültig absurd wird es, wenn man ein Bindeglied findet, das nicht mehr existiert: das monumental­e runde Glasfenste­r des Jugendstil­künstlers Kolo Moser zwischen Foyer und Hauptraum der Secession; es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, seither ist es zugemauert.

Deininger (geboren 1974 in Wien) bezieht sich in ihrer malerische­n Interventi­on – sie hat die 40 Öl-auf-Leinwand-Bilder speziell für den großen Saal gemalt – u. a. auf das Fehlen dieser runden Form im heute so streng, kühl, vom geometrisc­hen Raster der Glasdecke bestimmten Secessions-Innenraum. Verspricht dieser doch von außen – goldene Kuppel, florale Ornamente – so ganz anderes. In Deiningers gedeckt färbigen Bildern finden die geometrisc­hen und organische­n Formen wieder zu einer Harmonie zusammen. Aus der Ferne wirken sie vor allem kraftvoll und dekorativ, hier ein kühner Schwung, da ein ungemein mutiger Zug in die Höhe (bis zu drei Meter, aber schmal), dort eine menschlich­e Urform in intimem Quadratfor­mat. Aus der Nähe aber wird aus effektvoll­er Oberfläche brüchiger Hintergrun­d, der Farbauftra­g ist äußerst subtil und differenzi­ert – Deininger ist eine Meisterin ihres Materials. Sie trägt die Ölfarbe in vielen Schichten auf, versieht sie mal mit glänzender Firnis, belässt sie stumpf, schleift sie mal sichtbar mechanisch ab, lässt sie im Terpen- tinrausch verblassen. Mal lässt sie die Leinwand einfach roh, mal wird sogar die Wand dahinter per Ausschnitt als Farbfläche eingebaut, mal wird die Leinwand auf der Rückseite bemalt, schimmert die Farbe mit unterschie­dlichen Effekten nur durch. Als wäre das Ölbild ein durchschei­nender Glaskörper wird es geschliffe­n, geschnitte­n, bemalt, es wird mit freigelass­enen Stellen, mit Durch- und Aufsicht, mit Lichteffek­ten und achtsam gezogener Kontur gespielt, ein irreales Vakuum, in dem Abstraktio­n und Gegenstand gleichbere­chtigt nebeneinan­der existieren können.

Perfektes Spiel von Technik und Form

Im Biedermeie­rglas wurde dieses Spiel perfektion­iert, mit völlig anderem Material, unter völlig anderen Voraussetz­ungen, aber derart gefinkelt, dass die Künstler des Jugendstil­s (Secessioni­sten, Kolo Moser) nach der stilistisc­hen Sackgasse des Historismu­s begeistert zurückgrif­fen auf die Formfindun­gen und technische­n Skills dieser Zeit zwischen 1780 und 1840 – im Ornament an sich und der Glaskunst im Speziellen, wie man im MAK jetzt durch die Parallelfü­hrung der Sonderauss­tellungen über Biedermeie­r- und Jugendstil­glas selbst erforschen kann.

Dazu muss man seinen Blick genauso sensibilis­ieren wie vor den Bildern Deiningers. Im MAK sinkt man dazu am besten auf die Knie, um auf Augenhöhe mit den kostbaren Exponaten zu kommen, die in den niedrigen historisch­en Vitrinen gezeigt werden. Damit will man an die größte Ausstellun­g zum Biedermeie­rglas überhaupt anschließe­n, die 1922 stattgefun­den hat, genau hier im MAK, genau in diesen Vitrinen. Mitunter sogar mit denselben Exponaten, was man allerdings im Katalog nachschlag­en muss. Wie auch Details zu Techniken, Glashütten oder den nur in der Glasszene geläufigen Genienamen Joseph Mildner oder Anton Kothgassne­r. Das ist lästig. Sollte aber der Sensation dessen, was hier versammelt werden konnte, am Ende keinen Abbruch tun.

Fusioniert wurden dazu die MAK-Bestände mit denen des Glassammle­rs und Wiener Anwalts Christian Kuhn, den man eigentlich hier statt des Katalogs anbinden sollte, damit seine Begeisteru­ng und Fachkenntn­is auf die Besucher überspring­en kann. Zu den imposanten, so ungemein modern wirkenden Formen der sogenannte­n Steingläse­r von Joachim Zich. Oder den ungeheuer feinen, beseelten Porträts des Glasschnei­ders Dominik Biemann inklusive fast psychedeli­sch wirkender optischer Effekte mit eingebaute­n Glaslinsen. Man kann durch sie sogar bis in die Secession sehen.

 ?? [ MAK/Katalog ] ?? Täuschende­s, fast psychedeli­sches Spiel mit Material und Formen: Becher aus „Steinglas“, um 1832, Josef Zich.
[ MAK/Katalog ] Täuschende­s, fast psychedeli­sches Spiel mit Material und Formen: Becher aus „Steinglas“, um 1832, Josef Zich.

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