Tod, Verklärung und Gottes gewaltiger Anblick
Musikverein. Die Tonkünstler bewältigten mit dem fulminanten Singverein unter Michael Schønwandt mit Edward Elgars rarem „Traum des Gerontius“eines der beeindruckendsten romantischen Oratorien.
Als der „Traum des Gerontius“in Wien nach langer Elgar-Abstinenz Mitte der Achtzigerjahre wieder einmal in Wien erklang, schlug ich als damals junger Rezensent vor, man möge doch jede zehnte Aufführung von Brahms’ „Deutschem Requiem“durch dieses Werk ersetzen. Der Wunsch ist beinah in Erfüllung gegangen. Zumindest alle heiligen Zeiten kommen wir also auch hierzulande mit dieser bewegenden musikalischen Vision von Tod und Verklärung in Berührung.
Ernest Cardinal Newmans Dichtung war eigentlich für die Vertonung durch Antonin Dvoˇrak´ gedacht, der stattdessen sein „Stabat mater“für Birmingham schrieb. Der (katholische) Edward Elgar, Vorzeigekomponist der endlich wiedererwachten Musiknation Eng- land, schuf daraus ein klingendes Protokoll von Agonie, Tod und Verklärung, wie es kurz zuvor Richard Strauss mit ähnlich seismografischer Detailverliebtheit in Form einer symphonischen Dichtung getan hatte. Der deutsche Meister versicherte Jahrzehnte später, als es nach reichem Komponistenleben ans Sterben ging, dieses trüge sich präzis so zu, wie er es einst als Vertreter der musikalischen Moderne in Tönen geschildert hätte.
Hört man Elgars Werk, möchte man sagen: Hoffentlich trägt es sich so zu wie in diesem „Traum des Gerontius“! Dessen Klangvisionen sind selbst dort, wo von (bald überwundenen) Anfechtungen durch böse Geister gesungen wird, von hinreißender Schönheit – und der Moment, in dem Gerontius seines Schöpfers ansichtig wird, ist von enormer Gewalt (wobei Elgar zur Letzt- fassung dieser Passage durch einen kritischen Freund erst überredet wurde . . .).
David Butt Philip sang dieses „Take me away“mit jener Inbrunst, mit der er – als Einspringer! – seinen gesamten schwierigen Part bewältigte. Sara Fulgoni lieh ihren satten Alt der Stimme des Engels, Matthew Rose geleitete die arme Seele ein wenig zu klangmächtig, jedenfalls imposant ins Jenseits. Und der Singverein (einstudiert von Johannes Prinz) brillierte in himmlischen wie höllischen Chören in allen erdenklichen Mixturen, ätherisch, ekstatisch, hämisch, je nachdem. Die Tonkünstler trugen die metaphysische Reise unter Michael Schønwandts eher betulicher als animierender Führung: Das Werk wirkt auf jeden Fall unweigerlich!