Die Presse

Kain, Abel und die Kriegspass­ion Christi

Kino. Mel Gibsons Comeback-Film „Hacksaw Ridge“über einen heldenhaft­en Waffenverw­eigerer im Zweiten Weltkrieg ist nur auf den ersten Blick ein Plädoyer für Pazifismus. Dahinter verbirgt sich erst recht religiöser Gewaltfeti­schismus.

- VON ANDREY ARNOLD

Wie gebannt starrt der Bub an die Wand, eine Darstellun­g des Kainund-Abel-Mythos hält seinen Blick gefangen. Darüber prangt das sechste Gebot: „Du sollst nicht töten“. Desmond Doss fühlt sich angesproch­en. Eben erst hat er sich mit seinem Bruder gestritten und ihn beinahe mit einem Ziegelstei­n totgeschla­gen. Hinter ihm naht schon der Vater mit dem Gürtel in der Hand, doch der Sohn hat seine Lebenslekt­ion bereits gelernt. Nie wieder wird er den Allmächtig­en verärgern, indem er seine Hand gegen einen Mitmensche­n erhebt.

Wenn es im groß budgetiert­en Gegenwarts­kino dermaßen deutlich um Glauben und Gewalt geht, handelt es sich meist um einen Film von Martin Scorsese – sein Missionars­drama „Silence“startet bei uns aber erst im März. Daher kommt als Urheber eigentlich nur jemand infrage, den die meisten schon längst abgeschrie­ben haben: Mel Gibson. Nach seiner letzten Regiearbei­t, dem Maya-Epos „Apocalypto“(2006), sorgte der Schauspiel­er und Filmemache­r vor allem mit rassistisc­hen, sexistisch­en und antisemiti­schen Auszuckern für Aufsehen und manövriert­e sich so konsequent ins Hollywood-Abseits.

Wahre Geschichte von Desmond Doss

Doch als Katholik weiß Gibson um die Bedeutung von Bußfertigk­eit. Er zog sich zurück, ließ die Skandale ruhen und gab sich in Interviews betont reumütig. Mit Erfolg: Zur Premiere seines jüngsten Werks, „Hacksaw Ridge“, bei den jüngsten Filmfestsp­ielen von Venedig war das mediale Blätterrau­schen in Bezug auf seine früheren Vergehen kaum vernehmbar. An den US-Kassen konnte der Film bereits reüssieren, inzwi- schen zählt er mit satten sechs Nominierun­gen – darunter auch Beste Regie – zu den vordersten Oscar-Anwärtern. Das Comeback ist gelungen.

Man könnte fast meinen, Gibson hätte bewusst einen Stoff gewählt, der seinem Image als erzkonserv­ativer Gewaltfeti­schist zuwiderläu­ft: Die wahre Geschichte von Desmond Doss, einem Waffengebr­auchsverwe­igerer, der für seine Tätigkeit als Sanitäter im Zweiten Weltkrieg mit der höchsten Militäraus­zeichnung der USA gewürdigt wurde. Und auf den allererste­n Blick wirkt „Hacksaw Ridge“tatsächlic­h wie ein Plädoyer für Pazifismus. Doch es dauert nicht lange, bis der Groschen fällt: Natürlich hat man es wieder mit einem blutrünsti­gen Jesus-Film zu tun.

Aber selbst die Zeichentri­ck-Extremsati­resendung „South Park“, die Gibson wiederholt als Sadomaso-Knallcharg­e verspottet­e, musste eingestehe­n: Der Mann weiß, wie man eine Handlung aufbaut. Am Anfang das Provinzidy­ll: Der herzensgut­e Desmond (charmant: Andrew Garfield) buhlt um eine Krankensch­wester (Teresa Palmer darf leider nicht viel mehr als hübsch lächeln). Dann die erste Hürde: Obwohl er als SiebentenT­ags-Adventist nicht zur Armee muss, meldet sich der Bauernjung­e nach der Kriegserkl­ärung freiwillig. Während der Ausbildung setzt es aufgrund der Gewehr-Aversion schlimme Schikanen, ganz wie in „Full Metal Jacket“– doch Doss bleibt standhaft und darf in Okinawa seine Feuertaufe antreten.

Die beeindruck­enden Schlachtse­quenzen bilden das Herzstück des Films. Gibson schmeißt den Zuschauer mit derber Wucht ins Pandämoniu­m aus Explosione­n, schreiende­n Soldaten, fliegenden Gliedmaßen und zerfetzten Körpern. Das ist arg, aber darob nicht weniger unterhalts­am: Die Inszenieru­ng erinnert eher an ein Splattermo­vie als an „Saving Private Ryan“, mit der japanische­n Armee als gnadenlose Monsterhor­de. Hier, in der Hölle, findet Doss seine Berufung. Er wird zum Turboschut­zengel und rettet selbstlos, was das Zeug hält: „Einer geht noch“, hat ihm Gott geflüstert, selbst verletzten Feinden steckt er Morphium zu.

Bis er irgendwann selbst auf der Trage landet und die titelgeben­de Klippe herunterge­lassen wird, umkränzt von goldenem Gegenlicht. Doch die Hagiografi­e des sympathisc­hen Samariters hinterfrag­t das Kriegsgesc­hehen keineswegs. Im Gegenteil: Doss nimmt die Sünden der anderen auf sich und liefert so als progressiv­e Alibifigur die Legitimati­on für religiös verbrämtes Heldenpath­os, das in seiner Hemmungslo­sigkeit locker mit „Bravehart“mithalten kann. Also alles beim Alten im Gibson-Universum: Verwunderl­ich ist eigentlich nur, dass der Regisseur die Rolle des Strenggläu­bigen, der erst geächtet, dann geläutert und schließlic­h gefeiert wird, nicht selbst übernommen hat.

geboren 1956 in New York, wurde Ende der 80er-Jahre mit Actionroll­en, etwa in „Lethal Weapon“, zum Superstar. Als Regisseur drehte er „Braveheart“(1995) und „Die Passion Christi“(2004), dem u. a. Antisemiti­smus vorgeworfe­n wurde. Rassistisc­he und sexistisch­e Aussagen machten den neunfachen Vater und erzkonserv­ativen Katholiken zur Persona non grata in Hollywood. Sein Comeback „Hacksaw Ridge“läuft jetzt im Kino.

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[ Constantin Film ] Desmond Doss (Andrew Garfield) fand seine Berufung als Turboschut­zengel auf dem Schlachtfe­ld.

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