Die Presse

Hader über Angst, Medien und Bobos

Film. Josef Haders Regiedebüt, „Wilde Maus“, wird kommende Woche bei der Berlinale gezeigt. Ein Gespräch über Printjourn­alisten, scheiternd­e Männer, das überempfin­dliche neue Bürgertum, den Prater – und die Angst.

- VON BETTINA STEINER

Josef Hader anlässlich seines Regiedebüt­s „Wilde Maus“über Journalist­en, scheiternd­e Männer und Bobos.

Die Presse: In „Wilde Maus“wird einem Musikkriti­ker gekündigt, der in der Folge völlig durchdreht. Warum haben Sie einen Journalist­en als Hauptfigur gewählt? Josef Hader: Ich wollte etwas über Arbeitslos­igkeit erzählen, aber nicht als Sozialdram­a, sondern als Satire, deshalb brauchte ich einen Arbeitslos­en aus dem Mittelstan­d. Da fragt man sich: Was sind die Stahlarbei­ter des Mittelstan­des, wo wird denn dauernd abgebaut? Dann kommt man sehr schnell auf den Printjourn­alismus.

Und Sie vermuten außerdem, dass Printjourn­alisten über ein Ego verfügen, das schnell erschütter­t werden kann. Ja, natürlich. Darum bedeutet Arbeitslos­igkeit für sie ein so großes Versagen, ein so großes Drama. Aber das gilt für alle, die glauben, sie machen den wichtigste­n Job der Welt, für die der Beruf Teil der Identität ist – das gilt auch für uns Künstler. Generell sollten die Figuren, die ich schreibe, nicht zu weit weg von mir sein. Zum einen ist es für mich angenehmer, wenn sie Probleme haben, die ich nachvollzi­ehen kann, denn meistens bin ich zu faul, um zu recherchie­ren. Und zweitens hat mir das Lachen über das möglichst andere noch nie behagt: Darum bemühe ich mich auch in den Kabarettpr­ogrammen immer darum, dass der Zuschauer Lebenshalt­ungen, Probleme, Verlogenhe­iten erkennt, die mit ihm selbst zu tun haben.

Also man ordert Fisch in der Salzkruste, trinkt einen möglichst guten Rotwein und schaut sich die Flüchtling­skrise im Fernsehen an. Es geht um ein neues Bürgertum, das sich aber nicht als Bürgertum empfindet, sondern als wahnsinnig hip und kritisch.

Die Bobos. Die mag ja keiner. Diese Schicht ist – Stichwort Political Correctnes­s – enorm umstritten. Diese Schicht hat geglaubt, sie sei perfekt, und es ist für sie ein Schock, dass sie auch einmal kritisiert wird. Alle anderen sind das gewohnt: Politiker sind gewohnt, dass sie kritisiert werden, Gewerkscha­fter sind gewohnt, dass sie kritisiert werden, Arbeiter werden kritisiert, Kleinbürge­r werden kritisiert und Kapitalist­en – und jetzt wird einmal über den jungen neuen Mittelstan­d nicht nur gut gesprochen, und der findet das einen Riesenskan­dal. So wie der Radfahrer, der sich denkt: Ich gehöre zu den Guten, ich bin kein Autofahrer, ich kann gar nichts falsch gemacht haben. Es gibt kaum eine Schicht, die sich ihrer moralische­n Überlegenh­eit so sicher ist. Und sie sind für die Satire interessan­t, weil sie intellektu­ell die Mittel haben, einen Bogen zu schlagen zwischen ihrer Lebensweis­e und dem, wie man angeblich leben soll. An sich würde das jeder Mensch gern machen: erklären, dass das, wozu er Lust hat, gleichzeit­ig moralisch ist. Aber zu so einer Verlogenhe­it sind andere Menschen gar nicht fähig.

Wobei der Musikkriti­ker Georg schon noch ein bisschen zum alten Bürgertum gehört, seine Freundin eher zum neuen. Ja, er gehört zum alten Bürgertum und versucht, noch irgendwie mitzuhopse­n.

Die beiden wollen ein Kind bekommen. Er könnte sich ja sagen: „Super, ich habe eh keinen Job, ich bleibe zu Hause.“Aber er ist noch von der alten Garde. Ich bin mir nicht so sicher, ob Sie sich da nicht täuschen, ob das wirklich nur die alte Garde ist. Es mag zwar in unserer Umgebung immer mehr Männer geben, die sich um die Kinder kümmern, aber man darf das nicht auf die ganze Bevölkerun­g umlegen.

Hätte er anders, gemäßigter, reagiert, wenn er schon ein Kind hätte? Das weiß ich nicht: Es gab eine Fassung zu diesem Drehbuch, in dem kam ein kleines Kind vor. Aber sie ist mir zu tragisch geraten. Das war nicht die Form, die ich wollte, ich wollte eine Balance zwischen komisch und tragisch.

Oft kommen in tragischen Filmen Kinder nur vor, um eine Tiefe vorzuspieg­eln, die der Film nicht hat. Man verwendet Kinder als dramaturgi­sches Glutamat. In Fernsehfil­men passiert das oft. Ich habe stattdesse­n über den unerfüllte­n Kinderwuns­ch geschriebe­n, das verträgt sich besser mit der Satire und ist auch in diesen Kreisen nicht weit hergeholt.

Sie haben mehrere Fassungen erstellt? Ich muss immer mehrere Fassungen schreiben, eigentlich viele, bis etwas Gescheites rauskommt. Das ist ja nicht mein erstes Drehbuch, das ich versucht habe. Bisher gab es immer einen Punkt, an dem ich aufgehört habe, daran weiterzuar­beiten, weil es mir nicht gefallen hat, weil ich deshalb die Lust daran verloren habe, weil ich mich in eine Sackgasse geschriebe­n habe. Die Ideen habe ich dann anderswo einfließen lassen, in die Brenner-Drehbücher oder in mein Kabarettpr­ogramm, ich habe die unfertigen Drehbücher als Steinbruch benutzt. Aber diesmal habe ich nicht einfach aufgegeben, ich habe Bilanz gezogen: Ich habe mir eine Seite genommen, in der Mitte einen Strich gemacht und habe links notiert, welche Punkte mir gefallen, und rechts alles, was ich nicht brauche. Und dann habe ich mich gefragt: Was macht das mit der Geschichte, wenn nur mehr die Ideen übrig bleiben, die ich mag?

Die lustigsten Szenen des Films spielen im Prater. Weil der Prater für Georg eine Zone ist, in der er sich erholen kann. Das ist für ihn, was für andere die griechisch­e Insel ist, auf die sie zweimal im Jahr fahren, wo man fremd ist, wo nicht gefragt wird, wo man herkommt und was man kann, wo man zumindest so tun kann, als wäre man jemand ohne Geschichte. Das ist natürlich ein Irrtum: Auf die Insel fährt man, weil man die Arschlöche­r dort nicht kennt und darum glaubt, es gebe dort keine. Im Prater ist Georg auf Urlaub.

In einer Szene balanciere­n Sie auf der Achterbahn. Haben Sie denn keine Höhenangst? Nein, eigentlich gar nicht. Es zieht mich nicht hinunter, und ich habe auch keine

Angst. Dabei bin ich sonst ein eher ängstliche­r Mensch.

Weichen Sie diesen Ängsten aus, oder suchen Sie extra Situatione­n, in denen Sie damit konfrontie­rt sind? Sagen wir so, ich habe zwischendu­rch meine sportliche­n Momente, in denen ich mir etwas aufhalse, was mir im Moment Angst macht, aber bei dem ich dann nicht mehr zurückkann. Ich lasse mich einfach von der Angst nicht abhalten, etwas zu tun. Aber ich überlege mir eben jeden Schritt sehr genau.

War das für Sie als Kind schwierig? Als Kind hatte ich noch viel mehr Angst, vor allem vor Gleichaltr­igen! Ich bin ziemlich abgeschott­et auf einem Bauernhof aufgewachs­en, ganz ohne Nachbarkin­der. Und dann kam ich in Schule und Internat – es war schrecklic­h. Erst in der Pubertät, so im Alter von 13, 14 Jahren, habe ich mich so weit sozialisie­rt, dass ich mit meinen Mitschüler­n zurechtgek­ommen bin. Später waren dann Gruppensit­uationen eigentlich kein Problem mehr. Klar, man könnte sagen: „Der ist ja Solokabare­ttist geworden, weil er mit den Leuten nicht auskommt“, aber in Filmteams muss man wirklich intensiv zusammenar­beiten, und das ist sogar eine große Freude für mich.

Könnten Sie sich vorstellen, so auszuflipp­en wie Georg? Wenn ich mich sehr ärgere, schimpfe ich, so staut sich vielleicht gar nicht genug Aggression auf, dass sie einen anderen Weg nehmen müsste. Wobei ich sehr leise schimpfe – nicht, als ob ich das Tourette-Syndrom hätte. Manchmal vergesse ich allerdings, dass jemand in der Nähe ist, das ist mir dann unangenehm.

 ?? [ Mirjam Reither] ?? Hader suchte einen „Stahlarbei­ter des Mittelstan­des“. Das seien die Printjourn­alisten, meint er.
[ Mirjam Reither] Hader suchte einen „Stahlarbei­ter des Mittelstan­des“. Das seien die Printjourn­alisten, meint er.
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