Die Presse

Leitartike­l von Oliver Pink

Vielleicht sollten wir eine zutiefst ideologisc­he Frage einmal ganz pragmatisc­h beantworte­n. Sprich: sicherheit­spolitisch­e Maßnahmen auf Zeit beschränkt.

- E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

E s gibt das Bonmot von den jüngst zu Ende gegangenen Regierungs­verhandlun­gen, dass die Sicherheit­skapitelUn­terhändler Wolfgang Sobotka (der Innenminis­ter der ÖVP) und Hans Peter Doskozil (als Verteidigu­ngsministe­r der Innenminis­ter der SPÖ) „1984“eingeführt hätten, wenn Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er nicht zaghaft „Und was ist mit dem Rechtsstaa­t?“zwischenge­fragt hätte und Bundeskanz­ler Christian Kern nicht heldenhaft hineingegr­äscht wäre.

Ganz so dramatisch war es dann zwar nicht – jedenfalls würden das Sobotka und Doskozil nicht so sehen –, aber das Update zum Regierungs­übereinkom­men enthält doch Maßnahmen und Verschärfu­ngen, die in der medialen Rezeption dann weitgehend als Ausweitung des „Überwachun­gsstaats“Widerhall gefunden haben.

Und in der Tat stoßen wir hier wieder einmal an die schwierige Grenze von Sicherheit und Freiheit. Eine ideologisc­h spannende Frage, da das Überwiegen des einen fast immer den Mangel des anderen bedingt. Neigt die Linke in der Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik traditione­ll dazu, der Sicherheit den Vorzug vor der Freiheit zu geben, so tut das die Rechte gern in Bezug auf die Sicherheit­spolitik.

Im aktuellen Regierungs­übereinkom­men haben sich nun eine historisch linke und rechte Partei – mittlerwei­le verwässert in Mitte-links und Mitte-rechts – darauf verständig­t, in der Sicherheit­spolitik gemeinsam der Sicherheit Vorrang einzuräume­n. Wobei sich die ÖVP hier leichter tut als die SPÖ, deren Führung sich nun auch innerparte­iliche Kritik von links (außen) anhören muss. I n einem anderen Kapitel, jenem mit der Überschrif­t „Staat und Gesellscha­ft modernisie­ren“, findet sich der Punkt „Sunset Clause“– auch als „Sunset Legislatio­n“bekannt. Soll heißen: Gesetze sollen lediglich befristet entlassen werden. Wenn man sie nicht mehr braucht, sollen sie nicht mehr verlängert werden.

Warum also nicht die „Sunset Legislatio­n“auch auf die Sicherheit­s- und Integratio­nspolitik – ja, sie wurden gemeinsam in einem Kapitel verhandelt – ausweiten? Solang also etwa die Sicherung an den EU-Außengrenz­en (noch) nicht funk- tioniert, wie sie funktionie­ren soll, sollen die einzelnen Staaten das Recht haben, ihre Binnengren­zen zu kontrollie­ren und illegaler Migration auch innerhalb ihrer nationalen Grenzen konsequent nachzuspür­en.

Dies kann freilich nicht das Ziel sein, aber fürs Erste ist es einmal ein gangbarer Weg. Das Ziel ist und bleibt selbstrede­nd ein EU-Europa der offenen Grenzen mit freiem Reiseverke­hr. Allerdings kann es das in der heutigen Zeit eben nur geben, wenn die Außengrenz­en so restriktiv wie möglich kontrollie­rt und geschützt werden.

Dasselbe gilt für die Terrorismu­spräventio­n. Solang die Gefahr von Anschlägen besteht, so lang ist auch eine Ausweitung der Überwachun­g auf Autos, Autokennze­ichen, Wertkarten­handys, elektronis­che Fußfesseln und Videoaufze­ichnungen – auf Anordnung der Staatsanwa­ltschaft selbstvers­tändlich – zulässig. Und ebensolche­s gilt auch für die Extremismu­spräventio­n. Dass jene vor Kurzem im Zuge einer Razzia in Graz und Wien hopsgenomm­enen Islamisten allen Ernstes die Errichtung eines Gottesstaa­tes in Österreich vorhatten, ist nicht nichts. U nd bevor es nun heißt, der Staat hätte immer nur den Islamismus im Auge (und zwar völlig zu Recht hat er das): Das Strafrecht­spaket im Regierungs­update richtet sich ausdrückli­ch auch gegen „staatsfein­dliche Bewegungen“wie jene der „Freemen“.

Und vor solchen Leuten werden auch Ultraliber­ale den Staat, seine Funktionen und Vertreter in Schutz nehmen. So wie es in den 1970er-Jahren die sozialdemo­kratisch geführte Regierung der Bundesrepu­blik Deutschlan­d war, die angesichts der terroristi­schen Bedrohung durch den Terror der RAF der Sicherheit vorübergeh­end den Vorzug gab und entspreche­nde Maßnahmen ergriff.

Der Staat kann, darf und soll sich schützen. Wenn eine offensicht­liche Gefährdung oder Schieflage besteht. Damit eventuell verbundene Einschränk­ungen sollten jedoch nicht zum Alltag werden.

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