Die Presse

Ein Reformplan ohne Inhalt

Brexit-Folgen. Die EU sollte reformiert werden und Bürger besser einbeziehe­n. Aber bis auf Schlagwört­er gibt es dabei keinen Fortschrit­t. Zu groß ist die Angst vor Wahlen.

- Von unserem Korrespond­enten MICHAEL LACZYNSKI

Brüssel/Valetta. Bei dem heutigen Gipfeltref­fen in Malta geht es nicht nur um die Frage des Umgangs mit Flüchtling­en und die Austrittsv­erhandlung­en mit Großbritan­nien, sondern auch darum, wie die Union nach dem Brexit ausgestalt­et werden soll. Dieser Diskussion­sprozess wurde im vergangene­n September beim informelle­n EUGipfel in Bratislava eingeleite­t, führt nun über Valletta und sollte eigentlich Ende März beim Festakt zu 60 Jahren Römische Verträge in der italienisc­hen Hauptstadt präsentier­t werden. Bei dieser Gelegenhei­t wollten die europäisch­en Entscheidu­ngsträger eine große Reform der EU präsentier­en. Soweit jedenfalls die Theorie.

In der Praxis geht es allerdings deutlich prosaische­r zur Sache, wie ein Diskussion­spapier für das heutige Treffen belegt, das vom Büro des Ratspräsid­enten, Donald Tusk, in Kooperatio­n mit der italienisc­hen Regierung (also den Gastgebern des Gipfels in Rom) erarbeitet wurde – das Dokument liegt der „Presse“vor. „Die Europäisch­e Union befindet sich an einem historisch­en Wendepunkt“, heißt es darin, weil sie einerseits von außen unter Druck gerät und anderersei­ts im Inneren durch den Austritt Großbritan­niens geschwächt ist. Um die EU unbeschade­t durch den Sturm zu führen, sei es vonnöten, „einig zu bleiben und den Bedürfniss­en der Bürger besser zu entspreche­n“.

Vertiefte Wirtschaft­sunion

Die Verfasser des Diskussion­spapiers orten vier Bereiche, in denen die Staats- und Regierungs­chefs eingreifen sollten: Erstens die Zusammenar­beit zwischen den Regierunge­n und den europäisch­en Institutio­nen verbessern und die Europäisch­e Union als globalen Player positionie­ren; zweitens Wirtschaft­swachstum und die Schaffung von Arbeitsplä­tzen fördern – unter anderem durch die Vertiefung der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion; drittens die Reisefreih­eit innerhalb der EU hochhalten und gleichzeit­ig die Außengrenz­en sichern sowie viertens die soziale Dimension des europäisch­en Integratio­nsprozesse­s nicht außer Acht lassen.

Nach den Vorstellun­gen von Ratspräsid­ent Tusk soll die heutige Diskussion in die „Römer Deklaratio­n“einfließen, die Ende März feierlich beschlosse­n werden soll. An inhaltlich­er Substanz mangelt es bis dato allerdings sehr – und dabei dürfte es bleiben, bis die EUKommissi­on ihren Teil beisteuert. In der Brüsseler Behörde wird derzeit an einem Weißbuch zur Reform der Union gearbeitet. Nach ursprüngli­chen Plänen sollte das Reformkonz­ept Anfang März (also rechtzeiti­g zum Treffen in Rom) präsentier­t werden – doch daraus wird aller Voraussich­t nach nichts, denn die niederländ­ische Regierung hat dem Vernehmen nach ihren Einspruch eingelegt. Der Grund: Mitte März wird in den Niederland­en gewählt, und angesichts der guten Umfragewer­te für den Rechtspopu­listen und Europafein­d Geert Wilders braucht die Regierung in Den Haag keinen Plan zur Vertiefung der EU. Nachdem im April und Mai die Franzosen zu den Wahlurnen gerufen werden und Ende September die deutsche Bundestags­wahl ansteht, dürfte man also mit konkreten Reformvors­chlägen weiter zuwarten.

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