„Über Rauschebärte redet keiner“
Maria Vassilakou. Die Vizebürgermeisterin will eine neue Regel für das Auszahlen der Mindestsicherung: Frauen in Partnerschaften sollen ihren Teil verpflichtend auf ein eigenes Konto bekommen. Und sie will Geschäftsmieten begrenzen.
Die Presse: Wir sitzen im Cafe´ Ritter mit Blick auf die Mariahilfer Straße. Die Gastronomie hier floriert, aber der Umsatz im Handel geht zurück, Leerstände inklusive. Sie wollen nun eine Obergrenze für Geschäftsmieten einziehen. Was soll das bringen? Maria Vassilakou: Vorweg: Die jüngsten Passantenzählungen weisen einen Rekord aus, und die Mariahilfer Straße hat die besten Belagszahlen in ganz Österreich. Ich finde es bedauerlich, dass die Wirtschaftskammer jede Geschäftsschließung fast zelebriert, die Liste der Neueröffnungen aber völlig ignoriert. Was die Miet-Obergrenze betrifft: Neben dem Internethandel sind die steigenden Mieten das Problem für den Handel, vor allem für kleine Geschäfte. Das wäre ein Thema für eine Mietrechtsreform, die im neuen Paket der Bundesregierung aber wieder einmal fehlt.
Warum soll ein Geschäftsinhaber, der unbedingt auf der Mariahilfer Straße oder Kärntner Straße präsent sein will, nicht entsprechend dafür zahlen? Man könnte das Luxussegment auch ausnehmen – wobei die Mariahilfer Straße nicht notwendigerweise dazuzählt. Es geht um die kleinen Händler, die wir im Kampf gegen die Ketten unterstützen müssen.
Aber so eine Obergrenze würde für alle gelten. Auch für Ketten. Dann gilt sie eben für alle.
Wie stellen Sie sich diese Grenze überhaupt vor? Eine konkrete Zahl pro Quadratmeter? Nein, etwa ein Richtwertsystem mit transparenten Zu- und Abschlägen wäre sinnvoll (Anm.: Derzeit sind Geschäftsmieten frei vereinbar). Aber wenn jemand mit besseren Vorschlägen kommt, die zum Ziel führen – gerne!
Bleiben wir noch beim Thema Mieten: Sie haben unlängst öffentlich das Wohnbauressort heftig kritisiert. Dessen Chef könnte nächster Bürgermeister werden. Wäre das ein Problem für Sie? Wir müssen in der Politik lernen, dass Kritik an der Sache nicht persönlich gemeint ist. Fakt ist, dass Wiener Wohnen eine Baustelle ist und viele Mieter das Gefühl haben, alleingelassen zu werden.
Kaum Kritik hat man von den Grünen dagegen zu den Problemen im Gesundheitsbereich gehört: Gangbetten, Wartezeiten für Krebspatienten etc. Warum? Zum guten Stil gehört, Kritik so lange wie möglich direkt und nicht via Medien auszurichten.
Beim Wohnen war die Kritik öffentlich. Bei der Gesundheit gab es auch Taten. Hier gab es eine Neubesetzung. Im Übrigen: Auch meine Kritik am Krankenanstaltenverbund war öffentlich.
Sie haben der Wiener SPÖ ausgerichtet, dass man endlich wieder arbeiten muss. Braucht es einen Neustart wie im Bund? Wir haben ein robustes Regierungsübereinkommen. Wir müssen nur die Baustellen angehen. Etwa bei der Mindestsicherung. Ihr Klubchef David Ellensohn hat vorgeschlagen, die Mindestsicherung zu erhöhen. Vor dem Hintergrund, dass die Stadt sparen muss und die Zuwanderung der Mindestsicherungsbezieher aus den Bundesländern droht: Ist das eine gute Idee? In einer Zeit, in der nur mehr diskutiert wird, wie man den Ärmsten Geld wegnehmen kann, finde ich es gut, dass man daran erinnert, dass wir über ein Existenzminimum reden. Dessen Höhe orientiert sich nicht an politischen Starker-Mann-Inszenierungen, sondern an der Armutsgrenze. Und an diese sollte sie angepasst werden (Anm.: Die Armutsgefährdungsschwelle laut Armutskonferenz liegt bei 1163 Euro monatlich für einen Einpersonenhaushalt). Allerdings ist das aufgrund unserer finanziellen Situation jetzt nicht umsetzbar. Was wir aber etwa tun können, ist, Frauen, wenn sie in einer Partnerschaft sind, ihren Anteil an der Mindestsicherung verpflichtend direkt auf ein eigenes Konto zu überweisen. Ähnliches hat AMSChef Johannes Kopf vorgeschlagen. Das ist für viele Frauen – nicht nur in Flüchtlingsfamilien – vielleicht das erste Mal, dass sie eigenes Geld haben.
Aber was ist, wenn eine Frau ein gemeinsames Konto will? Ist das nicht rechtlich problematisch? Ja, aber dringend notwendig.
Aber was hilft das gegen den Zustrom von Mindestsicherungsbeziehern aus jenen Bundesländern, die die Regeln verschärfen? Ich kann doch nicht, nur weil mein benachbartes Bundesland unanständig handelt, dasselbe tun. Wien ist ein Lichtblick. Es gibt Menschen wie den Herrn Blümel, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen, und in einem bitterkalten Winter den Ärmsten noch den Mantel wegnehmen wollen. Aber wir kehren den Menschen, die aus anderen Bundesländern vertrieben werden, nicht den Rücken.
Sie finden sich also mit Wiens Sogwirkung ab. Hier stehe ich und kann nicht anders. Außerdem kämen sie sowie- so. Und wenn wir sie nicht versorgten, gäbe es in der Stadt nur noch mehr Probleme.
Kommen wir zum Bund: Die Wiener SPÖ hat das neue Koalitionspaket mit-abgenickt. Darin stehen Dinge wie mehr Videoüberwachung, Fußfessel für Gefährder, Verbot der Vollverschleierung. Ist das für Rot-Grün ein Problem? Ich bin enttäuscht. Ich warne mit Blick auf Trump davor, einen Weg zu bestreiten, der Institutionen schwächt, Grundrechte aushöhlt und autoritären Fantasien den roten Teppich ausrollt. Am Ende dieses Weges steht vielleicht jemand, der all das zum Einsatz gegen die eigenen Bürger missbraucht. Zum Verschleierungsverbot: Ich finde Kleiderverbote generell problematisch. Und was mich erstaunt: Es geht schon wieder nur um Frauen. Über Rauschebärte und Pluderhosen bei Männern redet keiner (Anm.: sieht man mitunter bei salafistisch gesinnten Männern).
Aber das Gesicht zu verbergen hat eine andere Qualität. Man sieht das doch nur vereinzelt. Aus frauenpolitischer Sicht stört mich, dass Frauen schon wieder unmündig gemacht werden und dass Leute, die sich nicht für Frauenpolitik interessieren, das als Befreiungsaktion verkaufen.
Das Ritter zählte zu den Stammlokalen des Bundespräsidenten. Der hat nun zum Akademikerball gemeint: „Lasst sie doch tanzen.“Ist das auch neue grüne Linie? Er war Kandidat einer breiten Bewegung, und deshalb hat er nicht jede Aussage mit dem Parteiprogramm der Grünen abzustimmen.
Und wie ist Ihre eigene Meinung? Ich habe vor ein paar Jahren zum Holocaust-Gedenktag auf der Bühne gesagt, dass ich es ob der historischen Verantwortung der Republik für eine Schande halte, dass sich die Apologeten der NS-Zeit in den Repräsentationsräumlichkeiten der Republik vergnügen. Es wird mich freuen, wenn der Tag kommt, an dem sie tanzen, wo sie wollen. Aber nicht in der Hofburg.