Die Presse

In stillen Bildern lauern Krokodile

Kunsthalle Wien. Marcel Odenbach ist ein Pionier der deutschen Videokunst. Seine Themen sind die schweren, Genozid, Kolonialis­mus, Flucht, seine Bilder trotzdem behutsam.

- VON ALMUTH SPIEGLER „Marcel Odenbach. Beweis zu nichts“, Kunsthalle Wien im MQ, bis 30. 4., täglich: 11–19 h, Do: 11–21 h.

Auf den ersten Blick versteht man die Welt nicht: Wie kommt dieses biedere Aquarell einer „Guten Stube“in die Wiener Beton-Kunsthalle? Mitten in die Ausstellun­g eines der Pioniere der deutschen Videokunst, Marcel Odenbach (1953, Köln), der hier seine erste große Ausstellun­g in Österreich hat – der sich doch um die schweren Themen kümmert, NS-Vergangenh­eitsbewält­igung, Kolonialis­mus, afrikanisc­he Genozide. Und dann diese Idylle?

Man muss schon zwei, drei Schritte nähertrete­n, seine Perspektiv­e aufgeben, um zu sehen, was Odenbach zeigen will. Dass es sich hier erstens nicht um ein Aquarell handelt, sondern die verschwomm­ene, malerische Wirkung einer extrem diffizilen Collagetec­hnik geschuldet ist. Deren winzige Einzelteil­e einen auf die Spur bringen, welche „Böse Stube“hier in all ihrer Unverfängl­ichkeit lauert: Hitlers Wohnzimmer mit Ausblick auf den Obersalzbe­rg. Polstermöb­el, Lampenschi­rm, Blumenvase­n, Vorhang, Bergpanora­ma – alles ist zusammenge­setzt aus lauter kleinen Fotos aus der Nazi-Zeit, von Aufmärsche­n bis KZ-Leichen, das Grauen liegt dem Schein zugrunde.

Nach diesem Prinzip funktionie­ren einige von Odenbachs großformat­igen Collagen, die seine Videoarbei­ten fast immer schon begleitete­n. Der täuschende Effekt ist so genial wie die Ausführung, die dann mit Aquarellfa­rbe und Tinte noch abgerundet wird. Höhepunkt ist ein über 14 Meter langer Papierstre­ifen, der wie eine Palmenfoto­tapete wirkt. In der Nahsicht aber entfaltet sich hier vor einem in Tausenden Bildchen die Kolonialge­schichte Afrikas. Wobei kein ideologisc­her „Faden“aus der Auswahl der Ausschnitt­e herauszule­sen ist. Odenbach ist ein Verfechter des Vagen, er will einem das Selbstdenk­en nicht völlig abnehmen.

Starren auf starrende Flüchtling­e

Was durchaus ambivalent sein kann, bestes Beispiel dafür ist das Video „Im Schiffbruc­h nicht schwimmen können“, für das er 2011, also lang vor der Flüchtling­swelle, drei illegal per Boot von Afrika nach Europa Eingewande­rte überreden konnte, mit ihm in den Louvre zu fahren. Um sich dort dabei filmen zu lassen, wie sie Gericaults´ berühmtes Gemälde „Das Floß der Medusa“von 1819 betrachten, das einen historisch­en Vorfall aufgreift, bei dem im Zuge des Kolonialma­chtwechsel­s im Senegal ein englisches Schiff gekentert ist. Die Besatzung rettete sich u. a. auf ein Floß, auf dem bald Kannibalis­mus ausbrach; nur 15 von 149 Menschen konnten gerettet werden.

Relativ unbewegt starren die drei Afrikaner auf das Gemälde. Relativ unbewegt starren wir dabei sie an. Woran denken sie? Dass der Kolonialis­mus schuld an allem ist? An ihre eigene Überfahrt? Dass dieser Regisseur spinnt? Nur spärliche Sätze aus den Gesprächen, die er mit den Flüchtling­en im Vorfeld geführt hat, blendet Odenbach uns ein. Man bleibt bei dieser wenig angenehmen Begegnung mit den gemischten Vorurteile­n verschiede­ner Zeiten und Kulturen weitgehend sich selbst überlassen.

Es ist eine gute, nachdenkli­che, gesellscha­ftspolitis­ch relevante Ausstellun­g, die Kuratorin Joan Vanessa Müller in einem sanften Rhythmus aus Collagen und Videoproje­ktionen fast hermetisch in sich ruhen lässt. Trotzdem findet man schnell Zugang, sei es über Odenbachs Hang zu Ingeborg-Bachmann-Zitaten, sei es durch die Sensibilit­ät oder durch seinen tastenden Kamerablic­k, den er gern auf Oberfläche­n richtet, etwa von Mahnmalen wie jenen der Gedenkstät­ten in Buchenwald oder im polnischen Majdanek. Immer fragend, forschend, die zugrunde liegenden Gräuel zwar spürbar machend, sie aber nicht ausschlach­tend. Das macht diese Konfrontat­ionen erträglich. Etwa mit dem Genozid in Ruanda von 1994, dessen Geist er in extrem langsamen, vorsichtig­en Alltagsauf­nahmen nachspürt: „In stillen Teichen lauern Krokodile“heißt die Arbeit. Nach einem afrikanisc­hen Sprichwort. Bei Odenbach trifft es auch auf die Kunst zu.

 ?? [ Odenbach & Bildrecht, 2017 ] ?? Collage aus Hunderten Fotoaussch­nitten zu Deutschlan­ds Geschichte: „Heimat 3“(2016) zeigt das für den deutschen Bundeskanz­ler vorgesehen­e Bett im ehemaligen Regierungs­bunker.
[ Odenbach & Bildrecht, 2017 ] Collage aus Hunderten Fotoaussch­nitten zu Deutschlan­ds Geschichte: „Heimat 3“(2016) zeigt das für den deutschen Bundeskanz­ler vorgesehen­e Bett im ehemaligen Regierungs­bunker.

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