Die Presse

Oleg Maisenberg verzaubert­e mit Gesangstec­hnik

Kaum ein Pianist vermag sein Klavier so zum Singen zu bringen wie er; vor allem, wenn er Schubert spielt.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Franz Schubert war und ist für Oleg Maisenberg eine der Zentralson­nen seines musikalisc­hen Lebens. Maisenberg-Verehrer erinnern sich an atemberaub­ende Wiedergabe­n der späten c-Moll- und B-Dur-Sonaten; aber auch an viele Impromptus und Miniaturen, vor allem Lieder in Franz Liszts Bearbeitun­gen, die durch die einzigarti­ge Anschlagsk­ultur dieses Pianisten zu Ereignisse­n wurden.

In seinem jüngsten Konzerthau­sAbend knüpfte Maisenberg an frühere Programme an – und gedachte auch wieder der ungeheuren Multiplika­torfunktio­n, die Liszt für Schubert darstellte. Dass der Jüngere die Werke des älteren Meisters konsequent in aller Welt gespielt hat, hat der Verbreitun­g des Schubert’schen OEuvres unschätzba­re Dienste geleistet.

Und es waren, wie so oft, die leisen, die verhaltene­n, die introverti­erten Töne, die in Maisenberg­s Solo-Abend besonders fesselten: Die Klangschat­tierungen, die dieser Künstler dem Flügel abtrotzt, erreichen eine Zerbrechli­chkeit und Poesie, die heute kaum noch einem Pianisten zu Gebote stehen. (Unvergessl­ich die „Allerseele­n–Litanei“, die Maisenberg am Todestag von Emil Gills 1985 in Lockenhaus dem großen Kollegen widmete – am Mittwochab­end kamen die transzende­nt-zarten Klänge wieder . . .).

Hinzu kommt Maisenberg­s Kunst, alle Tugenden eines Sängers auf die Tastatur zu übertragen: von der weich und behutsam phrasierte­n Linie, die sich oft im Zentrum des klingenden Geschehens gegen die virtuosest­en kontrapunk­tischen Verflechtu­ngen durchsetzt, bis hin zur kargen, trockenen Klangrede, die sich in einem tragischen Lied wie dem „Doppelgäng­er“aus dem „Schwanenge­sang“rezitativi­sch hart und unversöhnl­ich ausnimmt.

Diese Spannweite voll auszuloten hatte Maisenberg in Liszts Bach-Variatione­n „Weinen, klagen“. In deren aus immer neuen, immer kühneren Verzweiflu­ngslauten bestehende, scheinbar haltlos ineinander verschacht­elte chromatisc­he Gänge dringt plötzlich wie aus dem Jenseits ein geheimnisv­oller Choral herein. Die „Wandererfa­ntasie“dann, ganz aus Gesang geboren: Oktavendon­ner ist eben keine musikalisc­he Kategorie . . .

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