Oleg Maisenberg verzauberte mit Gesangstechnik
Kaum ein Pianist vermag sein Klavier so zum Singen zu bringen wie er; vor allem, wenn er Schubert spielt.
Franz Schubert war und ist für Oleg Maisenberg eine der Zentralsonnen seines musikalischen Lebens. Maisenberg-Verehrer erinnern sich an atemberaubende Wiedergaben der späten c-Moll- und B-Dur-Sonaten; aber auch an viele Impromptus und Miniaturen, vor allem Lieder in Franz Liszts Bearbeitungen, die durch die einzigartige Anschlagskultur dieses Pianisten zu Ereignissen wurden.
In seinem jüngsten KonzerthausAbend knüpfte Maisenberg an frühere Programme an – und gedachte auch wieder der ungeheuren Multiplikatorfunktion, die Liszt für Schubert darstellte. Dass der Jüngere die Werke des älteren Meisters konsequent in aller Welt gespielt hat, hat der Verbreitung des Schubert’schen OEuvres unschätzbare Dienste geleistet.
Und es waren, wie so oft, die leisen, die verhaltenen, die introvertierten Töne, die in Maisenbergs Solo-Abend besonders fesselten: Die Klangschattierungen, die dieser Künstler dem Flügel abtrotzt, erreichen eine Zerbrechlichkeit und Poesie, die heute kaum noch einem Pianisten zu Gebote stehen. (Unvergesslich die „Allerseelen–Litanei“, die Maisenberg am Todestag von Emil Gills 1985 in Lockenhaus dem großen Kollegen widmete – am Mittwochabend kamen die transzendent-zarten Klänge wieder . . .).
Hinzu kommt Maisenbergs Kunst, alle Tugenden eines Sängers auf die Tastatur zu übertragen: von der weich und behutsam phrasierten Linie, die sich oft im Zentrum des klingenden Geschehens gegen die virtuosesten kontrapunktischen Verflechtungen durchsetzt, bis hin zur kargen, trockenen Klangrede, die sich in einem tragischen Lied wie dem „Doppelgänger“aus dem „Schwanengesang“rezitativisch hart und unversöhnlich ausnimmt.
Diese Spannweite voll auszuloten hatte Maisenberg in Liszts Bach-Variationen „Weinen, klagen“. In deren aus immer neuen, immer kühneren Verzweiflungslauten bestehende, scheinbar haltlos ineinander verschachtelte chromatische Gänge dringt plötzlich wie aus dem Jenseits ein geheimnisvoller Choral herein. Die „Wandererfantasie“dann, ganz aus Gesang geboren: Oktavendonner ist eben keine musikalische Kategorie . . .