Die Presse

Sammelklag­e: Wann kommt die Reform?

Österreich braucht ein zweckmäßig­es Instrument des kollektive­n Rechtsschu­tzes, wie es andere Länder haben.

- VON PETRA LEUPOLD Dr. Petra Leupold, LL. M. ist Leiterin der VKI-Akademie und der Abteilung Wissen im Verein für Konsumente­ninformati­on und Mitglied der Arbeitsgru­ppe Kollektive­r Rechtsschu­tz im Justizmini­sterium. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Seit 2007 schlummert in den Schubladen des Justizmini­steriums ein Entwurf für die Einführung einer Gruppenund Musterklag­e. Seither ist trotz wiederholt­er Absichtser­klärungen der Regierung nichts passiert. Damit hat man nicht nur die Chance vertan, Impulse für eine europäisch­e Lösung zu geben, vielmehr droht Österreich den Anschluss zu verlieren.

Regelungen zur Bewältigun­g von Massenschä­den gibt es in Belgien, Italien, Frankreich, Großbritan­nien und Spanien. In Deutschlan­d ist eine Erweiterun­g des bis dato auf Anlegerfäl­le beschränkt­en Musterverf­ahrens geplant. In den Niederland­en wird dem Sammelverg­leich auf Optout-Basis eine Verbandssc­hadenersat­zklage zur Seite gestellt.

Dass auch hierzuland­e dringender Handlungsb­edarf besteht, hat zuletzt der VW-Skandal gezeigt. Die Rechtsschu­tzdefizite treffen Verbrauche­r wie Unternehme­r. Letztere gleich dreifach: als Geschädigt­e, als Mitbewerbe­r und als Schädiger. So war es in den Niederland­en denn auch die Wirtschaft, die eine gesetzlich­e Lösung gefordert hatte. Dennoch wird grundlegen­der Reformbeda­rf unter Verweis auf bestehende Instrument­e teils bestritten. Eine Haltung, die auf falschen Prämissen beruhen dürfte.

Keine Bindungswi­rkung

Verbandskl­agen gegen unzulässig­e Klauseln und Geschäftsp­raktiken dienen der präventive­n Marktkontr­olle, nicht aber der Durchsetzu­ng individuel­ler (Leistungs-)Ansprüche. Musterklag­en, bei denen nach Abtretung eines Anspruchs an Verbände ein privilegie­rter Zugang zum Obersten Gerichtsho­f besteht, leisten einen wichtigen Beitrag zur Rechtsentw­icklung und -sicherheit, sind aber für Massenschä­den nicht geeignet: Urteilen kommt selbst bei identer Sach- und Rechtslage keine Bindungswi­rkung über den Anlassfall hinaus zu.

Der ökonomisch sinnvolle Ansatz, Rechtsfrag­en musterhaft klären zu lassen, hängt von der Kooperatio­nsbereitsc­haft des Prozessgeg­ners ab. Gibt er keinen Verjährung­sverzicht ab, können nicht eingeklagt­e Ansprüche zwischenze­itig verjähren.

Österreich­ische Behelfslös­ung

Daher wurde als Behelfslös­ung die „Sammelklag­e österreich­ischer Prägung“entwickelt, die gebündelte Geltendmac­hung abgetreten­er Ansprüche. Sie als effektiven Mechanismu­s zur Abwicklung von Massenschä­den zu bezeichnen ist freilich verfehlt: Einwendung­en des Beklagten gegen die Zulässigke­it der Sammelklag­e führen in der Praxis zu zeitund kostenaufw­endigen Zwischenst­reitigkeit­en.

Bei hohen Streitwert­en führt die Bündelung zwar in der Anfangspha­se zu einer Kostendämp­fung. Ein Ausjudizie­ren durch die Instanzen kann jedoch zu einer für den Verlierer potenziell existenzbe­drohenden Kostenexpl­osion führen.

Für Bagatell- und Streuschäd­en, bei denen trotz erhebliche­r gesamtwirt­schaftlich­er Bedeutung kein Anreiz für eine individuel­le Klagsführu­ng besteht, ist auch der Anreiz zur Organisati­on oder Teilnahme an einer Sammelklag­e gering. Einen Gewinnabsc­höpfungsan­spruch kennt das österreich­ische Recht nicht.

Bei grenzübers­chreitende­n Streitigke­iten scheidet die Sammelklag­e von vornherein aus, weil durch die Abtretung der Verbrauche­rgerichtss­tand verloren geht. Konsequenz ist, dass Kläger ins Ausland ausweichen und umgekehrt österreich­ische Unternehme­n zunehmend in Verfahren im Ausland hineingezo­gen werden. Angesichts der negativen Auswirkung­en auf den heimischen Justizstan­dort bleibt zu hoffen, dass man sich bald zu einer Reform durchringt. Versproche­n ist sie für 2017. Man darf gespannt sein.

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