Sammelklage: Wann kommt die Reform?
Österreich braucht ein zweckmäßiges Instrument des kollektiven Rechtsschutzes, wie es andere Länder haben.
Seit 2007 schlummert in den Schubladen des Justizministeriums ein Entwurf für die Einführung einer Gruppenund Musterklage. Seither ist trotz wiederholter Absichtserklärungen der Regierung nichts passiert. Damit hat man nicht nur die Chance vertan, Impulse für eine europäische Lösung zu geben, vielmehr droht Österreich den Anschluss zu verlieren.
Regelungen zur Bewältigung von Massenschäden gibt es in Belgien, Italien, Frankreich, Großbritannien und Spanien. In Deutschland ist eine Erweiterung des bis dato auf Anlegerfälle beschränkten Musterverfahrens geplant. In den Niederlanden wird dem Sammelvergleich auf Optout-Basis eine Verbandsschadenersatzklage zur Seite gestellt.
Dass auch hierzulande dringender Handlungsbedarf besteht, hat zuletzt der VW-Skandal gezeigt. Die Rechtsschutzdefizite treffen Verbraucher wie Unternehmer. Letztere gleich dreifach: als Geschädigte, als Mitbewerber und als Schädiger. So war es in den Niederlanden denn auch die Wirtschaft, die eine gesetzliche Lösung gefordert hatte. Dennoch wird grundlegender Reformbedarf unter Verweis auf bestehende Instrumente teils bestritten. Eine Haltung, die auf falschen Prämissen beruhen dürfte.
Keine Bindungswirkung
Verbandsklagen gegen unzulässige Klauseln und Geschäftspraktiken dienen der präventiven Marktkontrolle, nicht aber der Durchsetzung individueller (Leistungs-)Ansprüche. Musterklagen, bei denen nach Abtretung eines Anspruchs an Verbände ein privilegierter Zugang zum Obersten Gerichtshof besteht, leisten einen wichtigen Beitrag zur Rechtsentwicklung und -sicherheit, sind aber für Massenschäden nicht geeignet: Urteilen kommt selbst bei identer Sach- und Rechtslage keine Bindungswirkung über den Anlassfall hinaus zu.
Der ökonomisch sinnvolle Ansatz, Rechtsfragen musterhaft klären zu lassen, hängt von der Kooperationsbereitschaft des Prozessgegners ab. Gibt er keinen Verjährungsverzicht ab, können nicht eingeklagte Ansprüche zwischenzeitig verjähren.
Österreichische Behelfslösung
Daher wurde als Behelfslösung die „Sammelklage österreichischer Prägung“entwickelt, die gebündelte Geltendmachung abgetretener Ansprüche. Sie als effektiven Mechanismus zur Abwicklung von Massenschäden zu bezeichnen ist freilich verfehlt: Einwendungen des Beklagten gegen die Zulässigkeit der Sammelklage führen in der Praxis zu zeitund kostenaufwendigen Zwischenstreitigkeiten.
Bei hohen Streitwerten führt die Bündelung zwar in der Anfangsphase zu einer Kostendämpfung. Ein Ausjudizieren durch die Instanzen kann jedoch zu einer für den Verlierer potenziell existenzbedrohenden Kostenexplosion führen.
Für Bagatell- und Streuschäden, bei denen trotz erheblicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung kein Anreiz für eine individuelle Klagsführung besteht, ist auch der Anreiz zur Organisation oder Teilnahme an einer Sammelklage gering. Einen Gewinnabschöpfungsanspruch kennt das österreichische Recht nicht.
Bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten scheidet die Sammelklage von vornherein aus, weil durch die Abtretung der Verbrauchergerichtsstand verloren geht. Konsequenz ist, dass Kläger ins Ausland ausweichen und umgekehrt österreichische Unternehmen zunehmend in Verfahren im Ausland hineingezogen werden. Angesichts der negativen Auswirkungen auf den heimischen Justizstandort bleibt zu hoffen, dass man sich bald zu einer Reform durchringt. Versprochen ist sie für 2017. Man darf gespannt sein.