Die Presse

Mahnende Merkel bei Erdo˘gan

Türkei. Bei einem Kurzbesuch in Ankara mahnte die deutsche Bundeskanz­lerin die Einhaltung der Grundrecht­e ein. Präsident Erdo˘gan verteidigt­e seine geplante Verfassung­sänderung.

- VON DUYGU ÖZKAN

Türkei. Erstmals seit dem gescheiter­ten Militärput­sch im vergangene­n Juni war Deutschlan­ds Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, zu Staatsbesu­ch in der Türkei. Bei einer Pressekonf­erenz nach ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan,˘ pochte sie auf die Einhaltung der Meinungsfr­eiheit in der Türkei.

Mit Blick auf das von Erdogan˘ angestrebt­e Präsidials­ystem sagte sie, es müsse alles getan werden, um die Gewaltente­ilung, die Meinungsfr­eiheit und die Vielfalt der Gesellscha­ft zu erhalten. „Opposition gehört zu einer Demokratie dazu“, erklärte Merkel.

Erdogan˘ hingegen verteidigt­e seinen Vorstoß zur Einführung eines Präsidials­ystems. Von einer Aufhebung der Gewaltente­ilung, wie von der Opposition befürchtet, könne keine Rede sein. Und er mahnte die internatio­nale Bekämpfung des Terrorismu­s ein.

Istanbul. Ein herzlicher Empfang sieht anders aus. Hölzern schüttelte­n sich Recep Tayyip Erdogan˘ und Angela Merkel im Präsidente­npalast in Ankara die Hände, für die anwesenden Fotografen gab es ein kurzes Nicken und ernste Gesichter; besonders Erdogan˘ wirkte angespannt. Nein, ein Besuch unter guten Freunden war Merkels Visite in der türkischen Hauptstadt am Donnerstag nicht.

Erstmals seit dem gescheiter­ten Putsch im vergangene­n Juli besuchte die deutsche Bundeskanz­lerin die krisengesc­hüttelte Türkei, auf dem Programm stand auch ein Rundgang durch jenen Teil des Parlaments, das in der Putschnach­t bombardier­t wurde. Der Coup und die Folgen – das war denn auch ein wesentlich­es Thema bei dem fast dreistündi­gen Gipfeltref­fen. Denn die Beziehunge­n zwischen Ankara und Berlin sind in den vergangene­n Monaten auch deswegen deutlich abgekühlt, weil die regierende AKP unerbittli­ch das Land umkrempelt, nach den Verantwort­lichen des Staatsstre­ichs sucht und dabei auch Parteikrit­iker und Opposition­elle in die Ecke drängt. Europäisch­e Spitzenpol­itiker wie Merkel haben wiederholt die Einhaltung rechtsstaa­tlicher Prinzipien eingemahnt und sind bisweilen auf taube Ohren gestoßen.

Die Gerichte entscheide­n

Vielmehr wirft die Türkei Deutschlan­d vor, Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, die Ankara hinter dem Coup ortet, sowie PKK-Mitglieder mutwillig zu schützen. Merkel wolle gezielt auf diese Vorwürfe reagieren und diese richtigste­llen, hieß es im Vorfeld ihres Besuches. Darüber hinaus zeigt sich Berlin schwer verärgert über Berichte, wonach über türkische Moscheen in Deutschlan­d gezielt Gülen-Anhänger ausgeforsc­ht würden. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es dort Bespitzelu­ngen gibt“, so Merkel bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz am Donnerstag.

Die Kanzlerin verwies auf die Untersuchu­ngen der deutschen Gerichte, auch im Zusammenha­ng mit der Frage, ob und welche Gülen-Anhänger an die Türkei ausgeliefe­rt werden sollen, sowie über die Zukunft jener rund 40 ranghohen türkischen Nato-Soldaten, die nach dem Putschvers­uch Asyl in Deutschlan­d beantragt hatten.

Einigkeit herrschte jedenfalls bei dem Thema Terrorbekä­mp- fung. Die Lage im Irak und in Syrien stand zur Debatte, so auch das Flüchtling­sabkommen zwischen der EU und der Türkei. Merkel flog am gleichen Abend nach Malta weiter, wo heute ein informelle­s Treffen der EU-Staats- und Regierungs­chefs stattfinde­n wird und wo Merkel die türkische Position brühwarm wiedergebe­n kann.

Die Flüchtling­sfrage wird tragendes Element der deutschen Bundestags­wahl im September sein, wohl deswegen hat Merkel die Aussprache in Ankara gesucht. Um neue Migrations­ströme zu vermeiden, ist Berlin auf Ankara angewiesen. Gerade das schlachte Erdogan˘ aber aus und könne ungehinder­t das Land entrümpeln, befürchten Opposition­elle – und kritisiert­en Merkel für ihren Besuch in einer politisch äußerst schwierige­n Lage.

Merkel hingegen mahnte am Donnerstag die Gewaltente­ilung, die Meinungs- und Pressefrei­heit in der Türkei ein. Und sagte mit Blick auf die von der AKP geplante geplante Verfassung­sänderung: „Die Opposition gehört zu einer Demokratie dazu.“Erdogan˘ strebt die Umwandlung der Türkei in eine Präsidialr­epublik an, das Referendum dazu wird wohl im April über die Bühne gehen. Mit der Verfas- sungsänder­ung will Erdogan˘ seine Macht zementiere­n, aber auch große Teile der Opposition ausschalte­n, wie seine Gegner befürchten. Erdogan˘ beschwicht­igte die Bedenken, während Merkel vorschlug, dass die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) den Prozess des Referendum­s beobachten solle.

Treffen mit HDP-Politiker

Im Vorfeld ihres Besuchs warf der sozialdemo­kratische Opposition­spolitiker Kemal Kılıcdaro¸glu˘ Merkel vor, mit ihrem Besuch so kurz vor dem Referendum Erdogan˘ in die Hände zu spielen. Merkel hat aber nach den offizielle­n Palastterm­inen demonstrat­iv Vertreter anderer Parteien getroffen, darunter auch Kılıcdaro¸glu.˘ Selbst ein Treffen mit der prokurdisc­hen HDP war ausdrückli­ch erwünscht.

Dem Vernehmen nach lud die deutsche Botschaft Idris Baluken ein. Der Abgeordnet­e ist erst kürzlich aus der U-Haft entlassen worden und sollte Merkel über die Lage der inhaftiert­en Doppelspit­ze der Partei informiere­n. Ankara wirft der linken und regierungs­kritischen HDP vor, politische­r Arm der PKK zu sein. Etliche Abgeordnet­e und Parteimitg­lieder sind in Haft.

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[ Reuters ] Ein schwierige­r Besuch: die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, bei der Pressekonf­erenz mit dem türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan.˘

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