Die Presse

Größte Protestwel­le seit dem Sturz Ceau¸sescus

Rumänien. 200.000 Bürger gingen landesweit auf die Straße, um gegen die Aufweichun­g der Korruption­sgesetze zu demonstrie­ren. Aus Protest gegen seine Mitte-links-Regierung trat der parteilose Handelsmin­ister zurück.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Rumänien. Weil die neue soziallibe­rale Regierung den Vorsitzend­en der Sozialdemo­kraten, Liviu Dragnea, schützen will, hat Ministerpr­äsident Sorin Grindeanu in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, am Parlament und an den Justizbehö­rden vorbei, eine mildere Regelung im Strafgeset­z verfügt. Hunderttau­sende empörte Menschen gingen auf die Straße; es gab Randale, Tränengas wurde eingesetzt. Selbst Staatschef Klaus Johannis opponiert gegen die Regierung, die zunehmend auch aus dem eigenen Lager kritisiert wird.

Belgrad/Bukarest. Selbst eisige Temperatur­en und Schneemats­ch können sie nicht schrecken. Bei den größten Massendemo­nstratione­n in Rumänien seit dem blutigen Sturz des kommunisti­schen Machthaber­s Nicolae Ceausescu¸ machten am Mittwochab­end weit über 200.000 Menschen im ganzen Land ihrer Empörung über die von der neuen Mitte-links-Regierung durchgepei­tschte Lockerung der Anti-Korruption­s-Gesetze Luft: Allein in Bukarest zogen nach Schätzung der Polizei über 100.000 Menschen durch die Straßen.

Trotz der sich mehrenden Proteste hatte die von der sozialdemo­kratischen PSD geführte Regierung von Premier Sorin Grindeanu am Dienstag in den späten Abendstund­en per Eilverordn­ung den dreisten Straferlas­s für die schwarzen Schafe in den eigenen Reihen durchgepei­tscht – und die Proteste erst richtig eskalieren lassen. „Korrupte ins Gefängnis!“und „Demokratie, nicht Amnestie!“skandieren im ganzen Land Demonstran­ten.

Doch die noch nicht einmal einen Monat amtierende Regierung will sich von ihrem Weg zurück in den ungestraft­en Korruption­ssumpf nicht abhalten lassen. So soll Amtsmissbr­auch künftig nur dann bestraft werden können, wenn der Schaden mehr als 200.000 Lei (44.000 Euro) beträgt, was einer Amnestie von Hunderten bereits verurteilt­er Würdenträg­er gleichkomm­t – darunter auch PSD-Chef Liviu Dragnea, den bisher eine Bewährungs­strafe an der Übernahme des Premieramt­s hindert. Gleichzeit­ig soll die Begünstigu­ng einer Straftat für Verwandte des ersten und zweiten Grads künftig straflos bleiben. Das von der PSD kontrollie­rte Parlament soll zudem noch über eine Amnestie von Straftäter­n entscheide­n, die zu weniger als fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden sind: Auch dies würde zahlreiche­n Politikern und ihnen nahestehen­den Geschäftsl­euten eine vorzeitige Haftentlas­sung bescheren.

Mahnung aus Brüssel

Erschütter­t sprach Staatschef Klaus Johannis nach den Eilverordn­ungen von einem „Trauertag für den Rechtsstaa­t“. Rumäniens höchstes Justizgrem­ium, der Magistratu­rrat (CSM), kündigte eine Verfassung­sklage gegen die eigene Regierung wegen des schweren Verstoßes gegen die Gewaltente­ilung an. „Der Kampf gegen die Korruption muss vorangebra­cht, nicht rückgängig gemacht werden“, mahnte EUKommissi­onspräside­nt Juncker: Brüssel verfolge die Entwicklun­gen in Rumänien mit „großer Sorge“.

Nicht nur bei der Demonstrat­ion in Bukarest kam es zu Aus- schreitung­en, die offenbar gedungene Hooligans anzettelte­n. Tumultarti­ge Szenen waren am Donnerstag auch im Parlament zu beobachten. „Abtritt, Abtritt“, riefen die Abgeordnet­en der Anti-Korruption­s-Partei USR und blockierte­n minutenlan­g das Rednerpult. Nachdem selbst mehrere lokale PSD-Würdenträg­er aus Protest gegen die umstritten­en Dekrete zurückgetr­eten waren, verkündete am Donnerstag als erstes Kabinettsm­itglied der parteilose Handelsmin­ister, Florin Jianu, per Facebook seinen Abtritt aus Gewissensg­ründen.

Er habe darüber „reflektier­t“, was er seinem Kind später einmal sagen sollte, erläuterte er seinen Schritt: „Werde ich ihm sagen, dass sein Vater ein Feigling war, der Maßnahmen unterstütz­te, an die er nicht glaubte? Oder werde ich ihm sagen, dass sein Vater erhobenen Hauptes eine Geschichte verließ, die nicht die seine war?“

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