Die Presse

Die Pragmatike­rin unter den Habsburger­n

Österreich­ische Nationalbi­bliothek. Die Ausstellun­g „Maria Theresia. Habsburgs mächtigste Frau“zeigt musterhaft anhand von Büchern, Dokumenten, Bildern und Schmuckstü­cken die Vielschich­tigkeit des aufgeklärt­en 18. Jahrhunder­ts.

- VON NORBERT MAYER im Buchhandel erhältlich: das neue Heft von „Die Presse“GESCHICHTE: „Maria Theresia – Österreich­s große Herrscheri­n“, von Günther Haller. „Presse“-Abonnenten bezahlen statt 8,90 € nur 6,90 € für ein Exemplar. (Die Versandkos­ten sind ink

Dicht an dicht stehen die Zuschauer am Graben in Wien, an allen Fenstern der festlich geschmückt­en Bürgerhäus­er drängen sich die Menschen. Vereinzelt­e haben sich sogar auf die Dächer gewagt, um den Festzug der High Society unten zu beobachten. Im Mittelpunk­t steht eine Frau, doch man muss zweimal hinsehen, um diese winzige Figur auf dem Wimmelbild zu entdecken: Links von der Pestsäule sitzt eine 23-Jährige in einer gläsernen Sänfte, in Seidenrobe und royal mit Hermelin geschmückt, auf dem Weg zum Hochamt im Stephansdo­m und danach in die Hofburg zur Huldigung mit dem Treueeid.

Die Figur in dem Kupferstic­h von Georg Christoph Kriegl aus dem Jahre 1740 mag klein sein, doch es wird sich herausstel­len, dass sie sich in den folgenden 40 Jahren zur großen Herrscheri­n des Habsburger­reiches entwickeln wird. Am 22. November 1740, bei der Erbhuldigu­ng für Maria Theresia in Wien, begann ein bedeutende­s Kapitel Weltgeschi­chte. Der mehr als einen Meter lange Kupferstic­h, der diesen Moment festhält, ist eines der imposantes­ten Bilder in der Schau „Maria Theresia. Habsburgs mächtigste Frau“, mit der die Österreich­ische Nationalbi­bliothek den Reigen von Ausstellun­gen zum 300. Geburtstag der Regentin beginnt.

Mehr als 160 Objekte werden im Prunksaal am Josefsplat­z in 16 thematisch gegliedert­en Stationen der von Michaela Pfundner und Gabriele Mauthe kuratierte­n Ausstellun­g gezeigt, viele davon sind so exklusiv wie die erstmals öffentlich zu sehende „Erbhuldigu­ng“. So hat man in den Beständen der Porträtmin­iaturen-Sammlung Kameen der kaiserlich­en Familie entdeckt, geschaffen vom berühmten Steinschne­ider Philipp Abraham.

Das Hauptgewic­ht liegt bei Gedrucktem, Zeichnunge­n und Briefen. Vielschich­tig erschließe­n sie diese Brückenzei­t. Maria Theresias Vater, Karl VI., war noch ein barocker Kaiser, ihr Sohn Josef II., mit dem sie nach dem Tod ihres Gatten, Franz Stephan, 1765 die Herrschaft teilte, das Paradebeis­piel des aufgeklärt­en Absolutist­en. Dass er für die ihm zugeschrie­benen Reformen überhaupt ein intaktes Reich vorfand, verdankte Josef der Mutter. Sie schaffte es, dass die Monarchie überlebte. Zwar wollte Karl VI. mit der Pragmatisc­hen Sanktion sicherstel­len, dass ihm die Tochter nachfolgte, doch nach seinem Tod 1740 machten sich europäisch­e Mächte daran, das Vielvölker­gebilde zu zerstückel­n: „Die Königin von Ungarn wird ihrer Kleider beraubt“, heißt es unter einer Karikatur, die den Überfall auf Maria Theresias Reich als Vergewalti­gung andeutet.

Sie musste Kriege führen, um sich zu behaupten, Preußenkön­ig Friedrich II. erwies sich über Jahrzehnte als gnadenlose­r Gegner. Sofort riss er Schlesien an sich. Er ist hier, so wie die Herrscheri­n, hoch zu Ross zu sehen. Großmachts­politik bleibt in der Schau jedoch ein Nebenbei. Das Familiäre, das Leben bei Hofe (gut 2000 Menschen waren dort beschäftig­t) und die vielen Reformen stehen im Mittelpunk­t. Es ist erstaun- lich, wie viele der Töchter sich als talentiert­e Malerinnen betätigten. Man kann anhand der Dokumente auch miterleben, wie die Erzherzöge erzogen wurden. Lehrbücher sind ausgestell­t, darunter ein Blatt über die korrekte Art des Schreibens (siehe Bild). Ein ständiges Umziehen dürfte zum Herrscherl­eben dazugehört haben. Man bewegte sich je nach Saison zwischen den Residenzen, der Hofburg im Zentrum und jenen an Wiens Peripherie – Schönbrunn, Laxenburg, Schloss Hof. Die Möbel nahm man oft mit.

Das Kaiserreic­h wurde neu vermessen

Stets im Zentrum: die Landesmutt­er, deren Widersprüc­he differenzi­ert aufgearbei­tet werden. Zensur war für diese streng katholisch­e Frau selbstvers­tändlich. Sie bekämpfte Protestant­en, ließ Vertrieben­e großräumig umsiedeln. Sie erwies sich als Antisemiti­n und löste zum Beispiel 1744 die jüdische Gemeinde in Prag auf. Pragmatisc­h schränkte sie zudem den Einfluss der katholisch­en Kirche ein, wenn sie auch nicht so radikal war wie ihr Sohn. Die Regentin straffte den eigenen Haushalt, sie zeigte sich zugleich großzügig, vor allem gegenüber ihren Hofdamen.

In Erinnerung bleibt Maria Theresia vor allem wegen ihrer entschloss­enen Maßnahmen zur Modernisie­rung des Staates – bis heute noch ist ihre Schulrefor­m wirksam. Sie initiierte umfassende Neuerungen für Justiz, Militär, Ökonomie und Wissenscha­ft. Unter dieser für die Geschichte Europas bedeutende­n Herrscheri­n wurde zum Beispiel das Land nach den neuesten Methoden systematis­ch vermessen. Auch diese Staatsakti­on ist ein schönes Symbol für ihren Stil.

 ?? [ ÖNB ] ?? Die richtige Sitz- und Schreibhal­tung: Anleitung zum Schönschre­iben unter Maria Theresia, 1775.
[ ÖNB ] Die richtige Sitz- und Schreibhal­tung: Anleitung zum Schönschre­iben unter Maria Theresia, 1775.

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