„Tabak“aus Buchenlaub und Gras
Februar 1917. Im Kriegswinter machen sich Not und Elend bemerkbar. Die Kronländer beliefern die Reichshaupt- und Residenzstadt kaum mehr mit Grundnahrungsmitteln.
In unserer Erzählung über den Ersten Weltkrieg halten wir nun im Februar 1917 an. Seit der jüngsten Folge in der „Welt bis gestern“hat sich viel getan. Ab dem 21. November 1916, als Franz Joseph den letzten Atemzug getan hatte, war der Thronfolger Erzherzog Karl von Gesetzes wegen Kaiser. In Österreich, also den „Im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern“war eine formelle Krönung nicht notwendig. Doch die Ungarn legten großen Wert darauf, ihren Apostolischen König mit dem Namen IV. Karoly´ auch ordnungsgemäß zu krönen und zu salben. Am 30. Dezember 1916 ging die heilige Handlung mit allem Pomp über die Bühne. Das Foto von Karl, seiner Frau Zita (die ebenso gekrönt ward) und dem vierjährigen blondgelockten Kronprinzen Otto ist berühmt und gehört zum Geschichtskanon Österreichs.
Es sollte das letzte großartige Spektakel der Doppelmonarchie in diesem Kriege sein. Denn im Lande, das nun seit August 1914 Krieg führte, herrschten Mangel und Elend. Schon beim Einbringen der Ernte 1916 habe sich der Engpass abgezeichnet, berichtet Manfried Rauchensteiner in seinem Opus magnum „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“(Böhlau, 2013). Das Kriegsministerium errechnete in einem Bericht an die beiden Ministerpräsidenten der zwei Reichshälften ge- waltige Fehlmengen, vor allem beim Brotgetreide. Eineinhalb Millionen Zentner waren es damals. Der österreichische Ministerpräsident Ernest von Koerber installierte zwar ein Amt für Volksernährung, aber wo keine Vorräte, dort hatte die Behörde ihr Recht verloren: Statt Höchstpreise festzusetzen, versuchte man es mit Beschlagnahmungen.
Ab Ende 1916 wurden nicht nur Ersatzstoffe, sondern auch Futtermittel, Rüben, Heu und Stroh streng bewirtschaftet, berichtet Rauchensteiner. Aus den landwirtschaftlich reichen Kronländern gelangten immer weniger Nahrungsmittel in den österreichischen Teil der Monarchie. Jetzt war sich jeder selbst der Nächste.
Mit Mais versuchten die ungarischen Müller das Brotgetreide zu strecken. Sie mussten nicht nur an die Hauptstadt Wien liefern, sondern hatten auch noch die Last vieler Flüchtlinge aus Siebenbürgen zu tragen. Und ständig verteuerten sich daher die Grundnahrungsmittel.
Nicht nur Reis war bald unerschwinglich. Das Kriegsbrot wurde verzweifelt mit Gersten-, Mais- und Kartoffelmehl gestreckt; Hafer, Bohnen und sogar Kastanien wurden beigemengt, ebenso Wurzeln und Gräser.
„Kaffee war ein Ersatz aus Zichorien oder Eicheln“, heißt es bei Rauchensteiner, „für Tabak waren mittlerweile 72 Streckmittel gefunden worden. Besonders empfohlen wurde eine Kriegsmischung, die aus 20 Prozent Tabak, 40 Prozent Buchenlaub und 40 Prozent Hopfen zusammengesetzt war . . .“
Die Kriegsgegner nahmen dies alles sehr genau zur Kenntnis und meldeten es in die Heimat. So berichtete ein englischer Informant, dass im Riesengebirge die Bevölkerung zu arm sei, um die Ablieferungsquoten zu erfüllen. Da ging es um Rinder, Eier und Hühner. Selbst Schuhe wurden rar, Wolle sowieso. Also wurden Wollreste gesammelt. Die Städter brachen zu Hamsterfahrten in das Umland auf. In Prag tauschten die Hausfrauen Kleider, Schuhe und sogar Haare für einen Sack Kartoffeln.
Fleischhauer, die außer an den drei erlaubten Tagen etwas verkauften, wurden ebenso schwer bestraft wie die Kunden. Der Verkauf von Brot und Backwaren in Cafes´ und Restaurants war verboten. Bier kostete dreimal so viel wie vor dem Krieg. Für den jungen Kaiser Karl I. wurde die Situation unerträglich. Er suchte nach einem Ausweg.