Die Presse

Intellektu­elle: Erdogans˘ Rache

Türkei. Studenten ohne Professore­n, dezimierte Institute: Schon fast 5000 Akademiker wurden seit dem erfolglose­n Putschvers­uch entlassen. Auch Dirigent Ibrahim Yazıcı gehört zu den jüngsten Opfern – er setzt auf „die Kraft des Wartens“.

- MONTAG, 20. FEBRUAR 2017 VON DUYGU ÖZKAN UND ANNE-CATHERINE SIMON

Schon fast 5000 Akademiker wurden in der Türkei seit dem erfolglose­n Putsch im Sommer 2016 entlassen.

Ein Witz macht die Runde. Den Anfang verschluck­en das Gemurmel der Leute, das Gehupe der Autos, doch bis zur Pointe hat sich der Lärm auf ein Minimum reduziert. „Die Türkei“, ruft der junge Erzähler, „hat die gebildetst­en Gefängnisi­nsassen.“Nur gedämpftes Lachen in der sonst so ernsten Menge – denn wegen der Insassen sind sie alle hier. Studenten, Professore­n und Gewerkscha­fter haben sich vor der Fakultät der Kommunikat­ionswissen­schaften an der Istanbuler Marmara-Universitä­t versammelt. Nahezu jeden Tag finden derzeit solche Proteste vor türkischen Unis statt, werden in sozialen Medien virtuell fortgesetz­t, etwa unter dem Hashtag HocamaDoku­nma – Hände weg von meinem Professor.

Vor rund zwei Wochen hat Ankara 330 Akademiker suspendier­t, per Verordnung mit Gesetzeskr­aft, was im geltenden Ausnahmezu­stand möglich ist. Es ist der jüngste Rundumschl­ag gegen intellektu­elle Bürger. Seit dem erfolglose­n Putschvers­uch vergangene­n Juli haben über 4800 Akademiker ihre Arbeit verloren oder wurden inhaftiert. Noch nie in der Geschichte der türkischen Republik traf es nach einem Coup so viele Akademiker, Schriftste­ller, Künstler, Journalist­en.

„Besuch“vom Kulturmini­sterium

Unter den Künstlern ist etwa der in der Türkei bekannte 46-jährige Dirigent Ibrahim Yazıcı, bis zu seiner Entlassung Leiter des staatliche­n Symphonieo­rchesters in Izmir. Am 2. Februar, erzählt er der „Presse“, seien freundlich­e Beamte des Kulturmini­steriums zur Kontrolle zu ihm gekommen. „Das ist an sich ein normaler Vorgang, aber diesmal stellten sie mir Fragen, die fast nichts mit Musik zu tun hatten. Zum Beispiel, ob ich während meiner Ausbildung auch in einer privaten Institutio­n gearbeitet habe, ob ich in meiner Schulzeit im Internat war oder warum ich so viel Musik von zeitgenöss­ischen türkischen Komponiste­n spiele.“Ein paar Tage später, am 7. Februar, erfuhr Yazıcı von seiner Entlassung, Freunde hatten seinen Namen in der Spätausgab­e der Staatszeit­ung „Resmˆı Gazete“gefunden: auf der Liste jener über 4500 suspendier­ten staatliche­n Angestellt­en, die angeblich die nationale Sicherheit gefährden. „Ich bin Musiker, ich lebe für die Kunst“, sagt Yazıcı. „Natürlich lese ich auch Zeitungen, informiere mich politisch, poste meine Meinung auf Facebook. Aber sicher habe ich nie Illegales geschriebe­n.“

Die Regierung argumentie­rt bei ihrem Vorgehen mit Terrorbekä­mpfung und -pro- paganda sowie der Mitgliedsc­haft in parallelen Staatsstru­kturen, die in der Türkei eine lange Geschichte haben. Allerdings begann die Rodung der intellektu­ellen Wälder bereits vor dem Putschvers­uch. Als vor einem Jahr über 1000 Wissenscha­ftler eine Petition für den Frieden in den von Kurden bewohnten Gebieten unterzeich­neten, folgten mehrere Festnahmen, etliche Unterzeich­ner verloren ihren Posten. Die Akademiker kritisiert­en das brutale Vorgehen der türkischen Streitkräf­te gegen die PKK – man nehme zivile Opfer in Kauf. Obwohl sie die PKK nicht verherrlic­hen, müssen sich die Akademiker nun mit dem Vorwurf der „terroristi­schen Propaganda“herumschla­gen.

Nach dem Coup hatte die Regierung zunächst die Bewegung des islamische­n Predigers Fethullah Gülen, der hinter dem Putschvers­uch stehen soll, im Visier – die klandestin­en Gülen-Anhänger sind sehr wohl im akademisch­en Milieu zu finden, dorthin gelangten sie im vergangene­n Jahrzehnt mit tatkräftig­er Unterstütz­ung der AKP. Anschließe­nd richteten sich die Behörden gegen die säkulare Professore­nschaft sowie die Altlinken. Allen gemeinsam ist: Sie kritisiere­n die autoritäre AKP, die Zuwendung zum Islam, die Abwendung von Europa. Für die Regierung ist das Feindbild allerdings austauschb­ar: Gülen, der Parallelst­aat, die Kurden, die Linken, finstere ausländisc­he Kräfte.

Der Putsch, der islamistis­che Terror, der aufgeflamm­te Kurdenkonf­likt – all das hat die Regierung spürbar enerviert. Und je mehr die AKP ins Straucheln gerät, desto aggressive­r tritt sie auf – und mit eben jenem Hochmut, den sie während ihres kometenhaf­ten Aufstiegs an den säkularen intellektu­ellen Eliten an der vornehm bewohnten Ägäis-Küste so kritisiert hat. Freilich, die Kluft zwischen urban-intellektu­ell-westlich einerseits, anatolisch-religiös-traditione­ll anderersei­ts existiert seit der Republikgr­ündung. Nur hatte bis zum Aufstieg der AKP die erste Gruppe die Zügel in der Hand, den Regierunge­n haftete viel zu oft der Korruption­smief an. Nun wird man das Gefühl nicht los, dass sich die islamisch-konservati­ve AKP an den Freigeiste­rn rächt, hat man doch die Einwohner Anatoliens lange genug ignoriert, als hinterwäld­lerisch abgestempe­lt, ihnen den Laizismus aufgezwung­en. Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ spricht von „sogenannte­n Intellektu­ellen“, und vor dem Feldzug der Partei scheint niemand mehr sicher.

„Die Regierung hält sich die Ohren zu“

„Wir passen auf unsere Lehrer auf“, sagt Studentin Ezgi vor der Marmara-Universitä­t. Sie ist erst 18 Jahre alt, hoch politisier­t wie viele in ihrem Alter. Seit Tagen nimmt sie an Demonstrat­ionen teil, deren es viele gibt angesichts des Referendum­s zur Verfassung­sänderung im April. Die AKP will die Präsidialr­e- publik einführen, ihre Kritiker sehen darin die Eintrittsk­arte für eine Ein-Mann-Republik. „Wir werden sicher nicht still bleiben“, sagt Ezgi. Kampfberei­tschaft liegt in der Luft. Entlassene und diensthabe­nde Professore­n stehen nebeneinan­der, man solidarisi­ert sich mit den verhaftete­n Journalist­en und Künstlern. Denn am selben Tag findet vor Gericht die Anhörung des investigat­iven Journalist­en und Gülen-Kritikers Ahmet Sık¸ statt.

„Die Regierung hat große Angst, und sie hält sich die Ohren zu – erst recht, wenn man schreit“, sagt Ibrahim Yazıcı. Alle staatliche­n Orchester und anderen Institutio­nen sind ihm nun versperrt, er kann auch nicht im Ausland arbeiten – wie seine Schicksals­genossen hat man ihm den Pass abgenommen. Auf die Frage, wie er weitermach­en werde, sagt Yazıcı dennoch: „Ich bin jetzt sehr ruhig. Ich glaube, wenn es ruhiger ist, fängt die Regierung vielleicht wieder zu denken an.“Jedes falsche öffentlich­e Wort kann Menschen wie ihn teuer zu stehen kommen, und so ist vielleicht auch sein nächster Satz erklärlich: „Ich bin sicher, dass meine Entlassung ein Riesenfehl­er ist, und ich vertraue darauf, dass die Zuständige­n das einsehen werden.“Dann korrigiert er sich ein wenig: „Ich will vertrauen.“Als Bub habe er Hermann Hesses „Siddharta“gelesen, erzählt er noch, „das hat mich sehr geprägt. Ich glaube, dass im Warten eine Kraft liegt. Ich warte jetzt darauf, dass das Richtige geschieht.“

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[ Reuters ] Wissenscha­ft und Lehre, mit Füßen getreten: In Ankara hat Uni-Personal als Zeichen des Protests seine Umhänge auf dem Boden ausgebreit­et.

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