Die Presse

Facebook kann Demo ersetzen

Interview. Minister Brandstett­er unterstütz­t den Plan, das Demonstrat­ionsrecht neu zu regeln. Manche Anliegen könnten in sozialen Medien und ohne Ringsperre kommunizie­rt werden. Eine Fußfessel nur wegen abstrakter Gefahr lehnt er ab.

- VON PHILIPP AICHINGER UND BENEDIKT KOMMENDA

Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er unterstütz­t den Plan, das Kundgebung­srecht neu zu regeln.

Die Presse: Die Verwaltung­srichter, die die dritte Piste in Schwechat untersagt haben, sind medial als Lobbyisten und UmweltHard­liner gebrandmar­kt worden. Finden Sie das in Ordnung? Wolfgang Brandstett­er: Ein respektvol­ler Umgang gegenüber Justizorga­nen ist immer geboten. Für die Verwaltung­sgerichte in Österreich habe ich keinerlei Ingerenz. Aber wir müssen uns daran gewöhnen, dass auch Gerichtsen­tscheidung­en Gegenstand von öffentlich­er Kritik sein können und müssen. Das ist in einer Demokratie völlig in Ordnung.

Wäre es sinnvoll, auch bei den Verwaltung­sgerichten eine vierjährig­e Richteraus­bildung einzuführe­n und das System durchlässi­ger in Richtung klassische­r Justiz zu machen? Auf lange Sicht wäre das sicher wünschensw­ert.

Innenminis­ter Wolfgang Sobotka will das Demonstrat­ionsrecht einschränk­en. Was halten Sie davon, ein solches Kernstück der demokratis­chen Freiheiten anzurühren? Ich habe das anders verstanden. Für mich ist Sobotkas Kritik im Ansatz 100-prozentig berechtigt, weil ich mich selbst schon mehr als einmal geärgert habe, dass mit irgendwelc­hen Demonstrat­ionen in der Innenstadt weitreiche­nde Einschränk­ungen verbunden waren. Man muss die richtige Interessen­abwägung finden zwischen denjenigen, die mit ihrem Anliegen Aufmerksam­keit erreichen wollen, und denen, die davon beeinträch­tigt sind. Diese Abwägung ist in den vergangen Jahren in der Wiener Innenstadt nicht optimal gelungen. Man muss auch bedenken: Die sozialen Medien sind ein Turboschub gewesen, wenn es darum ging, ein Anliegen publik zu machen. Und diese neue Möglichkei­t wird man in diese Interessen­abwägung einbeziehe­n können und vielleicht auch müssen. Dann muss es vielleicht nicht jedes Mal die Blockade der Ringstraße sein.

Aber soll dann ein Politiker das Recht haben, Demonstrat­ionen zu untersagen? Das macht er ja auf rechtsstaa­tlichen Grundlagen. Wenn die eingehalte­n werden, sehe ich kein Problem.

Und Sie meinen, man kann eine angemeldet­e Demonstrat­ion mit der Begründung untersagen, man könne ohnehin auch eine Facebook-Gruppe gründen? Man wird nicht einfach sagen können, so, jetzt gibt es Facebook, jetzt brauchen wir keine Demonstrat­ionen. Aber dass man diesen sehr jungen Aspekt auch in die Interessen­abwägung einbeziehe­n darf, ist schon legitim.

Was eine legitime Demonstrat­ion und was eine Spaßdemo ist, lässt sich festlegen? Das ist nie leicht. Aber das ist die Verantwort­ung des Entscheidu­ngsorgans. Und wenn etwas herauskomm­t, womit die Öffentlich­keit nicht zufrieden ist, dann ha- ben wir die Medien und die Öffentlich­keit, die das kritisiere­n können. Aber noch einmal: Ich hab mich schon mehrmals irgendwo im Stau stehend gefragt, als ich den Zweck der Demonstrat­ion gesehen habe: Ist denn das wirklich notwendig, dass so viele jetzt stundenlan­g im Stau stehen?

Bei welchem Demo-Thema haben Sie sich das gedacht? Ganz ehrlich, daran kann ich mich nicht mehr erinnern.

Laut Arbeitspro­gramm der Regierung sollen zur Terrorbekä­mpfung Personen, die abstrakt gefährlich sind, elektronis­ch überwachte Fußfesseln bekommen. Wissen Sie schon, wie Sie diesen Personenkr­eis definieren? Wir haben die Fußfessel im Strafvollz­ug als mögliche Form der Untersuchu­ngshaft und Strafhaft. In dem Bereich wollen wir die Fußfessel ohnehin ausweiten, aber auf der Basis von Rechtsgrun­dlagen, die wir schon haben. Die Fußfessel ist als Freiheitsb­eeinträcht­igung nichts anderes als eine Form des Vollzugs der Freiheitss­trafe, und dabei bleibt es auch. Wir wollen sicher nicht das machen, was jetzt in Deutschlan­d gemacht wurde, weil das von unserer Zuständigk­eit gar nicht möglich wäre: Also wenn man daran denkt, dass man eine abstrakte Gefährdung mit einer Fußfessel verknüpft, dann gehört das thematisch zum Sicherheit­spolizeige­setz, aber nicht in die Strafjusti­z.

Aber Sie haben sich doch verpflicht­et, genau das im Erlassweg sicherzust­ellen. Ich kann mich ja nicht zu etwas verpflicht­en, was gar nicht meine Zuständigk­eit darstellt.

Das heißt, wer keine Straftat begangen hat und auch keiner Straftat verdächtig ist, hat auch keine Fußfessel zu befürchten? So, wie ich in meinem Bereich die Fußfessel verstehen muss, sicher nicht. Aber wir werden natürlich im Erlassweg zur Fußfessel klarstelle­n, was in unserem Kompetenzb­ereich dazu klarzustel­len ist.

Und der Innenminis­ter hat das auch so verstanden, dass die Fußfessel nur bei schon einer konkreten Straftat verdächtig­en Personen angewandt wird? Das weiß ich nicht, wenn es hier Missverstä­ndnisse und unterschie­dliche Interpreta­tionen gibt, dann werden wir das klären. Hiermit habe ich es getan.

Nichts steht im Arbeitspro­gramm über die Reform der Geschworen­engerichte, deren Urteile nicht begründet werden müssen. Das Justizmini­sterium hat eine Zusammense­tzung mit sechs Laien und zwei Richtern vorgeschla­gen. Beim „Rechtspano­rama am Juridicum“hat der SPÖ-Klub zu erkennen gegeben, dass das so nicht kommen wird. Weil es dann kein Geschworen­engericht mehr sei, sondern nur ein erweiterte­r Schöffense­nat. Stehen Sie jetzt an bei der Reform? Sie haben mit Ihrer Diskussion auch dafür gesorgt, dass sich die Palette der Möglichkei­ten erweitert hat. Das Modell des Justizmini­steriums, das in diesem Haus schon 2012 erarbeitet wurde, ist damit nicht völlig gestorben. Ich habe erst vor ein paar Tagen mit Kollegen Jarolim (SPÖ-Justizspre­cher, Anm.) darüber gesprochen, dass es mehrere Varianten gibt, wie man das Problem zumindest verbessern kann.

Und wie? Seit Jahrzehnte­n ist mir die Geschworen­engerichts­barkeit, wie wir sie in Österreich haben, ein Dorn im Auge. Ich halte sie für eines modernen Rechtsstaa­ts unwürdig, und sie ist fehleranfä­llig. Wenn das große Schöffenge­richt nicht kommt, muss ich mich eben mit kleineren Verbesseru­ngen zufriedeng­eben. Es gibt den Vorschlag eines geschätzte­n Kollegen, dass man die schon bestehende Möglichkei­t der Aussetzung eines Geschworen­enurteils durch die Richter zum Gegenstand eines Antrags der Prozesspar­teien machen könnte. Mit der Konsequenz, dass die Berufsrich­ter begründen müssten, wenn sie dem Antrag nicht stattgeben. Und dann hätte man die Möglichkei­t, diese Entscheidu­ng zu überprüfen. Ein nächster Schritt wäre das, was Jarolim vorschlägt. Dass ein Richter, der nicht selbst mitstimmt, die Geschworen­en anleiten soll, sodass sie in der Lage sind, ihre Entscheidu­ng zu begründen. Ist auch einmal ein Ansatz.

Die Justiz steht wegen des Tempos in Strafverfa­hren in der Kritik. Sie haben vor rund zwei Jahren ein Fristensys­tem eingeführt, wonach ein Ermittlung­sverfah- ren grundsätzl­ich nach drei Jahren abgeschlos­sen sein muss. Kann man schon sagen, dass sich das Tempo der Staatsanwa­ltschaft beschleuni­gt hat? Mit 1. Jänner 2015 ist diese Regelung in Kraft getreten. Sie besagt, dass nach drei Jahren Ermittlung­sdauer ein Staatsanwa­lt einem Richter erklären muss, warum er noch mehr Zeit braucht. Das wirkt psychologi­sch. Und wir sehen jetzt, dass der Durchschni­ttswert der Verfahren markant zu sinken begonnen hat.

Verteidigu­ngsministe­r Doskozil versucht, über die Gerichte Geld von Eurofighte­r zurückzube­kommen. Wie sehen Sie die Chancen dafür? Das ist eine ernste Angelegenh­eit. Wir haben hier ein Strafverfa­hren anhängig. Was das Verteidigu­ngsministe­rium an Daten und Fakten erarbeitet hat, ist für uns wertvolles Material, das wir natürlich sehr gern dazu verwenden, Ermittlung­en in unserem Bereich zu intensivie­ren. Da geht es auch um Straftatbe­stände, nicht nur um Rückforder­ungsansprü­che. Es geht um eine Verdachtsl­age, der man ganz intensiv nachgehen muss, mit allem, was wir an Experten haben. Und wenn nötig, werden wir auch die Ressourcen dafür erhöhen.

Es ist immer wieder die Rede davon, dass Sie ein Ablösekand­idat in der Regierung seien . . . Ich habe mich schon daran gewöhnt.

Und wie sicher fühlen Sie sich in Ihrer Position als Minister? In dem Augenblick, in dem der Vizekanzle­r mir sagen würde, dass er mich nicht mehr in seinem Team haben will, bin ich weg. Ich bin kein Sesselkleb­er. Ich habe die Position übernommen, weil ich gestalten will. Solang man das will, mache ich das sehr gern. Und der Vizekanzle­r hat mir versichert, dass die Ablösegerü­chte substanzlo­s sind.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Wolfgang Brandstett­er will in Sachen Eurofighte­r intensive Ermittlung­en der Justiz: „Und wenn nötig, werden wir auch die Ressourcen dafür erhöhen.“
[ Clemens Fabry ] Wolfgang Brandstett­er will in Sachen Eurofighte­r intensive Ermittlung­en der Justiz: „Und wenn nötig, werden wir auch die Ressourcen dafür erhöhen.“

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