Facebook kann Demo ersetzen
Interview. Minister Brandstetter unterstützt den Plan, das Demonstrationsrecht neu zu regeln. Manche Anliegen könnten in sozialen Medien und ohne Ringsperre kommuniziert werden. Eine Fußfessel nur wegen abstrakter Gefahr lehnt er ab.
Justizminister Wolfgang Brandstetter unterstützt den Plan, das Kundgebungsrecht neu zu regeln.
Die Presse: Die Verwaltungsrichter, die die dritte Piste in Schwechat untersagt haben, sind medial als Lobbyisten und UmweltHardliner gebrandmarkt worden. Finden Sie das in Ordnung? Wolfgang Brandstetter: Ein respektvoller Umgang gegenüber Justizorganen ist immer geboten. Für die Verwaltungsgerichte in Österreich habe ich keinerlei Ingerenz. Aber wir müssen uns daran gewöhnen, dass auch Gerichtsentscheidungen Gegenstand von öffentlicher Kritik sein können und müssen. Das ist in einer Demokratie völlig in Ordnung.
Wäre es sinnvoll, auch bei den Verwaltungsgerichten eine vierjährige Richterausbildung einzuführen und das System durchlässiger in Richtung klassischer Justiz zu machen? Auf lange Sicht wäre das sicher wünschenswert.
Innenminister Wolfgang Sobotka will das Demonstrationsrecht einschränken. Was halten Sie davon, ein solches Kernstück der demokratischen Freiheiten anzurühren? Ich habe das anders verstanden. Für mich ist Sobotkas Kritik im Ansatz 100-prozentig berechtigt, weil ich mich selbst schon mehr als einmal geärgert habe, dass mit irgendwelchen Demonstrationen in der Innenstadt weitreichende Einschränkungen verbunden waren. Man muss die richtige Interessenabwägung finden zwischen denjenigen, die mit ihrem Anliegen Aufmerksamkeit erreichen wollen, und denen, die davon beeinträchtigt sind. Diese Abwägung ist in den vergangen Jahren in der Wiener Innenstadt nicht optimal gelungen. Man muss auch bedenken: Die sozialen Medien sind ein Turboschub gewesen, wenn es darum ging, ein Anliegen publik zu machen. Und diese neue Möglichkeit wird man in diese Interessenabwägung einbeziehen können und vielleicht auch müssen. Dann muss es vielleicht nicht jedes Mal die Blockade der Ringstraße sein.
Aber soll dann ein Politiker das Recht haben, Demonstrationen zu untersagen? Das macht er ja auf rechtsstaatlichen Grundlagen. Wenn die eingehalten werden, sehe ich kein Problem.
Und Sie meinen, man kann eine angemeldete Demonstration mit der Begründung untersagen, man könne ohnehin auch eine Facebook-Gruppe gründen? Man wird nicht einfach sagen können, so, jetzt gibt es Facebook, jetzt brauchen wir keine Demonstrationen. Aber dass man diesen sehr jungen Aspekt auch in die Interessenabwägung einbeziehen darf, ist schon legitim.
Was eine legitime Demonstration und was eine Spaßdemo ist, lässt sich festlegen? Das ist nie leicht. Aber das ist die Verantwortung des Entscheidungsorgans. Und wenn etwas herauskommt, womit die Öffentlichkeit nicht zufrieden ist, dann ha- ben wir die Medien und die Öffentlichkeit, die das kritisieren können. Aber noch einmal: Ich hab mich schon mehrmals irgendwo im Stau stehend gefragt, als ich den Zweck der Demonstration gesehen habe: Ist denn das wirklich notwendig, dass so viele jetzt stundenlang im Stau stehen?
Bei welchem Demo-Thema haben Sie sich das gedacht? Ganz ehrlich, daran kann ich mich nicht mehr erinnern.
Laut Arbeitsprogramm der Regierung sollen zur Terrorbekämpfung Personen, die abstrakt gefährlich sind, elektronisch überwachte Fußfesseln bekommen. Wissen Sie schon, wie Sie diesen Personenkreis definieren? Wir haben die Fußfessel im Strafvollzug als mögliche Form der Untersuchungshaft und Strafhaft. In dem Bereich wollen wir die Fußfessel ohnehin ausweiten, aber auf der Basis von Rechtsgrundlagen, die wir schon haben. Die Fußfessel ist als Freiheitsbeeinträchtigung nichts anderes als eine Form des Vollzugs der Freiheitsstrafe, und dabei bleibt es auch. Wir wollen sicher nicht das machen, was jetzt in Deutschland gemacht wurde, weil das von unserer Zuständigkeit gar nicht möglich wäre: Also wenn man daran denkt, dass man eine abstrakte Gefährdung mit einer Fußfessel verknüpft, dann gehört das thematisch zum Sicherheitspolizeigesetz, aber nicht in die Strafjustiz.
Aber Sie haben sich doch verpflichtet, genau das im Erlassweg sicherzustellen. Ich kann mich ja nicht zu etwas verpflichten, was gar nicht meine Zuständigkeit darstellt.
Das heißt, wer keine Straftat begangen hat und auch keiner Straftat verdächtig ist, hat auch keine Fußfessel zu befürchten? So, wie ich in meinem Bereich die Fußfessel verstehen muss, sicher nicht. Aber wir werden natürlich im Erlassweg zur Fußfessel klarstellen, was in unserem Kompetenzbereich dazu klarzustellen ist.
Und der Innenminister hat das auch so verstanden, dass die Fußfessel nur bei schon einer konkreten Straftat verdächtigen Personen angewandt wird? Das weiß ich nicht, wenn es hier Missverständnisse und unterschiedliche Interpretationen gibt, dann werden wir das klären. Hiermit habe ich es getan.
Nichts steht im Arbeitsprogramm über die Reform der Geschworenengerichte, deren Urteile nicht begründet werden müssen. Das Justizministerium hat eine Zusammensetzung mit sechs Laien und zwei Richtern vorgeschlagen. Beim „Rechtspanorama am Juridicum“hat der SPÖ-Klub zu erkennen gegeben, dass das so nicht kommen wird. Weil es dann kein Geschworenengericht mehr sei, sondern nur ein erweiterter Schöffensenat. Stehen Sie jetzt an bei der Reform? Sie haben mit Ihrer Diskussion auch dafür gesorgt, dass sich die Palette der Möglichkeiten erweitert hat. Das Modell des Justizministeriums, das in diesem Haus schon 2012 erarbeitet wurde, ist damit nicht völlig gestorben. Ich habe erst vor ein paar Tagen mit Kollegen Jarolim (SPÖ-Justizsprecher, Anm.) darüber gesprochen, dass es mehrere Varianten gibt, wie man das Problem zumindest verbessern kann.
Und wie? Seit Jahrzehnten ist mir die Geschworenengerichtsbarkeit, wie wir sie in Österreich haben, ein Dorn im Auge. Ich halte sie für eines modernen Rechtsstaats unwürdig, und sie ist fehleranfällig. Wenn das große Schöffengericht nicht kommt, muss ich mich eben mit kleineren Verbesserungen zufriedengeben. Es gibt den Vorschlag eines geschätzten Kollegen, dass man die schon bestehende Möglichkeit der Aussetzung eines Geschworenenurteils durch die Richter zum Gegenstand eines Antrags der Prozessparteien machen könnte. Mit der Konsequenz, dass die Berufsrichter begründen müssten, wenn sie dem Antrag nicht stattgeben. Und dann hätte man die Möglichkeit, diese Entscheidung zu überprüfen. Ein nächster Schritt wäre das, was Jarolim vorschlägt. Dass ein Richter, der nicht selbst mitstimmt, die Geschworenen anleiten soll, sodass sie in der Lage sind, ihre Entscheidung zu begründen. Ist auch einmal ein Ansatz.
Die Justiz steht wegen des Tempos in Strafverfahren in der Kritik. Sie haben vor rund zwei Jahren ein Fristensystem eingeführt, wonach ein Ermittlungsverfah- ren grundsätzlich nach drei Jahren abgeschlossen sein muss. Kann man schon sagen, dass sich das Tempo der Staatsanwaltschaft beschleunigt hat? Mit 1. Jänner 2015 ist diese Regelung in Kraft getreten. Sie besagt, dass nach drei Jahren Ermittlungsdauer ein Staatsanwalt einem Richter erklären muss, warum er noch mehr Zeit braucht. Das wirkt psychologisch. Und wir sehen jetzt, dass der Durchschnittswert der Verfahren markant zu sinken begonnen hat.
Verteidigungsminister Doskozil versucht, über die Gerichte Geld von Eurofighter zurückzubekommen. Wie sehen Sie die Chancen dafür? Das ist eine ernste Angelegenheit. Wir haben hier ein Strafverfahren anhängig. Was das Verteidigungsministerium an Daten und Fakten erarbeitet hat, ist für uns wertvolles Material, das wir natürlich sehr gern dazu verwenden, Ermittlungen in unserem Bereich zu intensivieren. Da geht es auch um Straftatbestände, nicht nur um Rückforderungsansprüche. Es geht um eine Verdachtslage, der man ganz intensiv nachgehen muss, mit allem, was wir an Experten haben. Und wenn nötig, werden wir auch die Ressourcen dafür erhöhen.
Es ist immer wieder die Rede davon, dass Sie ein Ablösekandidat in der Regierung seien . . . Ich habe mich schon daran gewöhnt.
Und wie sicher fühlen Sie sich in Ihrer Position als Minister? In dem Augenblick, in dem der Vizekanzler mir sagen würde, dass er mich nicht mehr in seinem Team haben will, bin ich weg. Ich bin kein Sesselkleber. Ich habe die Position übernommen, weil ich gestalten will. Solang man das will, mache ich das sehr gern. Und der Vizekanzler hat mir versichert, dass die Ablösegerüchte substanzlos sind.