Die Presse

Der Hang zum Protektion­ismus

Die USA sind keine Ausnahmeer­scheinung. Die Angst vor ausländisc­her Konkurrenz, Freizügigk­eit und Freihandel wächst auch in Europa.

- E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

E s ist ein durchaus nachvollzi­ehbarer Gedanke, sich und die Seinen schützen zu wollen. In einer Umwelt, in der es unsicherer, instabiler und vor allem unkalkulie­rbarer geworden ist, umso mehr. Die einfache Antwort, die nicht nur USPräsiden­t Donald Trump, sondern auch zahlreiche Politiker in Europa dieser Tage geben, ist die Abschottun­g. Signale in diese Richtung werden auch von der heimischen Politik bis hinauf zum Bundeskanz­ler ausgesandt. Aber ist beispielsw­eise der Versuch, die eigene Produktion durch Strafzölle zu bevorzugen, den eigenen Arbeitsmar­kt vor Konkurrenz von Billigarbe­itskräften zu schützen, tatsächlic­h die langfristi­g richtige Lösung?

Seit den 1990er-Jahren galt in der Europäisch­en Union eines als sicher: Der gemeinsame Binnenmark­t sorgt für eine stabile Basis in unruhigen Zeiten der Globalisie­rung. Wenn zwei Drittel des Handels mit relativ ähnlich wohlhabend­en Partnern abgewickel­t werden, so hieß es, könnten externe Krisen besser abgefangen werden. Die vier Freiheiten des Binnenmark­ts (für Waren, Dienstleis­tungen, Kapital und Arbeitnehm­er) schienen so lang ein Garant für Ausgleich und Prosperitä­t, bis die Krise intern begann. Obwohl die Auswirkung­en der Finanz- und Schuldenkr­ise für Einzelpers­onen in Ländern wie Österreich kaum spürbar waren, wuchs die Skepsis, ob das Konstrukt noch hält. Die Flüchtling­skrise gab ihm den Rest.

Mit einem Mal ist das Schließen der Grenzen zum Allheilmit­tel gegen alle Ängste und wirtschaft­liche Verwerfung­en geworden. In der Schweiz wurde von einer Bevölkerun­gsmehrheit die Teilnahme am EU-Binnenmark­t aus Angst vor einer Massenzuwa­nderung infrage gestellt, in Großbritan­nien gleich ganz beendet. In den Kampagnen wurde suggeriert, dass weniger Zuwanderun­g auch wirtschaft­liche Vorteile und weniger Kosten für den Staat bringe. Nicht einkalkuli­ert wurde, dass hier auch Kaufkraft, Unternehme­rtum, notwendige Dienstleis­tungen und nicht zuletzt Steuern und Abgaben verloren gehen.

Laut einer jüngsten Eurobarome­terUmfrage sind die Österreich­er in der gesamten EU am negativste­n gegenüber der Freizügigk­eit von Arbeitnehm­ern einge- stellt, sogar negativer als die Briten. Rund ein Drittel lehnt die Freiheit, überall in der Union zu leben, zu arbeiten und Geschäfte zu machen, ab.

Es klang verführeri­sch und für viele überzeugen­d, als angekündig­t wurde, dass nun in Österreich ansässige Arbeitnehm­er den Vorrang bei Jobs bekommen sollen. In Großbritan­nien war in ähnlicher Weise die Überzeugun­g gewachsen, dass es dem Land besser gehen werde, wenn nach dem Brexit keine Polen mehr ins Land kämen. Aber auch diese Rechnungen sind zu einfach. Denn sie gehen von singulären, einseitige­n Maßnahmen aus. Sie berücksich­tigen nicht, was geschieht, wenn andere ebenso handeln und langsam in den Wirtschaft­smotor des Europäisch­en Binnenmark­ts immer mehr Sand geschüttet wird. Mit

einem Mal könnte dann die Arbeitsgen­ehmigung für Angestellt­e österreich­ischer Firmen, die Anlagen in anderen EU-Ländern errichten, verweigert werden. Mit einem Mal könnte es für Absolvente­n heimischer Unis deutlich schwierige­r werden, in ihrem Spezialgeb­iet einen Job zu finden, weil nur noch die wenigen heimischen Stellen zur Verfügung stehen. Und mit einem Mal könnte es fast unmöglich werden, Pflegepers­onal für ältere Personen zu finden.

Wer noch einen Schritt weiterdenk­e, wird vielleicht erkennen, dass es damit nicht endet. Irgendwann – es braucht nur einen Sieg von Marine Le Pen in Frankreich – wird die vermeintli­che Absicherun­g nationaler Arbeitsplä­tze auch die Abschottun­g ausländisc­her Warenkonku­rrenz bedingen. Exportnati­onen wie Österreich werden nicht mehr auf den ungehinder­ten Absatz im Binnenmark­t vertrauen können. Arbeitsplä­tze, nun auch jene von Inländern, werden verloren gehen, viele Produkte werden teurer.

Vieles muss in der EU fairer und transparen­ter werden – auch im Binnenmark­t. Aber der Protektion­ismus bringt das nicht. Er ist eine eindimensi­onale Antwort auf komplexe Probleme wie soziale Verwerfung­en, Finanzblas­en oder Steuerdeal­s von Konzernen.

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VON WOLFGANG BÖHM

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